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Don Giovanni

Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Libretto von Lorenzo Da Ponte

In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 3 Std. 15 Min. inkl. Pause nach dem 1. Akt nach ca. 1 Std. 25 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Gut zu wissen

Trailer «Don Giovanni»


Momente des Glücks

Als Fiordiligi in «Così fan tutte» und als Mimì in «La bohème» begeisterte sie das Zürcher Opernpublikum, nun kommt Ruzan Mantashyan erneut mit einer wichtigen Mozart-Partie ans Opernhaus: Sie steht als Elvira in «Don Giovanni» auf der Bühne. Neben grossen Opernrollen liegt ihr aber auch ihre junge Familie sehr am Herzen – und ihre Heimat Armenien, für die sie sich unter anderem in einem virtuellen Festival engagiert. Zum Podcast


Auf dem Pult


Don Giovanni

Ada Pesch, Konzertmeisterin der Philharmonia Zürich, über ihre Lieblingsstelle in Mozarts Oper

Manche behaupten, der Filmkomponist Ennio Morricone habe diese zwei Takte als Inspiration für seine berühmte Mundharmonika-Melodie im Westernstreifen Spiel mir das Lied vom Tod verwendet. Ich weiss nicht, ob das zutrifft, aber klar ist: Dieses Motiv am Anfang der Ouvertüre zu Mozarts Don Giovanni entstammt einer unheimlichen, todesnahen Sphäre. Es ist die steinerne, fahle Welt des toten Komturs, der am Schluss der Oper den Wüstling Don Giovanni zur Rechenschaft ziehen und ihm den Todesstoss versetzen wird – erneut zu der Musik, die in den ersten dreissig Takten der Ouvertüre erklungen ist. Mozart schrieb seine Ouvertüren jeweils zuletzt. Die Don-Giovanni-Ouvertüre ist dabei in höchstem Masse programmatisch für das hochkomplexe Drama, das in den nächsten Stunden vor unseren Augen ausgerollt wird. Ich kenne keine andere Ouvertüre, in der man so viele unterschiedliche Emotionen in kürzester Zeit vermitteln müsste! Als Konzertmeisterin bin ich in den ersten Takten der Ouvertüre ganz besonders gefordert, denn das Orchester hat sich zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht ganz zusammengefunden – wir spielen in wechselnden Besetzungen –, und ich kann noch nicht wissen, wie das Orchester auf mich und den Dirigenten reagieren wird. Möglicherweise haben wir am Morgen für ein ganz anderes Stück geprobt! Alles hängt jetzt von der jeweiligen Zusammensetzung der Gruppe ab. Ich unterstütze als Konzertmeisterin die Zeichen des Dirigenten und gebe seine Impulse ans Orchester weiter, darf dabei aber selbst nicht zu früh spielen. Hier muss ich meine ganze Erfahrung einfliessen lassen. Für eine eigene Gänsehaut bleibt keine Zeit; ich darf mich in der Musik nicht verlieren, sondern muss hellwach sein.

—Ada Pesch

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Fotogalerie

 

Szenenbilder «Don Giovanni»


Fragebogen


Konstantin Shushakov

Konstantin Shushakov stammt aus Russland und gehört seit der Spielzeit 2019/20 zum Ensemble des Opernhauses Zürich. Hier war er unter anderem als Guglielmo in «Così fan tutte» und als Marcello in «La bohème» zu hören. In der Wiederaufnahme von Mozarts «Don Giovanni» in der Spielzeit 21/22 debütierte er in der Titelrolle.

Aus welcher Welt kommen Sie gerade?
Global gesehen aus einer Welt der unendlichen Möglichkeiten. Und der Technologie. Im Hinblick auf meinen Beruf als Sänger und die nun wieder aufflammenden Pandemie ist es eine Welt der Unsicherheit, in der man sich immer wieder aufs Neue an alle möglichen Veränderungen anpassen muss.

Auf was freuen Sie sich in der Don Giovanni-Produktion?
Am meisten freue ich mich auf die Figur des Don Giovanni, den ich hier in Zürich zum ersten Mal singe.

Wer ist Don Giovanni?
Jedenfalls nicht einfach ein Womanizer! Für mich ist er vor allem ein unglücklicher, einsamer Mensch, der versucht, sein Glück zu finden und seine Einsamkeit zu besiegen. Ich möchte seine innere Welt kennenlernen und auf der Bühne zeigen, was ihn wirklich bewegt.

Welches Bildungserlebnis hat Sie besonders geprägt?
Das Programm für junge Sängerinnen und Sänger am Bolschoi-Theater in Moskau. Ich denke mit viel Liebe und Dankbarkeit an diese Zeit.

Welches Buch würden Sie niemals aus der Hand geben?
Wenn ich mit einer Metapher antworten würde, dann wäre es das Buch des Lebens! Es fällt mir schwer, ein konkretes Buch zu nennen. Immer, wenn ich mich in ein Buch vergrabe oder auch in eine bestimmte Rolle oder eine Musik, dann ist diese Musik und diese Rolle in dem Moment für mich die Wichtigste.

Welche CD hören Sie immer wieder?
Je nachdem, in welcher Stimmung ich bin, kann das Pop sein oder klassische Musik, oder auch Rap oder Jazz. Ich finde in jeder Stilrichtung etwas.

Welchen überflüssigen Gegenstand in Ihrer Wohnung lieben Sie am meisten?
In meiner Wohnung gibt es sehr viel Elektronik, ohne die ich natürlich gut leben könnte. Aber es gefällt mir, mit der Zeit zu gehen und immer auf dem letzten Stand zu sein, was neue Technologien angeht.

Was bringt Sie zum Lachen?
Lustige Geschichten, Filmkomödien, Scherze – aber bitte nicht über mich! Ich kann nicht über mich selbst lachen. Ich habe schon immer Leute sehr beneidet, die das können.

Was hassen Sie am meisten?
Wenn Menschen sich gegenseitig nicht respektieren.

Warum sind Ihre Freunde Ihre Freunde?
Weil ich mit ihnen Freude genauso teilen kann wie Kummer, Erfolg genauso wie Misserfolg. Es sind nicht sehr viele. Ich würde nur ganz wenige wirklich Freunde nennen.

Woran merkt man, dass Sie Russe sind?
Das müsste man meine nichtrussischen Bekannten fragen! Vermutlich daran, dass ich selten lächle. Das ist eine sehr russische Eigenschaft.

Welche Persönlichkeit würden Sie gerne einen Tag lang sein und warum?
Kosmonaut. Dann könnte ich unseren Planeten aus der Ferne sehen. Ich glaube, wenn jeder Mensch sich einmal im Weltraum aufhalten könnte, dann würde ihn das dazu inspirieren, unseren Planeten zu bewahren. Vielleicht wäre die Welt dadurch ein kleines bisschen besser.

Dieser Artikel ist erschienen in MAG 88, Januar 2022.
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Auf der Couch


Don Giovanni aus Mozarts gleichnamiger Oper

Don Juan de Tenorio soll Oberkellermeister des kastilischen Königs Pedro «des Grausamen» gewesen sein. Die frühen Legenden konzentrieren sich weder auf den Totschläger (Mord im Duell war Alltag), noch auf den Frauenhelden (das gehörte zur Rolle des Feudalherrn), sondern auf den Lästerer, der die Ruhe der Toten missachtet. Im ausgehenden Mittelalter war die Welt voller Geschichten von Statuen, die sich beleben, und Heiligenbildern, die von ihrem Sockel steigen. Je mehr wir uns der Neuzeit nähern, desto stärker wird im Don Juan-­Stoff die Ruhelosigkeit im sexuellen Begehren und das Rätsel des Schwankens zwischen Idealisierung und Entwertung.

Jede neue Frau ist wunderbar, jede bereits eroberte lästig; in der Oper von Mozart ist Don Juan kein sinnlicher Mensch mehr, der es sich im Genuss bequem macht. Jetzt steht der steinerne Gast, der den Helden mit ins Grab zieht, für ein starres Prinzip, das die vielfältigen Überraschungen und Entwicklungen der Liebe in ein Muster zwängt, das sich durch blinde Wiederholung selbst bestätigt. Ein Geniesser beschäftigt keinen Buchhalter, der seine Eroberungen aufzeichnet.

Leporello spielt mit den bürgerlichen Vorbehalten gegen die «lieben Herren», Don Giovanni verbindet die Überheblichkeit des Hochgeborenen mit dem Leistungsehrgeiz des bürgerlichen, auf Selbstverwirklichung zielenden Individuums. Wer ist da wessen Werkzeug? Leporello muss tun, was sein Herr sagt. Don Giovanni aber ist ebenso Sklave des Registers, das Leporello verwaltet. Jüngst spielte ein Fernseh-­Tatort in der heute «pick­up­szene» genannten Subkultur, in der Männer ihre Eroberungen nicht weniger zählen als Don Giovanni. Die moderne Fassung des Leporello­-Registers sind Videos; zum tödlichen Verhängnis für den Verführer wird die Mutter eines seiner Opfer, die nicht verzeihen kann, was er mit ihrer Tochter angestellt hat.

Manchmal findet ein solcher Mann, der die Freuden und Ängste einer Liebesbindung nicht ertragen kann, seinen Weg in die Analyse, weil ihn die nächste und wieder nächste Eroberung innerlich ärmer zurückgelassen hat. Dann zeigt sich, dass er mit dem unablässig wiederholten Muster von Erobern, Verlassen und Zählen eigene Ängste abwehrt, in der Liebe zu scheitern und verlassen zu werden. Es sind Männer, die sich nicht wirklich wohl fühlen mit Frauen und nicht daran glauben, dass sich erotische Erfüllung entwickeln und steigern kann. Sie fühlen sich männlich, so lange sie erobern; die Frau aber ist kein Gegenüber, das die erschlaffende Männlichkeit wärmt und pflegt. Sie schwindet im männlichen Verlust phallischer Macht selbst dahin und wird dann verachtet wie die eigene Schwäche, wie alles, was den phallisch fixierten Mann daran erinnert, dass er als Kind so bitterlich abhängig war von der Zuwendung einer Mutter und enttäuscht wurde.

So tut er den Frauen an, was diese ihm auf gar keinen Fall antun dürfen. Er kann erobern, aber er darf das Eroberte nicht geniessen. Halt bietet allein die Zahl der Eroberungen, denn eine Potenz, die in sich unsicher ist, muss sich ständig beweisen. Don Giovanni kommt dem Bösen zuvor, das er von den eroberten Frauen erwartet, um den Preis der Destruktion einer Bindung, noch ehe diese sich gefestigt hat. Er ist ein Seelenverwandter des orientalischen Herrschers, der jede seiner Gemahlinnen nach der Hochzeitsnacht köpfen lässt, um sich ihrer Treue ganz sicher zu sein.

         Text: Wolfgang Schmidbauer, Psychoanalytiker und Buchautor
         Illustration: Anita Allemann


Die geniale Stelle


Zum Donnerwetter

Ein Tonsymbol in Wolfgang Amadeus Mozarts «Don Giovanni»

Leporello ist sehr schlecht gelaunt. Und mit gutem Grund: Wie immer, wenn sein Herr sich bei einem Schäferstündchen vergnügt, muss er vor der Haustür warten, bis der Frauenheld zum Ziel gekommen ist und nach Hause gebracht werden will. Er geht auf und ab: Fünf Schritte in eine Richtung, dann eine wütende Drehung, fünf Schritte zurück, wieder heftige Drehung, hin und wieder eine ausladende wütende Geste – das ist seine ganze Beschäftigung.

Es gab wohl nur einen Komponisten, der diese Situation so knapp und witzig in Töne fassen konnte: Vier abgerissene Achtelnoten im Abstand einer Quarte und eine Viertelnote schildern die Schritte, eine kurze schnell aufsteigende Figur zur nächsten Viertelnote die wütende Drehung. Dann geht es von vorn los. Allerdings rückt nun der Spitzenton eine Stufe höher. Eine weitere Drehung, dieselben Achtelnoten, die noch eine Stufe höher reichen, und so weiter, bis nach der vierten gesteigerten Wiederholung der Geduldsfaden reisst: Ein schneller Aufstieg um mehr als eine Oktave und ein noch schnellerer Absturz um zwei Oktaven schildern den Wutausbruch des Wartenden. Dann erst, nach einer Fermatenpause, folgt der Gesangseinsatz: Der Diener lässt seinem Unmut freien Lauf.

So weit so gut und nicht weiter erwähnenswert, könnte man meinen. Aber ein Detail lässt doch aufhorchen: Was hat es mit dieser schnellen Schleifer-Figur am Ende jeder Phrase auf sich? Dem Kenner traditioneller Musiksymbole (Mozart konnte sich darauf verlassen, dass sie seinem Publikum gut bekannt waren) ist das nicht nur das heftige Herumdrehen auf dem Absatz, vielmehr bringt der Komponist hier eine Assoziation ein, die so fernzuliegen scheint, als wäre da gar keine Verbindung herzustellen: Diese Schleiferfigur wird traditionell verwendet, um einen Donnerschlag darzustellen und daher auch gern Jupiter, dem Donnerer und obersten der Götter zugeordnet. (Dass diese Figur gleich am Anfang von Mozarts C-Dur-Sinfonie KV 551 prominent auftritt, mag der Grund sein, dass sie den nicht vom Komponisten stammenden Beinamen «Jupiter» erhalten hat.) Der zornige Diener masst sich das Kostüm des Blitzeschleuderers an, das ihm allerdings deutlich zu gross ist. Nun könnte man wohl annehmen, dass er die Verhältnisse umstürzen, das Unterste zuoberst kehren will.

Dass die aufrührerische Geste nichts als Theaterdonner ist, zeigt sich schon bald. Am deutlichsten aber am Ende des Stücks: Eben dieses Motiv begleitet das donnernde Klopfen der Statue des Komturs, die kommt, um die Ordnung wiederherzustellen, die Don Giovanni zum Tanzen gebracht hat. Mozart, der Meister der knappen und präzisen Charakterisierung, macht mit wenigen Tönen unüberhörbar: Der steinerne Abgesandte der himmlischen Gerechtigkeit und der aufmüpfige Diener sind sich darin einig, dass die Ordnung nicht gefährdet werden darf. Leporello denkt keineswegs an Umsturz. Ihm geht es nur um eine bessere Position im System, das er schon darum nicht angetastet wissen will, weil es diese Position dann ja nicht mehr geben würde. Er will selbst «den Edelmann machen» und mit dem Donnerkeil herrschen. Wirklich subversiv hingegen ist sein Herr, der von den steinernen Verhältnissen zermalmt wird, wogegen der sich so gern rebellisch gebärdende Leporello nichts einzuwenden hat.

Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 88, Januar 2022.
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Fragebogen


Andrew Moore

Andrew Moore studierte in Philadelphia. Am Opernhaus Zürich war er Mitglied des Internationalen Opernstudios und gehört seit der Spielzeit 2022/23 zum Ensemble. In dieser Spielzeit singt er Leporello in «Don Giovanni» und ist u.a. in «La rondine», «Die lustige Witwe» und in der Familienoper «Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer» zu erleben.

Aus welcher Welt kommst du gerade?
Ich komme aus den Sommerferien in New Jersey, wo ich aufgewachsen bin und wo meine Familie und Freunde leben. Small town vibes... Als Amerikaner, der in der Schweiz wohnt, lebe ich immer zwischen diesen beiden Welten. Ich arbeite aber sehr gerne und bin auch froh, wieder zurück zu sein und eine volle Spielzeit vor mir zu haben!

Auf was freust du dich am meisten in dieser Saison?
Ganz besonders freue ich mich darauf, zum ersten Mal den Leporello auf der Bühne zu singen. Seine berühmte Arie, in der er Don Giovannis Frauen aufzählt, gehört zu den ersten Stücken, die ich als Achtzehnjähriger mit meinem Gesangslehrer studiert habe. Er sagte damals: «Ich habe gute und schlechte Nachrichten: Deine Stimme ist toll! Aber dein Italienisch klingt, als würdest du auf deinem Frühstück rumkauen.» Jetzt bin ich 10 Jahre älter und darf diese Arie auf der Bühne singen! Damit geht ein Traum in Erfüllung.

Welches Bildungserlebnis hat dich besonders geprägt?
Es gab glücklicherweise immer wieder Menschen, die mir geholfen haben, dahin zu kommen, wo ich jetzt bin. Als ich meinen Eltern erzählte, dass ich Sänger werden will, hatte meine Mutter die schlimmsten Befürchtungen. Sie sagte: «Du wirst in Ellen’s Sturdust Diner arbeiten» – das ist ein Restaurant in New York mit singenden Kellnern... Ich versuchte es dann mit dem Kompromiss, Musiklehrer zu werden, aber mein Gesangslehrer förderte mich und glaubte an mich, so wie später auch Adrian Kelly vom Internationalen Opernstudio und Annette Weber, die mich ins Ensemble des Opernhauses holte.

Von welcher Musik bekommst du nie genug?
Darf ich etwas anderes sagen als «Oper»? Ich liebe Musik von den 50er- bis in die 80er-Jahre, Rock und Folk vor allem. Musik von heute höre ich hingegen eher selten... Kennst du diese Situation, dass deine Eltern im Auto Musik hören, während du als Kind auf der Rückbank sitzt, aus dem Fenster schaust und dich wie in einem Musikvideo fühlst? Ich glaube, mein Musikgeschmack hat viel mit dieser Erinnerung zu tun.

Welche Persönlichkeit würdest du gerne für einen Tag sein?
Manchmal wünsche ich mir, einen Tag lang eine richtig berühmte Old-School-Operndiva zu sein, die mit Sonnenbrille und Pudel den Raum betritt, und alle liegen ihr zu Füssen. Das ist bestimmt ein anderes Lebensgefühl als das eines Bassbaritons...

Woran merkt man, dass du Amerikaner bist?
Auf jeden Fall an meinem starken New Jersey-Akzent. Früher dachte ich allerdings, dass ich gar keinen Akzent habe. Mir ist das erst aufgefallen, als ich zum ersten Mal nach San Francisco gereist bin und gefragt wurde, wo ich herkomme!

Wie wird die Welt in 100 Jahren aussehen?
Vielleicht wird die Schweiz der grüne Daumen auf einer schwarzen Erde sein... Mir scheint, dass die Schweiz auf eine gute Art und Weise konservativ und umweltfreundlich ist und gut mit ihren Ressourcen umgeht. Amerika und andere Länder haben in dieser Hinsicht noch viel zu lernen.

Dieser Artikel ist erschienen in MAG 104, September 2023.
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Die geniale Stelle


Das Paradies im 6/8-Takt

Ein Taktwechsel in Wolfgang Amadeus Mozarts «Don Giovanni».

Dieser Artikel erschien im Februar 2017.

Wie man es auch dreht und wendet, es ist und bleibt ein höchst unerfreulicher, schlimmer Vorgang: Der adlige Herr schnappt dem armen und wehrlosen Bauern die Frau weg, und zwar ausgerechnet am Tag der Hochzeit. Er verspricht ihr goldene Berge, überzeugt sie von seiner Aufrichtigkeit und lädt sie schliesslich auf sein Schloss ein, wo er bei ihr zum Zuge zu kommen hofft. Aber wie ist das möglich? Wie kann es sein, dass Zerlina, die ihren Bräutigam doch sehr zu lieben scheint, auf diesen Herrn hereinfällt? Sie ist keineswegs dumm oder naiv. Also kann sie doch nicht glauben, dass er sein Versprechen, sie zu heiraten, ernst meint. Wieso fällt sie trotzdem auf ihn herein und setzt ihr Lebensglück mit Masetto aufs Spiel?

Sie fällt auf ihn herein wie alle Frauen, die diesem Mann nicht widerstehen können, weil … sie Frauen sind. Woher seine faszinierende Wirkung rührt, zeigt uns Mozarts Musik. Es ist nicht nur Giovannis Fähigkeit, sich auf jede Frau, die er begehrt (und er begehrt sie alle), perfekt einzustellen, sodass seine Musik immer genau den Ton trifft, von dem sie sich ganz direkt angesprochen fühlt, der ihr das Gefühl gibt, dass sie gemeint ist, dass sie die Frau ist, nach der er sich immer gesehnt hat. Giovannis Geheimnis ist, dass er in diesen Situationen nicht lügt. Er verstellt sich nicht, spielt keine ihm eigentlich fremde Rolle, sondern er meint tatsächlich diese Frau, die in diesem Moment für ihn wirklich die einzige ist, die er in diesem Moment wirklich und mit seiner ganzen Existenz liebt. Damit gewinnt er selbst die gewitzte Zerlina, wenn auch nur für einen Moment, denn kaum dass er sie allein lässt, ist auch der Traum von der grossen Liebe ihrem nüchternen Realitätssinn gewichen.

Das ist der Vorgang, wie er in Da Pontes Libretto festgehalten ist. Mozarts Komposition verleiht ihm aber durch eine überraschende Wendung eine Dimension, die weit über die lustspielhafte Anekdote hinausgeht. Im ersten Teil des kleinen Verführungsduetts Là ci darem la mano hat Giovanni musikalisch durchgehend die Führung: Es ist sein Begehren, das die Situation und den Fortgang des Geschehens bestimmt, Zerlina kann nur auf ihn reagieren und scheint ihm mehr und mehr willenlos ausgeliefert zu sein. Die melodische Linie im 4/4-Takt, die er anstimmt, hat bei aller Eleganz einen volkstümlichen, schlichten Tonfall, auf den Zerlina problemlos eingehen kann. Die Linie ist flexibel genug, um das zunehmend leidenschaftliche Werben gestalten zu können, bis zu dem Punkt, wo Zerlina nachgibt.

Und in diesem Moment geschieht ein Wunder: Die Taktart wechselt in einen schwingenden 6/8-Takt, das Tempo beschleunigt sich, und beide Stimmen finden sich zu einem innigen Zwiegesang, vornehmlich in einfachen Terzparallelen. Es ist eine Musik von so schwebender Leichtigkeit und träumerischer Heiterkeit, als hätten die beiden mit diesem Taktwechsel ein irdisches Paradies betreten, in dem es keine Standesunterschiede, keine Konventionen und Regeln mehr gibt, in dem keine Angst ist und kein Betrug, in dem es nichts gibt als die Kraft der Liebe, die sie beide in zeitloser Seligkeit vereinigt. Die Musik verklingt mit einem kecken Tänzchen – ein letzter, unter Tränen lächelnder Blick zurück auf einen so flüchtigen Moment, der doch für immer die Erinnerung lohnen wird, denn es war ein Augenblick des Glücks. Und dieses Glück wird bleiben, was immer die Zukunft bringen mag, denn die Erinnerung ist, wie es Jean Paul formulierte, das Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.


Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 46, Februar 2017.
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Programmbuch

Don Giovanni

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Synopsis

Don Giovanni

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Don Giovanni