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Il barbiere di Siviglia

Opera buffa in zwei Akten von Gioachino Rossini (1792-1868)
Libretto von Cesare Sterbini nach «Le Barbier de Séville» von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais

In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung mit deutscher Übertitelung. Dauer 2 Std. 50 Min. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 1 Std. 35 Min.

Gut zu wissen

Trailer «Il barbiere di Siviglia»

Gespräch


Die Jugend gewinnt immer

Rossinis Oper «Il barbiere di Siviglia» erzählt auf turbulente und witzige Weise davon, wie ein sehr junger Mann gegen einen ziemlich alten Mann um eine Frau kämpft – und aus diesem Kampf nach vielen Verwicklungen als Sieger hervorgeht. Ein Gespräch mit Regisseur Johannes Pölzgutter vor der Premiere 2019 am Theater Winterthur.

Johannes, nach La cenerentola im letzten Sommer ist Il barbiere di Siviglia nun deine zweite Beschäftigung mit Rossini. Was macht diesen Komponisten für dich interessant?
Die Absurdität in der Musik! Rossini zieht die Szenen auseinander und steigert sie immer weiter, so dass eine permanente Spannung in dieser Musik ist, die immer intensiver wird. Es kommt einem ein bisschen vor wie auf einem Laufband: Man läuft, kommt aber nicht vom Fleck, denn die Situationen explodieren nie. Wo diese Spannung dann schliesslich hingeht, wie sie sich entlädt, das werden wir vielleicht besser wissen, wenn wir in unserem Probenprozess noch etwas weiter vorange­schritten sind.

Rossinis Barbiere gehört zu den am häufigsten inszenierten Werken des gesamten Opernrepertoires. Steht man da als Regisseur mit so einem Stück unter Originalitätsdruck?
Ich hatte schon Respekt davor, dieses Stück zu inszenieren, und in der Vorbereitungsphase fiel es mir tatsächlich eher schwer, einen eigenen Zugang zu finden. Jetzt, wo wir mittendrin sind in der Arbeit, fällt es mir viel leichter, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass in der Komödie vor allem Spontaneität gefragt ist. Das Gute bei sehr bekannten Opern ist ja, dass es viele Referenzen gibt, auf die man zurückgreifen kann, die man aufnehmen kann, aber nicht muss. Im Falle von Rossinis Barbiere ist es ja nicht nur das Stück, das sehr bekannt ist, es sind auch die Figurentypen, die wir alle bestens kennen – Typen, die auf die berühmte Commedia dell’Arte zurückgehen. Diese Charaktere haben etwas sehr Zeichenhaftes und eine theatralische Art, sich zu bewegen, die wir in unserem Fernsehrealismus verloren haben. Gerade bei diesem Stück bleibt einem immer im Bewusstsein, dass man es mit Theater zu tun hat, und man gerät gar nicht erst in die Versuchung, Kino oder Film daraus zu machen, weil man sich immer auf eine Theatertradition beziehen kann.

Am Konzeptionsgespräch hast du gesagt, das absurde Theater sei für dich ohne Rossini gar nicht denkbar. Wie hast du das gemeint?
Ich meinte da vor allem das komische Musiktheater, das zur frühen Operette, also beispielsweise zu Stücken von Jacques Offenbach, führt. Der totale Verzicht auf Realismus kommt der Komödie sehr entgegen. Reale Situationen sind nicht komisch.

Findest du? Ich denke, reale Situationen können sogar sehr komisch sein …
… aber vor allem dann, wenn sie nicht gelingen! Dann lacht man nicht mit den Figuren, sondern über sie, denn man erhebt sich dabei über andere Personen. In Komödien lacht man mit den Menschen. Klar sind die alle lächerlich, klar werden sie ausgestellt. Aber Rossini schafft es eben, dass seine Figuren trotzdem menschlich bleiben. Sie sind nicht wie Tiere im Zoo.

Oft liest man ja über Rossinis Figuren, sie seien holzschnittartig gemacht oder wirkten wie ferngesteuert. Inwiefern empfindest du sie als menschlich?
Sie haben Schwächen, genau wie wir. Helden sind eigentlich unmenschlich, weil sie – ausser dem berühmten Lindenblatt bei Siegfried – keine Schwächen haben. Im Barbiere, und das finde ich grossartig, gibt es keine ausschliesslich sympathische Figur. Almaviva ist ein arroganter Rotzpinkel, Figaro ist zwar ein sympathischer Kerl, aber er ist auch bestechlich, und so richtig gelingen will ihm nichts. Und Rosina verhält sich wie eine renitente, pubertierende Göre. Die Situation, in der sie steckt – ihr Vormund hält sie in seinem Haus gefangen und will sie ihrer Mitgift wegen heiraten – ist natürlich bemitleidenswert, aber charakterlich ist sie doch eher mühsam.

Haben diese Figuren denn charakterliche Tiefe?
Für Psychologie interessiert sich Rossini in seinen Komödien nicht besonders. Wir haben es, wie gesagt, mit Figuren zu tun, denen man ihre Herkunft aus der Commedia dell’Arte, der italienischen Stegreifkomödie, die naturgemäss mit holzschnittartigen Typen arbeitet, deutlich anmerkt. Interessant werden sie durch die Situationen, in denen wir sie erleben: durch ihr Scheitern, ihr Gefangensein. In Bartolo, der sich über alles so schrecklich aufregen kann, finden sich alle unsere schlechten Charakterzüge in einer Person…

… in ziemlich überzogener Darstellung…
… natürlich, das ist es ja, was es so lustig macht.

Kann denn die Musik komisch sein?
Ja! Ich bin ein Verfechter komischer Musik. Rossini hat sich das von Mozart ab geschaut. Diese Steigerungen im Tempo und in der Dynamik! Natürlich funktioniert das immer in Kombination mit der Situation und dem Text. Wenn es im Text heisst: schnell, wir müssen weg, es kommen Menschen!, und in der Musik wird diese Situation minutenlang hinausgezögert, weil alle noch hundertmal singen: leise, leise, wir fliehen über die Leiter am Balkon!, dann ist das doch eine sehr absurde Komik. Oder Bartolos fast unsingbar schnelles und äusserst komisches Parlando: Das setzt sich dann in Operetten wie beispielsweise von Gilbert und Sullivan fort.

Zur Komik gehört ja oft auch die Tragik; haben denn Rossinis Figuren auch mal Gelegenheit, ihren Schmerz zu zeigen? Bartolo zum Beispiel wird ja ziemlich übel mitgespielt; klar, er hält Rosina gefangen und erhält dafür am Ende seine «gerechte» Strafe – aber es ist schon auch ziemlich schmerzhaft für ihn, dass er so übel an der Nase herumgeführt wurde, oder?
Klar, am Ende sieht man einen geschlagenen Mann; aber Bartolo bekommt keine Gelegenheit, seinen Zustand mit einer Arie zu reflektieren. Er kriegt Geld in die Hand gedrückt und soll damit zufrieden sein. Wenn in diesem Stück Gefühlswelten aufkommen, dann ist es aufgrund der Situation der Figuren, nicht aufgrund ihrer Reflexion.

Rosina dagegen gewinnt am Ende ihre Freiheit – oder zumindest entkommt sie ihrem Gefängnis bei Bartolo …
Ja, sie ist aus ihrem alten – im doppelten Wortsinn – Gefängnis befreit; aber durch Le nozze di Figaro wissen wir, wie es weitergeht: Rosina kommt von einem Gefängnis ins nächste, ohne es zu wissen. Sie ist eigentlich eine tragische Figur, wie man in der Trilogie von Beaumarchais sieht, die ja die Vorlage war für Rossinis Barbiere und auch für Mozarts Figaro. Der Vorteil ist, dass Rosina im Barbiere noch ein sehr junges Mädchen ist und keine Ahnung hat von dem, was auf sie zukommt. Sie kommt von einem Tyrannen zum anderen; Almaviva wird das Interesse an ihr verlieren, sobald er mit ihr verheiratet ist. Es gibt da einige Parallelen zwischen den Figuren; Basilio ist bestechlich und intrigant – vielleicht war er in jungen Jahren auch mal eine Art Figaro. Ähnlich ist es mit Bartolo und Almaviva: Es geht beiden nur um den Besitz, und sobald sie die Frau besitzen, hängen sie ihr ein Schild um den Hals und stellen sie zwischen ihre Möbelstücke in die Ecke. Was ja auch viele moderne Männer tun… Rossini lässt nicht viel Platz für die Liebe. Es gibt nicht ein einziges Liebesduett zwischen Rosina und Almaviva im Barbiere, die beiden haben nur einen kurzen gemeinsamen Moment im ersten Finale und einen im Terzett, und da sind sie jeweils nicht allein. Es geht eben gar nicht wirklich um Liebe zwischen den beiden – Rosina geht es um die Freiheit, Almaviva um den Besitz.

Rosina kann sich auch nur schwer in ihn verlieben, denn sie erlebt ihn erst ganz am Schluss des Stückes wirklich als das, was er ist: ein Graf; bis dahin spielt er das ganze Stück über immer wieder andere Rollen, ist aber nie er selbst.
Almaviva ist für jede Figur jemand anderes: Für Figaro ist er der Graf, für Rosina der romantische Studentenheld Lindoro, und Bartolo lernt ihn als betrunkenen Soldaten und als Musiklehrer kennen. Sein wahres Gesicht zeigt Almaviva erst am Ende. Und auch wir lernen Almaviva nicht wirklich kennen. Wir können am Schluss der Oper nur darauf anspielen, wie Rosina vom Regen in die Traufe kommt und eigentlich überhaupt nicht weiss, mit wem sie jetzt zusammen ist.

Du arbeitest mit dem Internationalen Opernstudio, also mit ausschliesslich jungen Sängerinnen und Sängern; auch die «alten» Figuren sind also mit jungen Menschen besetzt. Empfindest du das als Schwierigkeit?
Für mich ist es zunächst mal normal, dass man auf der Bühne etwas spielt, was man selbst nicht ist. Einen alten Menschen darzustellen, läuft primär über den Körper, nicht unbedingt über den Geist; ein sehr junger Mensch kann sich kaum vorstellen, wie es ist, alt zu sein.

In einem Stück wie dem Barbier mit seinen eher holzschnittartigen Figuren wählt man ja vermutlich auch eine andere Spielweise als für ein realistischpsychologisch gebautes Stück …
Ja, wir arbeiten mit einer etwas schablonenhaften Spielweise, innerhalb derer körperliche Gebrechen wie humpeln, ein steifes Kreuz, schwache Augen als pars pro toto für das Alter stehen.

Also funktioniert eine bestimmte Art der Figuren, sich zu bewegen, fast wie das Aufsetzen einer Maske in der Commedia dell’Arte, in der das Spiel, das Darstellen an sich ja immer auch Teil der Aufführung ist?
Das könnte man so sagen. Womit wir wieder bei den Theatertraditionen wären, auf die sich dieses Stück bezieht… Die Charakterisierung der Figuren mithilfe ihrer Körpersprache zu schärfen, wird in den nächsten Wochen unsere Aufgabe sein.

In deiner Konzeption stehen sich zwei Welten gegenüber: Bartolo sperrt Rosina in seiner Rokoko-Welt zwischen seinen Antiquitäten ein und zieht ihr ein entsprechendes Kleid an; Almaviva will sie befreien und in seine heutige, moderne Welt holen. Warum hat sich Bartolo diese Rokoko-Welt geschaffen – kommt er mit der modernen Welt nicht klar?
Bartolo sagt uns das selbst; gleich im ersten Rezitativ heisst es: «secolo corrotto!» Er lehnt grundsätzlich alles ab, was modern ist. Das ist auch etwas, das ihn sehr menschlich macht: Wahrscheinlich kommen wir alle mal in dieses Alter, in dem wir denken, früher war alles besser, weil die Umwelt einem davongaloppiert. Das erinnert einen auch an das eigene Alter, an den eigenen Tod – Gedanken, die wir gern verdrängen. Bartolo ist Mediziner, er weiss genau, was ihn erwartet. Ausserdem gab uns diese Gegenüberstellung von zwei Welten einen Grund dafür, dass Bartolo so dringend Rosinas Mitgift braucht: Er hat dieses Geld so nötig, weil er sein Hobby, alte Dinge zu bunkern, sonst nicht pflegen kann. Und ausserdem geht es ja in diesem Stück ohnehin darum, dass ein sehr junger Mann gegen einen sehr alten Mann kämpft. Ich habe das Gefühl, dass diese Idee, den Gegensatz zwischen jung bzw. modern und alt noch etwas weiterzutreiben, der Sache sehr gut tut, weil sich daraus viele zusätzliche komische Situationen ergeben.

Almaviva wird diesen Kampf am Ende gewonnen haben; ist die neue Welt denn auch die bessere Welt?
Nein. Aber sie gewinnt immer. Ich bin ja auch manchmal überfordert von den ständigen Updates auf meinem Computer, das geht mir wirklich auf die Nerven. Die neue Welt ist die brutalere; wenn alte Dinge weggehen, ist das immer ein brutaler Vorgang. Man muss nur darüber nachdenken, wie viele Berufe in den letzten 100 Jahren ausgestorben sind. Das kann man gut oder schlecht finden, das ist einfach so. Stillstand wird es nie geben, und das wäre auch nicht gut.


Das Gespräch führte Beate Breidenbach.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 68, April 2019.
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Pressestimmen

«Souverän, spielfreudig, stil- und pointensicher.»
Tagesanzeiger vom 16. Mai 2019

Fotogalerie

 

Szenenbilder «Il barbiere di Siviglia»


Die geniale Stelle


Musikrecycling

Die Ouvertüre zu Gioachino Rossinis «Il barbiere di Siviglia».

Es ist etwas Seltsames um diese Ouvertüre, die doch so ganz unproblematisch daher­zukommen scheint: Jeder kennt sie, egal, ob er sich für Oper interessiert oder nicht. Ja, viele, die das Hauptthema gern mal vor sich hinpfeifen, wissen gar nicht, zu welchem Stück es gehört. Es ist eine von jenen Melodien, die sofort ins Ohr gehen, und dem Charme dieser Musik kann man einfach nicht widerstehen. So scheint diese Ouvertüre geradezu ideal zu Rossinis bester und beliebtester komischer Oper zu passen.

Aber seltsam: In der Musik findet sich kein Bezug zur Oper. Zwar kann man mit einigem guten Willen einen vage spanischen Charakter ausmachen, aber das thematische Material ist ganz unabhängig; und noch seltsamer ist, dass der schnelle Hauptteil des Stücks in einem nervösen e­-Moll steht und also zu einer komischen Oper nicht recht passen will. Und wirklich: Wenn den Hörer ein Gefühl der Unstimmigkeit beschleicht, ist er durchaus auf der richtigen Spur. Die berühmte Ouvertüre gehört nämlich gar nicht zu Rossinis berühmtester Oper, sondern wurde schon vorher ver­wendet, und zwar gleich zweimal für ganz andere Werke. Der Hörer rümpft über solch schamlosen Selbstplagiate vielleicht für einen Moment die Nase – bis der mitreissende Schwung der Musik alle Einwände hinwegspült.

Und das ist auch richtig so, denn so seltsam uns heute dieses dreiste Recycling erscheint, Rossinis Publikum störte das anscheinend nicht. Damals wurden Opern nicht für die Ewigkeit komponiert, vielmehr verlangte der Betrieb unersättlich nach neuen Stücken, und auch die erfolgreichsten verschwanden meist schon bald in den Archiven der Opernhäuser. Nun wusste der mit allen Wassern gewaschene Praktiker Rossini genau, wie wichtig der Anfang des Theaterabends ist. Wenn der «sitzt», ist der Erfolg schon fast gesichert, wenn nicht, ist alles Kommende vergeblich. Und da selbst ein Rossini nicht sicher sein konnte, immer Geniales aus dem Ärmel zu schütteln, war die gelegentliche Zweitnutzung von Bewährtem sehr weise. Ein Verfahren übrigens, das einst gang und gäbe war und erst im 19. Jahrhundert nach und nach ausser Ge­brauch kam und verpönt wurde.

Aber selbst wenn wir diese Nonchalance als zeitbedingt hinnehmen: Dass Rossini dieselbe Ouvertüre zunächst für zwei tragische Opern und dann für eine komische verwendete, geht doch zu weit. Tragödie oder Komödie… das ist ja wohl ein Unterschied! Nun… Rossini war da offensichtlich anderer Meinung. Und – auch wenn es paradox scheinen mag – gerade darin zeigt sich die Genialität des grossen Theatermanns. «Komödien sind eine sehr ernste Sache», heisst ein unter Theaterleuten beliebtes Bonmot. Und es bedeutet, auf diesen Fall angewandt: Wirklich komisch wird ein Stück nur dann, wenn die Geschichte, ganz wie in der Tragödie, für die Figuren überhaupt nicht lustig ist, weil jede Wendung der Handlung, jeder falsche Schritt, in die Katastrophe führen kann. In den Details gibt es also keinen besonders grossen Unterschied, es kommt ganz auf den Kontext an. Wenn eine Bühnenfigur vor Angst zittert, kann das sehr komisch sein oder die Zuschauer zu Tränen rühren. Das Zittern des Ängstlichen ist dasselbe Zittern, und die Musik, die die fahrigen Gesten, das heftige Zusammenfahren des Erschrockenen, das Flehen um Befreiung aus der gefährlichen Lage schildert, bedient sich derselben Mittel. Es ist also keine Schlamperei, sondern vielmehr geniale Intuition, wenn Rossini es wagte, seiner komischen Oper eine Ouvertüre vor­anzustellen, die sich für eine tragische als tauglich erwiesen hatte. Und der nun schon mehr als 200 Jahre anhaltende Erfolg hat ihm recht gegeben.


Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 68, April 2019.
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Programmbuch

Il barbiere di Siviglia

Il barbiere di Siviglia

Synopsis

Il barbiere di Siviglia

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