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Das Land des Lächelns

Romantische Operette in drei Akten von Franz Lehár (1870-1948)
Text von Ludwig Herzer und Fritz Löhner nach dem Libretto von Victor Léon

In deutscher Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Dauer 2 Std. 10 Min. inkl. Pause nach ca. 45 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Gut zu wissen

Trailer «Das Land des Lächelns»

Gespräch


Sinnliche Reize, Melancholie und ein Augenzwinkern

Regisseur Andreas Homoki über seinen Weg, der anspruchsvollen Form der Operette gerecht zu werden. Ein Gespräch aus dem Jahr 2017.

Andreas, mit Franz Lehárs Das Land des Lächelns präsentierst Du die erste Operette während Deiner Zürcher Intendanz, und Du inszenierst sie auch gleich selbst. Was magst Du an Operette?
Zunächst einmal bin ich ein grosser Freund von guter Unterhaltung. Musiktheater muss ja nicht immer philosophisch schwere Kost sein, sondern soll sich auch von seiner leichteren Seite präsentieren dürfen. Ich habe auch bereits einige Operetten inszeniert wie Kálmáns Csárdásfürstin oder Lehárs Lustige Witwe, sogar ein Musical wie My Fair Lady. Operette zu machen ist für mich jedes Mal eine schöne Herausforderung, gerade auch wegen ihres genuin tänzerischen Charakters. Es gehört zu diesem Genre einfach dazu, dem Publikum visuelle und sinnliche Reize zu bieten, und ich bin der Meinung, dass man das durchaus mit einer gewissen Schamlosigkeit tun soll. Ich geniesse es, mich auf das Sentiment einzulassen und manchmal haarscharf am Kitsch vorbei zu schrammen. Natürlich ist es wichtig, eine reflektierte Haltung einzunehmen und nicht in die alten Operettenkonventionen zu verfallen. Eine Prise Humor gehört immer dazu, ein kleines Augenzwinkern und szenischer Widerstand, wenn es allzu glatt wird. Die spielerische Form und offene Struktur der Operette, die sich zuweilen dem Kabarettistischen annähert, erlaubt mir als Regisseur viele Freiheiten. Gleichzeitig muss man immer sehr genau hinhören, denn der Charme der Operette ist sehr zerbrechlich.

Wer beim Land des Lächelns nun mit einer schmissig-leichten Operette à la Lustige Witwe rechnet, wird allerdings überrascht sein: dieses Werk schlägt ernstere Töne an. 1929 in Berlin uraufgeführt, gehört das Land des Lächelns zum Spätwerk Lehárs, zur sogenannten Silbernen Operettenära. Was ist das Besondere an diesem Stück?
Auffällig ist, dass sich Lehár in seinen Werken der Zwischenkriegszeit der grossen Oper annähert. Er entfernt sich von der klassischen Operette, die in ihrem Kern eine Komödie war und aus pointierten Dialogszenen und dazwischengeschobenen Musiknummern bestand. Im Land des Lächelns ist die musikalische Struktur viel autonomer. Die Operettendramaturgie wird introvertierter, indem das Schicksal der Protagonisten und ihr Gefühlsleben im Zentrum stehen. Nebenhandlungen, Intrigen und ausgeprägte Milieuschilderungen sind für die eigentliche Geschichte nicht mehr so wichtig. Mein Bühnenbildner Wolfgang Gussmann und ich haben beim Land des Lächelns festgestellt, dass sich die Geschichte und das, was mit den Figuren geschieht, eigentlich allein über die Musiknummern erzählen lässt. Aus diesem Grund haben wir uns schliesslich entschieden, die Dialoge fast ganz wegzulassen und viele Nebenrollen, die musikalisch und auch sonst nichts zum eigentlichen Verlauf der Geschichte beitragen, zu streichen. Auch der Musikstil von Land des Lächelns hat immer weniger mit dem alten Stil der Goldenen Wiener Operette zu tun. Instrumentierung, Orchesterstärke und die Gestaltung der Melodien erinnern stark an Puccini, den Lehár überaus bewunderte und mit dem er befreundet war. Man spürt bereits die Filmmusiken der 30-er Jahre. Die musikalische Struktur ist sehr avanciert und überrascht immer wieder mit interessanten Modulationen, Dissonanzen, überraschenden Einbrüchen und Zäsuren. Lehár geht hier virtuos mit den Emotionen um, und manchmal scheint mir, zwinkere er einem zu, als ob er sagen wollte: Schaut alle her, kann ich das nicht gut? Gerade in den Duetten zwischen Lisa und Sou-Chong klingt es oft nach grosser Oper. In unserer Inszenierung fassen wir das Ganze wie eine Revue auf und konzentrieren uns auf die jeweiligen Situationen der Figuren und ihr Emotionsfeld. Schlag auf Schlag folgen einander kontrastierende Musiknummern – Walzer, Schlager, charmantes Wiener Lied, tragische Finali und grosse Tableaux –, die dem Abend insgesamt eine melancholische Grundstimmung geben.

Das übliche Operettenpersonal wie Grafen, Generäle oder Diener kommt also nicht mehr vor, im Mittelpunkt der Geschichte stehen Lisa und Sou-Chong. Worum geht es?
Kurz gesagt, um den Clash der Kulturen und das Scheitern einer Liebe. Eine selbstbewusste, von Männern umschwärmte junge europäische Frau, Lisa, verliebt sich Hals über Kopf in einen chinesischen Attaché, den schüchternen und zurückhaltenden Sou-Chong. Sie ist bereit, für diese Liebe bis ans Ende der Welt zu gehen, und begleitet ihn nach China, nachdem er dort zum Ministerpräsidenten ernannt wurde. In China wird ihr ihre Fremdheit jedoch rasch bewusst. Sie, die eine emanzipierte, moderne Frau ist, wird mit anderen Sitten und einem vollkommen antiquierten Frauenbild konfrontiert. Sou-Chong ist letztlich nicht in der Lage, sich von seinem kulturellen Umfeld zu befreien, auch aufgrund seiner gesellschaftlichen Funktion, denn als Ministerpräsident ist er bestimmten politischen Zwängen ausgesetzt. Die chinesische Gesellschaft erweist sich Lisa gegenüber als zunehmend feindselig, was nach und nach auch auf Sou-Chong übergreift, worauf diese Beziehung auseinanderbricht. Lisa kehrt in ihre Heimat zurück. Mich berührt an dieser Geschichte, dass sich diese beiden Menschen im Grunde bis zuletzt lieben und um ihre Liebe kämpfen. Wir erleben die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung und die Verzweiflung der beiden darüber, dass dieser Verbindung keine Zukunft vergönnt ist. Es gibt kein Happy End, was bemerkenswert ist für eine Operette.

Verträgt dieses Genre denn solch eine Tragik?
Auf jeden Fall. Die Geschichte ist ja nicht wirklich tragisch, sondern einfach nur wunderbar traurig. Lisa und Sou-Chong, ja selbst das Buffopaar Mi und Gustl, können nicht zusammenbleiben und müssen in dieser Operette voneinander Abschied nehmen, ganz so, wie wir das auch aus melancholischen Liebesfilmen kennen. Jeder von uns fühlt sich da angesprochen, denn jeder weiss, wie schwer Abschiednehmen ist; unser ganzes Leben besteht letztlich aus Abschiednehmen!

Deine Inszenierung ist in einem eleganten Revueraum der 20er-Jahre angesiedelt. Eine konkrete Aktualisierung des Stoffes wäre für Dich nicht in Frage gekommen? Etwa, um der Frage nachzugehen, wie sich ein Mensch in einem anderen Kontext verhält, oder was es bedeuten kann, in eine fremde Familie einzuheiraten?
Dass eine Frau wegen eines Mannes etwa nach Afghanistan oder nach Saudi-Arabien ziehen würde, wäre für mich schon aufgrund des chinesischen Kolorits von Lehárs Musik problematisch. Für mich sind die Situationen, die im Stück erzählt werden, vollkommen zeitlos, so dass ich eine Übertragung ins Heute nicht brauche. Ich finde auch, dass es nicht die Stärke von Musiktheater ist, politische Themen in einer aktualisierten Form darzubringen, denn die Musik hebt es immer in etwas Allgemeingültiges. China ist im Übrigen immer noch sehr weit weg von uns, wenn auch viel näher als in den 20er-Jahren. Die asiatische Kultur und ihre Traditionen sind uns doch im Grunde noch immer sehr fremd.

Trotzdem wird hier ein für ein heutiges Empfinden ziemlich klischeehaftes China heraufbeschworen. Die damalige Vorstellung vom chinesischen Volk beschränkte sich auf «Schlitzaugen», das maskenhafte Lächeln, das Geheimnisvoll-Exotische. Wie gehst Du mit Klischees um?
Die Operette arbeitet immer mit Klischees, davon lebt sie. Mir macht das Spass. Man muss die Klischees sogar noch ironisch überzeichnen. Ich muss ja kein authentisches China auf die Bühne bringen, es reicht aus, eine kleine Choreografie oder eine deutliche Kostümierung zu zeigen, die im weitesten Sinne an chinesisches Ballett oder chinesisches Theater erinnert. Dadurch habe ich schon «Fremdheit» erzählt. Ich zeige nicht wirklich die Chinesen.

Die Operette hat seit ihren Anfängen immer auch Gleichheit und Brüderlichkeit gepredigt. Ist es nicht eine traurige Botschaft von Land des Lächelns, dass die kulturellen Unterschiede letztlich nicht miteinander vereinbar sind?
Das mag vielleicht bedauernswert sein, ist aber hochaktuell. Tatsächlich leben wir heute in einer Zeit, in der wir feststellen müssen, dass die kulturellen Wurzeln die Menschen sehr stark determinieren und ihr Verhalten bestimmen. Es wird einem bewusst, dass es sehr viel Zeit braucht, um festgefahrene Normen und Weltanschauungen zu verändern; diese Prägungen sitzen tief. Aber die Musik Lehárs wagt dennoch die wunderschöne Operetten-These: «Meine Liebe, Deine Liebe, die sind beide gleich!»


Das Gespräch führte Kathrin Brunner.
Dieser Beitrag ist erschienen im MAG 50, Juni 2017.
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Fotogalerie

 

Szenenbilder «Das Land des Lächelns»

Who is who: «Das Land des Lächelns»

Im Video von 2018 stellen sich Prinz Sou-Chong (Piotr Beczała), Lisa (Julia Kleiter), Mi (Rebeca Olvera) und Graf Gustav von Pottenstein (Spencer Lang; in der Vorstellungsserie 23/24 Andrew Owens) kurz vor.



Familienbande

Julia Kleiter ist mit «Das Land des Lächelns» zurück in Zürich. Die Sopranistin über ihren Weg von Sophie zur Marschallin, ihre Liebe zum Lied und warum sich ein Besuch im Limburger Dom lohnt. Zum Podcast


Essay


Man muss sie spielen, wie sie ist?

Betrachtungen zu der scheinbar unzeitgemässen Gattung Operette aus dem Jahr 2017.

Am 10. Oktober 1929 wurde Franz Lehárs Operette Das Land des Lächelns am Berliner Metropol-Theater uraufgeführt. Zwei Wochen später brachen an der New Yorker Wertpapierbörse die Kurse ein und lösten die berüchtigte Weltwirtschaftskrise von 1929 aus mit ihren verheerenden Folgen. Es gibt keinen Text über Das Land des Lächelns, in dem dieser zeitliche Zusammenhang nicht erwähnt wird. Richard Taubers Welterfolg mit der berühmtesten, für ihn komponierten Arie der Operette «Dein ist mein ganzes Herz» und die grosse wirtschaftliche Depression, die instabilen politischen Verhältnisse im Deutschland der Weimarer Republik sowie der heraufziehende Faschismus scheinen untrennbar zusammen zu gehören.

Der Glanz der Gattung ist mit dem Wetterleuchten von Katastrophen immer wieder eine auffällige Verbindung eingegangen: Keine Operette ohne Krise. So war es, als die Uraufführung der Fledermaus von Johann Strauss 1873 verschoben werden musste, weil die Börse in Wien crashte. So war es, als die Uraufführung von Emmerich Kálmáns Csárdásfürstin mit der Bombenstimmung des Ersten Weltkriegs zusammenfiel. Die Operette ist der Tanz auf dem Vulkan. So ging die Erzählung der modernen, aufgeklärten Operettenliebhaber in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, als man sich im Musiktheater wieder für die altmodische Gattung zu interessieren begann und sie von der Verharmlosung und Vereinnahmung in der Zeit des Nationalsozialismus und dem biederen Erscheinungsbild, das sie in den fünfziger und sechziger Jahren abgegeben hatte, zu befreien versuchte. Die Operette als Walzerschwung über dem Abgrund – in ausgelassener Sektlaune tänzelt sie mit einem Achselzucken über alles Schlimme hinweg: «Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist…» Wobei die ausgelassene Laune in Lehárs Land des Lächelns eher kein Thema ist: Dort herrscht der elegische Tonfall der späten lyrischen Operette, in der Witz und Hochstimmung der Melancholie gewichen sind.

Für viele Exegeten und Interpreten war der Zusammenhang zwischen Krise und Operette der entscheidende Aspekt, der die Gattung erst wieder interessant werden liess: Jenseits ihrer Oberflächlichkeit weiss sie offenbar mehr, als sie zu erkennen gibt. Oft «am Vorabend von Katastrophen» aus der Taufe gehoben, wurde ihr Prophetisches zugesprochen: Sie lässt Schlimmes ahnen, dass sie allerdings absichtsvoll verschweigt. Vor diesem Hintergrund konnte man den Text von Prinz Sou-Chongs Auftrittsarie in Land des Lächelns wie ein Programm für die gesamte Gattung lesen: «Immer nur lächeln, immer vergnügt, immer zufrieden, wie’s immer sich fügt, lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie’s da drin aussieht geht niemand etwas an.»

Dementsprechend machten sich die Regisseure daran, der Operette die Maske des ewigen Lächelns herunterzureissen und offenzulegen, was sich in Wahrheit dahinter verbirgt: Sie entlarvten die Depression hinter dem Übermut, den Geist der Intoleranz hinter der Leichtlebigkeit, kapitalistische Gier hinter dem Schöntuerischen, Xenophobie hinter der Feier des Exotischen und Präfaschismus hinter der galanten Obrigkeitsgläubigkeit. Das war lange Zeit eine gängige Umgangsform mit der Operette: Die Gattung ernst zu nehmen, hiess, sie ihrer Verlogenheit zu überführen. Wer sie weiterhin nur naiv und affirmativ ans Herz zu drücken wagte, sah sich mit dem Vorwurf des Provinziellen und Reaktionären konfrontiert.

In den Operettenproduktionen wieder genau den Stachel des subversiv Politischen und Zeitkritischen spüren zu lassen, den ihnen die Nationalsozialisten gezogen hatten, war gewiss ein wichtiger Impuls. Dass allerdings auch das Abräumen der Illusionen zum Klischee gerinnen kann und notorische Geschichtsreflexe pappkulissenhafte Züge annehmen können, wurde erst nach und nach als Problem wahrgenommen.

Im Verlaufe der neunziger Jahre verschob sich dann das Interesse von den ernsten Abgründen hinter der Oberfläche auf das Leichte an sich. In gewiss nicht zufälliger Parallelität zur plötzlichen post-modern-ironischen Hippness des deutschen Schlagers begann man das Triviale und Künstliche an der Operette zu feiern. Sie wurde zur Spielweise für Travestie und Trash, knallbunt und überdreht. So machten etwa die schweizerisch-deutschen Unterhaltungskünstler Geschwister Pfister Ralph Benatzkys Im weissen Rössl in der Berliner Bar jeder Vernunft zu einem Kultstück des Underground.

Der Musikwissenschaftler und Operettenkenner Clemens Risi konstatiert für die vergangenen zwanzig Jahre eine auf dieser Revitalisierung aufbauende Renaissance der Operette und beschreibt sie als eine Entwicklung, bei der die schillernde Oberfläche als das Wesentliche der Gattung in den Blick gerät, anstatt einer sich dahinter auftuenden Tiefendimensionen. Die Auffassung, dass das Wesentliche immer in der Tiefe zu suchen und die Oberflächliche zu vernachlässigen sei, gehöre zum überholten Denken der Moderne, so seine postmoderne Theorie. Risi sieht im aktuellen Umgang mit der Operette ein Konzept, das die Oberfläche, die alles erfasse, «programmatisch zum Eigentlichen und Einzigen erhebt». Es gebe nichts daneben, dahinter oder darunter.

Wer als Interpret die Oberflächlichkeit und Leichtigkeit der Operette als das Eigentliche in den Blick nehmen will, muss sie freilich auch beherrschen. Die hybride, offene Form changiert zwischen Oper, Schauspiel, Tanz und Revue, und jede Darstellungsart will mit entsprechender Metierkenntnis szenisch auf die Bühne gebracht werden. Der einfachen musikalischen Nummernfolge, die Lehárs Partitur aneinanderreiht, steht ein grosses Raffinement in der Orchesterbehandlung gegenüber, das in all seinen Feinheiten vom Dirigenten erfasst und ausbalanciert werden will. So geistesschlicht die Texte auch daherzukommen scheinen («Ich liebe dich, und du liebst mich, und da liegt alles drin», singen Gustl und Mi), sie bedürfen einer glaubhaften Emotionalität, um nicht ins Lächerliche abzugleiten. Und vor dem Verharmlosungston, den die Figuren selbst gerne anschlagen, muss man die Operette sowieso schützen: Auf der Bühne geht es musiktheatralisch immer ums Ganze, auch wenn Lisa – nachdem sie ihrem Verehrer Gustl den Laufpass gegeben hat – singt: «Freunderl mach dir nix draus, ’s war ja nicht so bös gemeint. Es ist nicht so arg, wie es scheint.»

Die Gefahr falschen Sentiments hat Lehár selbst gesehen und ihr in einem Text von 1926 («Die Operette, wie ich sie mir vorstelle») mit viel Herzblut entgegengehalten, die Figuren würden in ihm, dem Komponisten, lebendig: «Ihre Gefühle werden meine Gefühle, ihr ganzes Wesen löst sich, wie die Landschaft, in der sie stehen, und die Luft, die sie atmen, in Musik auf.» Lehár bringt dieses Bekenntnis gegen die Vorurteile in Anschlag, die den Operettenproduktionen der 1920er Jahre (und insbesondere seinen eigenen Werken) anhafteten – «flüchtige Abendunterhaltung» seien sie, «der einmalige grosse Serienerfolg» das Ziel, «das geschäftliche Interesse» dominiere. Da ist allerdings etwas dran: Im Spannungsfeld zwischen kaltem Erfolgskalkül und Herzens warmer Empfindung hat sich die Operette immer bewegt. Auch das macht den Umgang mit ihr nicht leichter. Sie zielt auf robuste Massenwirksamkeit und erweist sich zugleich als ein höchst fragiles Konstrukt, das, von ungeschickten Fingern an gefasst, sofort zu Bruch geht.

Der Operette gerecht zu werden, heisst eben, sich auf ein komplexes Metier einzulassen. Wer mit brachialen Mitteln gegen ihre Zerbrechlichkeit an inszeniert, hält am Ende nur Scherben in den Händen. «Die Operette will heute nicht mehr entzaubert werden», schrieb die Kritikerin Christine Lemke-Matwey vor einigen Jahren in einer Grundsatz-Betrachtung zur Operette in der Wochenzeitung DIE ZEIT: «Anarchie ist, sie so zu spielen, wie sie ist, wenn man es denn kann und beherrscht, vom Theaterhandwerk her, als Defilee der Fadenscheinigkeiten, als ’verkleidete Musik und Musik der Verkleidungen’ (René Leibowitz). Anarchie ist, an die Heilkräfte des guten alten bürgerlichen Lachtheaters neu zu glauben.»

Die Operetten von Offenbach bis Lehár «zu spielen, wie sie sind» kann freilich keine Verengung der Perspektive auf einen gusseisernen Unterhaltungsbegriff von anno dazumal meinen. Dafür ist das Genre viel zu offen, wandelbar und von subversiven Facetten durchsetzt. Reich sind die Möglichkeiten, sich der Operette in inniger Zuneigung zu nähern.

Christoph Marthaler etwa, der viele Operetten inszeniert hat, spielt gern auf surreale Weise mit der Vergangenheitsseligkeit und dem Nostalgischen, das der Gattung innewohnt. Wie aus der Zeit gefallene und vom Fortschritt vergessene, skurrile Einsamkeitshelden stehen seine Operettenfiguren auf der Bühne. Ein Regisseur wie Herbert Fritsch setzt in seinen Produktionen, die er in Bremen und Berlin realisiert hat, auf die Schlagfertigkeit und Unverschämtheit der Boulevard-Komödie. Mit der Exaltiertheit seines stotternden, grimassierenden und virtuos sich verknotenden Körpertheaters nimmt er das Triviale der Gattung beim Wort.

Barrie Kosky, der Regisseur und Intendant der Komischen Oper in Berlin, wiederum frönt dem glamourösen, talmihaften Rausch, den die leichte Muse zu entfachen versteht. Die Grenzziehung zwischen hoher E- und niederer U-Musik, die dem Australier mit ungarisch-russisch-jüdischen Wurzeln am deutschen Kulturbetrieb auf die Nerven geht, ignoriert er frohgemut und macht die Operette mit viel Könnerschaft, schriller Farbigkeit, Divenkult und querem Witz zu einem programmatischen Eckpfeiler seines Hauses. Ein Konzept, das an die Vitalität des wilden Berlin der zwanziger Jahre anknüpft und dementsprechend stark an die aktuelle Metropolenstimmung der deutschen Hauptstadt gebunden ist.

Es gibt viele Wege, einen neuen, frischen Umgang mit der Operette zu pflegen. Entscheidend dabei ist, dass sich die Macher der Theaterhaftigkeit der Gattung bewusst sind. Die Operette behauptet eine Welt, aber diese bleibt als Behauptung immer erkennbar. Die Operette darf oberflächlich sein, aber sie weiss um ihre Oberflächlichkeit. Sie ist immer selbst im Bilde darüber, dass sie «gemacht» ist. Diese Selbstdistanz erlaubt es den Protagonisten, mit dem Hergestellten des Theater zu spielen, unvermittelt aus der Welt des schönen Scheins auszusteigen, die berühmte vierte Theaterwand zum Publikum zu durchbrechen, und sei es nur mit einem beiläufigen Augenzwinkern. So ist es im Falle des Land des Lächelns schon bei Richard Tauber gewesen. Sein berühmtes «Dein ist mein ganzes Herz» war ein Hit in den frühen Zeiten von Radio und Schallplatte. Er hat es nicht nur an seine geliebte Lisa gerichtet, sondern an jeden Einzelnen seines weltumspannenden Publikums. Der Adressat der Emotionen kann sich in der Operette von der Figur auf der Bühne auf die versammelte Liebhabergemeinde verschieben. Alle dürfen sich mit dem «Du» und «Dein» gemeint fühlen – als Verabredung, als wissendes Spiel!


Text von Claus Spahn.
Dieser Beitrag ist erschienen im MAG 50, Juni 2017.
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Meine Rolle


Er ist kein Held

Der Tenor Piotr Beczała berichtete 2018 über seine Rolle als Prinz Sou-Chong in «Das Land des Lächelns»

Franz Lehárs Land des Lächelns ist keine typische Operette. Und das nicht nur wegen des traurigen Schlusses: Prinz Sou-Chong entsagt seiner grossen Liebe, denn er und Lisa stammen einfach aus zu unterschiedlichen Kulturkreisen. Aber auch die Musik erinnert zuweilen mehr an Richard Wagner als an andere Operetten. Sou-Chong ist eine sehr schwierige Partie, es ist eine fast veristische Rolle, sehr expressiv, bewegt sich sehr viel in der hohen Mittellage und ist deshalb nicht sehr angenehm zu singen. Man muss die Balance finden zwischen eleganter, zarter Phrasierung und hochdramatischen Ausbrüchen. Lehár hat diese Rolle dem Tenor Richard Tauber auf den Leib geschrieben, und man spürt, dass das ein grossartiger Sänger war, der mühelos über eine hervorragende Technik verfügte. Für mich ist es zudem schwieriger, auf Deutsch zu singen als auf Italienisch. Aber all diese Herausforderungen nehme ich gern an, denn Lehárs Melodien – nicht nur in «Dein ist mein ganzes Herz» – sind genial.

Als Figur empfinde ich Sou-Chong durchaus als zwiespältig. Im ersten Teil des Stückes lebt er in Wien; dort ist er ein Fremder in einer Umgebung, mit der er nicht zurechtkommt, an die er aber auch nicht bereit ist, sich anzupassen; er will sich dort gar nicht einleben, er fühlt sich unwohl, fehl am Platz, weiss nicht, wie man in Europa mit Frauen umgeht. Trotzdem verliebt er sich in Lisa; sie wiederum findet gerade das Fremde und Unbekannte faszinierend und verliebt sich so sehr in Sou-Chong, dass sie bereit ist, ihm nach China zu folgen. Doch das kann nicht gutgehen; sie ist eine emanzipierte, für die Entstehungszeit der Operette erstaunlich selbstbestimmte Frau, und sie ist die viel stärkere Persönlichkeit. Er dagegen lässt sich von den Traditionen seines Landes bestimmen und kann nicht wirklich zu seiner Liebe stehen. Ich möchte keinen Helden aus Sou-Chong machen, sondern auch seine Schwächen zeigen. Ähnlich wie Werther ist auch Sou-Chong eine sehr egoistische Figur – trotz der grossartigen Musik, die Sou-Chong zu singen hat. Und dass er Lisa am Ende verzeiht, als sie beschliesst, nach Wien zurückzukehren, ist für mich nicht einfach eine nette Geste, sondern auch eine subtile Art der Machtausübung.

Diese Geschichte ohne den Hintergrund der beiden unterschiedlichen, unvereinbaren Kulturkreise zu erzählen, wäre meiner Meinung nach nicht möglich. Man muss verstehen, was Sou-Chong für eine Vorgeschichte hat, wo er herkommt, um zu verstehen, warum er sich so verhält. Wenn man Das Land des Lächelns ohne diesen Hintergrund auf die Bühne bringen würde, wäre es ein bisschen wie Winnetou in Zürich. Unsere Inszenierung scheint mir in dieser Hinsicht sehr gelungen; ein paar geschmackvolle Andeutungen in Bühnenbild und Kostümen reichen da völlig aus.

Auf die Wiederaufnahme freue ich mich sehr. Obwohl die Premierenserie schon sehr gut lief, gibt es sicher auch Dinge, die sich noch verbessern lassen und wo wir noch subtiler werden können. Ich bin sicher, dass wir wieder sehr viel Spass haben werden und hoffe, dass es uns auch dieses Mal gelingt, das Publikum zu berühren.


Dieser Artikel ist erschienen in MAG 59, Mai 2018.
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Die geniale Stelle


Doch wie’s da drin aussieht…

Ein Motiv aus Franz Lehárs «Land des Lächelns».

Was für ein angenehmer Mensch, dieser chinesische Prinz Sou-Chong! Immer adrett und dem Anlass entsprechend gekleidet, auf eine natürliche Weise höflich – kurz: ein Mann von makellosem Benehmen, der Liebling jeder Abendgesellschaft Wiens. Man würde ihm nicht anmerken, dass er aus einem anderen «Kulturkreis» kommt, vom anderen Ende der Welt, aus dem fernsten Orient, wo, wie doch jedermann in Wien weiss, so ganz andere, uralte und grausame Sitten herrschen. Man würde nicht darauf kommen, wäre da nicht das schwach sich andeutende Exotische in seinen Gesichtszügen. Seltsam und unheimlich ist dieses immer unbewegte Gesicht.

So seltsam wie die Akkordfolge, die der Komponist ihm als Leitmotiv zugedacht hat: Ein flirrendes Tremolo der Streicher wird überlagert von Trillern der Holzbläser, während die Blechbläser wie hinter einem dichten Schleier in der Tiefe ihr Wesen treiben. Eine ungewöhnliche Zusammenstellung von Klangfarben, die nicht miteinander verschmelzen und doch eine Einheit zu bilden scheinen. Äusserst kühn ist die Harmonik: Eine Abfolge von scharf dissonierenden Akkorden, die im Rahmen der herkömmlichen Tonalität nicht zu erklären sind. Hinter dem Schleier scheint ein grosses Geheimnis zu lauern. Nicht nur «Weh und tausend Schmerzen» liegen hinter dem immerwährenden Lächeln verborgen: Die verminderte Quinte, die im Bass erklingt, das «Teufelsintervall», erzeugt die Ahnung einer drohenden Gefahr.

Dieses Motiv steht vollkommen isoliert und unveränderlich im musikalischen Gefüge. Sein Einfluss lässt sich nur in einigen kurzen bitonalen Passagen erahnen, in denen das Aussergewöhnliche zum Ornament wird, das der strikt tonalen Musik eine delikate Würze hinzufügt, aber nie die Substanz berührt. Das Fremde ist «apart», und es ist das «Aparte», das Lisa an Sou-Chong zu lieben glaubt, dessen Geheimnis sie allerdings nicht erforscht, der ihr so unbegreiflich bleibt wie seine Musik. Selbst wenn sie dem Geliebten in seine Heimat folgt, macht sie – ganz anders als Sou-Chong in Wien – keinen Versuch, die Bräuche des Landes kennenzulernen. Und wenn sich die Bekanntschaft mit diesen Bräuchen nicht mehr vermeiden lässt, ergreift sie die Flucht.

Mit Gewalt brechen die atonalen Klänge genau in dem Augenblick zum letzten Mal herein, da Lisa endgültig die Bühne verlässt. Erst jetzt wird klar, dass es nicht Sou-Chongs Motiv ist, das wir hören. Es beschreibt nicht seinen Charakter, sondern den Blick der Europäer auf den «Asiaten»: Sie nehmen nur einen undurchdringlichen Schleier wahr, der vor dem Eigentlichen liegt, hinter den zu blicken niemand versucht. Die zwei Takte bei Lisas Abgang – mit dem nun besonders laut dröhnenden «Teufelsintervall» im Bass – beschreiben ihren Abschied, mit dem sie Sou-Chong für immer auf die Rolle des exotischen Barbaren festlegt. Die Tür fällt ins Schloss, der Versuch, eine Liebe über die Grenzen der Kulturen hinweg zu leben, ist gescheitert.

Was Lehár (möglicherweise ohne es zu wissen und sogar gegen seine Überzeugung – das Werk ist klüger als sein Autor) in dieser knappen musikalischen Formulierung durch die Partitur erfasst, ist der Grund für das Scheitern einer Strategie im Umgang mit dem Fremden; jener seit dem Missionsbefehl des Neuen Testaments für den Okzident verbindlichen Strategie, die Bertolt Brecht so auf den Punkt brachte: «Was tun Sie», wurde Herr K. gefragt, «wenn sie einen Menschen lieben?» «Ich mache einen Entwurf von ihm», sagte Herr K., «und sorge, dass er ihm ähnlich wird.» «Wer? Der Entwurf?» «Nein», sagte Herr K. «Der Mensch.»


Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 59, Mai 2018.
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Audio-Einführung zu «Das Land des Lächelns»

Programmbuch

Das Land des Lächelns

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