Bruckner / Beethoven
1. Philharmonisches Konzert
Philharmonia Zürich
Anton Bruckner
Sinfonie d-Moll WAB 100 «Nullte»
Ludwig van Beethoven
Sinfonie Nr. 7 A-Dur op. 92
Dauer ca. 2 Std. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 50 Min.
Vergangene Termine
Oktober 2020
25
Okt11.15
Bruckner / Beethoven
1. Philharmonisches Konzert, Konzert-Abo
Gut zu wissen
Bruckner / Beethoven
Kurzgefasst
Bruckner / Beethoven
Im ersten Philharmonischen Konzert dieser Spielzeit gehört die Bühne einmal wieder ganz den Musikerinnen und Musikern unseres Orchesters. Nicht nur akustisch (wie zurzeit in unseren Opern und Ballettvorstellungen), sondern auch optisch und räumlich ist die Philharmonia Zürich an diesem Sonntagmorgen in grosser sinfonischer Besetzung präsent. Am Pult steht Markus Poschner, Chefdirigent des Brucknerorchesters Linz und ständiger Gast am Opernhaus Zürich, wo er in dieser Spielzeit auch Richard Strauss’ Capriccio dirigieren wird. Mit der sogenannten Nullten steht eine frühe Sinfonie in d-Moll von Anton Bruckner auf dem Programm. Der Komponist selbst annullierte das Werk im Nachhinein als «ganz ungiltig (nur ein Versuch)». Dennoch trägt diese 1869 entstandene Sinfonie mit mächtigen Klangballungen, Bläserchorälen und feierlicherhabenem Ton schon unverkennbar Brucknersche Züge. Von Ludwig van Beethoven erklingt die von tänzerischen Rhythmen geprägte und vor Lebensfreude nur so sprühende, 1813 in Wien uraufgeführte Siebte Sinfonie A-Dur op. 92.
Die geniale Stelle
In der unrühmlich dahingeschwundenen DDR gab es einen Musikwissenschaftler, der die fixe Idee verfolgte, nahezu jeder melodischen Linie Beethovens liessen sich die Worte der Ode an die Freude unterlegen. In zahllosen Publikationen hat er sich mit diesem – allzu offensichtlich ideologisch bestimmten – Bild eines Lebenswerks, das geradlinig auf das Finale der 9. Sinfonie und die darin ausgedrückten Ideen zusteuert, zum Gespött seiner Fachkollegen gemacht. Der Fall wäre nicht mehr der Erwähnung wert, würde nicht eine grosse Wahrheit in der Narrheit liegen: Denn tatsächlich hat kaum ein anderer Komponist Zustände grösster, alle Grenzen sprengender Freude komponiert. Und keineswegs nur im Finale seiner letzten Sinfonie. Man hat die auffällige Neigung zur Gestaltung solcher Ausbrüche mit Beethovens cholerischem Charakter erklärt, denn der Choleriker kennt nicht nur heftige Zornausbrüche, sondern auch Zustände geradezu ekstatischer Freude, wie sie Beethoven erstaunlich oft gestaltet hat. So auch im Finale seiner siebten Sinfonie, die Richard Wagner als «Apotheose des Tanzes» bezeichnete. Das Hauptthema des Satzes ist eine übermütig wirbelnde Tanzmelodie, die von slawischer Volksmusik inspiriert ist und dem ganzen Satz ihren unwiderstehlichen Schwung verleiht. Aber seltsam: In der zweiten Periode dieses Themas spielen die ersten Violinen eine nur vier Töne lange,
chromatisch absteigende Linie, deren klagender Charakter in auffallendem Widerspruch zur Umgebung steht. Es ist nur eine kurze Eintrübung, die im allgemeinen Trubel fast untergeht. Aber ein Blick in die Stimmen der Holzbläser lässt aufmerken: Ihre Stimmen betonen nachdrücklich den Charakter der Klage, indem die Linie aus vier Tönen in zwei Gruppen zu je zwei absteigenden Sekundschritten zerlegt wird. Die absteigende Sekunde aber wird traditionell als Seufzer-Motiv, als Symbol der Trauer oder des Schmerzes verwendet.
Wie Schiller wusste Beethoven um die Kraft der Freude, die Menschen zu verbinden, und entdeckte in den Momenten, wo sie das bewirkt, den Vorschein eines besseren Lebens, eines solidarischen Lebens in Freiheit: wo «alle Menschen Brüder» sind. Diesen Gedanken hat er immer wieder gestaltet (und insofern war der vorerwähnte Musikwissenschaftler auf der richtigen Fährte). Aber Beethoven war nicht der Maler gemütlicher Idyllen. Er wusste auch darum, dass dieses erträumte Glück gefährdet ist, erkämpft und verteidigt werden muss. Die kriegerischen Passagen dieses Satzes mit ihren heftig punktierten Rhythmen, die auf die Musik der französischen Revolution verweisen, stehen dafür ein. Das hat die junge Bettina von Arnim wohl verstanden, die an Goethe schrieb, beim Anhören dieser Musik habe sie sich vorgestellt, «den Völkern mit fliegender Fahne voranziehen zu müssen». Voranzuziehen, so würde Beethoven vielleicht fortgesetzt haben, in den Kampf für die Befreiung der Menschheit in Freude. In einer Freude freilich, die immer gefährdet ist, die immer verteidigt werden muss gegen die Feinde der Menschheit. So fallen der von Wagner apostrophierte Tanz und Bettinas Kriegsmarsch in eins. Der ekstatische Charakter des Finales ist mithin nicht einfach psychologisch aus Beethovens cholerischem Charakter zu erklären. Dahinter – und hinter den Verdüsterungen, die immer wieder einbrechen und überwunden werden – steht vielmehr ein weitreichendes, die gesamte Menschheitsgeschichte umspannendes politisches Programm, dessen Essenz in gerade einmal vier Tönen übermittelt wird.
Text von Werner Hintze.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 78, Oktober 2020.
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Biografie
Markus Poschner, Dirigent
Markus Poschner
Markus Poschner wirkte nach dem Studium in München sowie nach Assistenzen bei Sir Roger Norrington und Sir Colin Davis zunächst als 1. Kapellmeister an der Komischen Oper Berlin. Von 2007 bis 2017 war er GMD der Bremer Philharmoniker. 2010 ernannte ihn die Universität Bremen zum Honorarprofessor, ebenso die Anton-Bruckner-Universität in Linz im Jahre 2020. Mit dem Orchestra della Svizzera italiana, dessen Chefdirigent Markus Poschner seit 2015 ist, gewann er den «InternationalClassicalMusicAward 2018» für seine Aufnahme der Brahms-Sinfonien. Seit 2017 als Chefdirigent des Bruckner Orchester Linz tätig, gewann Markus Poschner 2020 die Auszeichnung «Dirigent des Jahres» sowie «Orchester des Jahres» in Österreich. 2024 kam der «Special Achievement Award» der Jury des «InternationalClassicalMusicAward» für die Gesamtausgabe der Bruckner-Symphonien hinzu. Seit seiner Auszeichnung mit dem «Deutschen Dirigentenpreis» gastiert Poschner u.a. bei der Staatskapelle Dresden, Staatskapelle Berlin, den Münchner und Dresdner Philharmonikern, dem Konzerthausorchester Berlin, dem RSB Berlin und dem RSO Wien, den Wiener Symphonikern, dem Orchestre National de France, dem Orchestre Philharmonique de Radio France, den Netherlands Philharmonic, dem Antwerp Symphony Orchestra, NHK Tokio, dem Utah und dem Dallas Symphony Orchestra sowie an der Staatsoper Berlin, der Wiener Staatsoper, der Hamburgischen Staatsoper, der Oper Frankfurt, der Staatsoper Stuttgart und am Opernhaus Zürich. 2022 eröffnete Markus Poschner mit Tristan und Isolde die Bayreuther Festspiele und kehrte im Sommer 2023 ebenfalls für Tristan nach Bayreuth zurück. Ab der Spielzeit 2025/26 ist Markus Poschner ausserdem Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel.