Mozart Schostakowitsch
Wolfgang Amadeus Mozart
Ouverture zur Oper «Die Zauberflöte»
Krzysztof Penderecki
«Concerto doppio» für Violine, Violoncello und Orchester
Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie Nr. 10
Dauer ca. 1 Std. 45 Min. inkl. Pause nach ca. 35 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Gut zu wissen
Mozart Schostakowitsch
Kurzgefasst
Mozart Schostakowitsch
Im ersten Konzert der neuen Saison gibt Krzysztof Urbański sein Debüt am Pult der Philharmonia Zürich. Mit jugendlichem Charisma und dynamischen Auftritten hat der polnische Dirigent im vergangenen Jahrzehnt bei einigen der weltweit bedeutendsten Orchestern auf sich aufmerksam gemacht: Als er 31-jährig erstmals die Berliner Philharmoniker leitete, war er bereits Musikdirektor des Indianapolis Symphony Orchestra. Seit 2015 ist er Erster Gastdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters, mit dem er u.a. Meisterwerke des 20. Jahrhunderts wie Strawinskys Sacre du printemps oder Schostakowitschs 5. Sinfonie eingespielt hat. Mit Schostakowitschs 1953 entstandener 10. Sinfonie tritt er nun im Opernhaus Zürich auf. Gemeinsam mit Bartlomiej Niziol und Lev Sivkov, Konzertmeister und Solocellist der Philharmonia Zürich, interpretiert er ausserdem ein Doppelkonzert des 2020 verstorbenen polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki: Das 2012 in Wien uraufgeführte Concerto doppio entstammt der späten Schaffensphase Pendereckis, in der sich der frühere Avantgardist für klassische Formen interessierte und in einem Stil komponierte, der ihn auch jenseits der Neue-Musik-Kenner beliebt machte.
Volker Hagedorn trifft...
Bartłomiej Nizioł
Bartłomiej Nizioł wurde in Stettin geboren. Er ist 1. Konzertmeister der Philharmonia Zürich. 1997 bis 2003 war er Stellvertretender Erster Konzertmeister im Tonhalle Orchester Zürich. Seit 2008 ist er Dozent an der Hochschule der Künste in Bern. Am 26. September ist Bartłomiej Nizioł im 1. Philharmonischen Konzert dieser Saison als Solist in Krzysztof Pendereckis «Concerto doppio» zu hören.
Im Oktober 1991 tauchte in Hannover, beim frisch gegründeten, höchstdotierten Geigerwettbewerb der Welt, Joseph Joachim gewidmet, ein siebzehnjähriger Pole auf, der Paganini so spielte, als habe er die Capricen mit dem Komponisten selbst erarbeitet. Nicht als Wettbewerbsmusik. Er liess die Effekte wegperlen, als schaue er einem Spielzeug zu, er zeigte Stimmungen und Charaktere. Und er war der erste Kandidat, der einer kleinen Romanze von Joseph Joachim etwas abgewinnen konnte. Die Hannoveraner schlossen diesen Bartłomiej Nizioł schnell ins Herz, nicht zuletzt seine Gastgeber bis zum Finale, denn das waren meine Eltern.
«Wie geht es ihnen? Leben sie noch?», fragt er gleich. «Und ob!» Das freut ihn. Der 47-Jährige, der gerade aus einer Opernprobe kommt, hat immer noch viel Jungenhaftes mit seinem Dreitagebart, ein bisschen Silbergrau im Haar, blaue Augen, rostrotes Hemd. Sein Deutsch ist natürlich fliessend inzwischen, trotzdem entschuldigt er sich lachend: «In der Schweiz lernt man nicht richtig Deutsch!» In einem Opernhaus ist das ohnehin nur eine Sprache von vielen. Seit 2004 ist Bartłomiej Nizioł – leichter gesagt, Bartek Nischou, mit weichem «sch» – Erster Konzertmeister in der Philharmonia Zürich.
Er ist früh bei den Helvetiern gelandet, der Geige wie der Liebe folgend, Zufällen auch, die den Wunsch seines Vaters zu erfüllen schienen. «Er hat immer gesagt, ‹Bartek, du musst in der Schweiz leben, das ist das Beste.› Dabei war er nie dort!» Aber Gründe gab es in Polen um 1990 genug, vom westlichen Ausland zu träumen. Das Land hatte eines seiner dramatischsten Jahrzehnte hinter sich. Im Dezember 1981, als Bartek sieben Jahre alt war, wurde das Kriegsrecht verhängt, um die demokratische Bewegung zu stoppen; erst acht Jahre später war Polen eine autarke Republik, aber noch lange keine stabile. In Stettin geboren – er spricht die Orte deutsch aus, vielleicht damit ich nicht in die Verlegenheit komme, an der Aussprache zu scheitern –, war der Vierjährige fasziniert von der Geige, auf der seine ältere Schwester spielt. «Meine Eltern hatten Musik gern und kauften ein Klavier, darauf hat sie angefangen. Dann kam die Geige dazu, und ich wollte auch Geige spielen.» Mit fünf Jahren bekam Bartek Unterricht. «Ich habe immer gern gespielt, meine Eltern haben mich nie zum Üben gezwungen. Es war nicht wahnsinnig viel am Anfang, ich habe auch immer Fussball gespielt!» Vieles flog ihm zu. Aber gute Geigensaiten waren knapp: Die brachte ein befreundeter Lastwagenfahrer aus dem Westen mit.
Barteks Begabung war so offenkundig, dass der Dreizehnjährige nach Poznań geschickt wurde, in ein Musikinternat. Und während dort das Essen rationiert wurde – «wir waren hungrig, für alles brauchte man Lebensmittelmarken» – ermöglichten die Behörden ihm Reisen nach Folkestone zum Menuhin-Wettbewerb. 1987 wie 1989 kam er als Preisträger zurück. Es folgten London, Adelaide, Hannover… Wettbewerbe, sagt Bartek, waren für ihn eine Chance, anderswo Kontakte zu knüpfen, andere Lehrer kennenzulernen, überhaupt sich «im Ausland zu präsentieren. Meine Eltern konnten so etwas nicht bezahlen.» Der erste Karriereschub begann dennoch in Polen, in Poznań, wo er nach dem dritten Preis in Hannover den ersten bei einem der renommiertesten Geigergipfel errang, dem Wieniawski-Wettbewerb, gefolgt von zahlreichen Konzerten. Nachdem er 1993 auch noch beim Long/Thibaud-Wettbewerb in Paris abgeräumt hatte, «da dachte ich, ich glaube, das reicht.» Er folgte dem Solisten und Geigendozenten Pierre Amoyal an die Hochschule von Lausanne – und war mit neunzehn bereits Vater. Mutter seines ersten Sohnes war die Pianistin, die er mit fünfzehn Jahren im Internat kennengelernt hatte, nun seine Frau. «Darum entschied ich mich, eine feste Stelle zu suchen.»
Sieben Jahre lang spielte er als Zweiter Konzertmeister im Zürcher Tonhalle-Orchester, wo man ihm eine Stradivari zur Verfügung stellte. Als Bartek dann im Orchester der Oper Zürich Erster Konzertmeister wurde, fragte er den damaligen Intendanten Alexander Pereira nach einem vergleichbaren Instrument. Der liess seine Kontakte zur Welt derer spielen, die gern viel Geld in Kostbarkeiten investieren. Ein Small Talk beim Pferderennen soll eine Rolle gespielt haben… «Nach ein paar Monaten rief er mich an: ‹Kommen Sie in mein Büro›. Er hat eine Geige aus dem Schrank geholt und nicht gesagt, welche es ist.» Es war die Guarneri del Gesù von 1727, mit der Bartek Niziol noch immer glücklich ist. «Dieses Instrument hat so viel Geschichte erlebt, so viele haben darauf gespielt, man spürt das. Es ist auch eine geistige Beziehung. Und diese Feinheit des Klanges – man hat das Geheimnis noch nicht entdeckt. Man kann das nicht kopieren. Aber die Geige klingt nicht von selbst so. Die Beziehung zwischen Spieler und Instrument ergibt den Klang, die Symbiose ist wichtig.»
Als Symbiose sieht er auch die Beziehung zwischen Orchester, Solisten und Dirigenten. «Als Solist versuche ich immer, ganz eng mit dem Orchester zu musizieren. Und als Konzertmeister versuche ich, die Energie vom Dirigenten auf das Orchester zu übertragen. Es ist enorm wichtig, nicht einfach nur die eigene Partie zu spielen, man ist Teil des Organismus. Auch die besten Dirigenten sind das. Mit Diktatur funktioniert nichts.» Für den autoritären Stil, meint er, sei inzwischen auch das Niveau der Orchestermusiker zu hoch. Er sieht sich als Konzertmeister, der auch Solokonzerte spielt, um «in Form zu bleiben».
Als Solist hat er mit Krzysztof Penderecki zusammengearbeitet, zwei Jahre vor dessen Tod. Der 84-jährige Komponist leitete selbst die Einspielung seines Concerto doppio für Violine, Viola und Orchester, die in Warschau entstand. «Er hat nur ein paar tutti dirigiert, er war schon ein bisschen krank», sagt Bartek. «Er konnte streng sein und hat zum Orchester auch mal sarkastische Bemerkungen gemacht, wenn ihm zu wenig Klang da war. Aber er war sehr zufrieden mit uns Solisten. Er hatte es gern, wenn man ohne Show, ehrlich und natürlich spielt.» Sprach er auch über seine eigene Arbeit? «Ja, er hat gern betont, dass er auch Geiger war und eine klare Vorstellung habe, wie die Geige klingen muss.» In Zürich wird das einsätzige Werk in der Version für Violine und Violoncello zu hören sein, Bartek selbst schlug es vor. «Es liegt nicht einfach, ist aber angenehm zu spielen. Die Stimmung ist das wichtigste. Auch wenn es sehr atonal klingen kann, mit vielen Dissonanzen, ist es nicht aggressiv, sondern melodisch. Der Rhythmus kommt erst an zweiter, dritter Stelle. Es gibt mehrere Kadenzen, die man sehr frei gestalten kann, und jeder Spieler hat Momente für sich allein. Das Orchester spielt nicht sehr viel, ist dann aber ebenso wichtig wie die Soli. Ich spiele es genauso gern wie das Doppelkonzert von Brahms!»
Auch die weniger bekannten polnischen Komponisten liegen ihm am Herzen. Er nimmt sämtliche (guten) Violinsonaten auf, die in seinem Land geschrieben wurden, und er hat Entdeckungen gemacht. Etwa Sigismond Stojowski, dessen Violinkonzert er für die BBC aufnahm, Julius Zarębski, dessen Quintett er mit Martha Argerich spielte – «unvergesslich!» –, oder das Violinkonzert, dessen Partitur die Komponistin Grażyna Bacewicz versteckte – zu Unrecht, wie der Mitschnitt der späten Uraufführung in der Warschauer Philharmonie beweist. Wegen solcher Projekte gibt es für den Geiger immer etwas vorzubereiten, und der Lockdown, gesteht er, war für ihn keine schlechte Zeit, «auch wenn ich das Zusammenspielen und das Spielen vor Publikum vermisst habe.» Er hat mit dem Joggen begonnen. Und sich zugleich, mit Blick auf die sonst so randvollen Terminpläne gefragt: «Muss man immer so rennen?» Die Entschleunigung kam aber auch aus einem besonderem Grund passend. «Wir sind Grosseltern geworden! Unsere Enkelin wurde vor vierzehn Monaten geboren, Ophelia.» Bartek dürfte einer der jüngsten Grossväter weit und breit sein. Was er ja auch dem Talent verdankt, das ihn einst ins Internat von Poznań führte…
Das Gespräch führte Volker Hagedorn.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 85, Oktober 2021.
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