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Bach

1. La Scintilla-Konzert

Johann Sebastian Bach
Brandenburgische Konzerte 1-6

Dauer 2 Std. 15 Min. inkl. Pause nach ca. 1 Std.

Gut zu wissen


Gespräch


Wir müssen die Traditionen hinterfragen

Der italienische Dirigent und Geiger Riccardo Minasi arbeitet ab dieser Saison regelmässig mit dem Orchestra La Scintilla zusammen. Ein Gespräch über seine Ziele mit unserem Ensemble und die Pflege der historisch informierten Aufführungspraxis in der Gegenwart.

Riccardo, wir treffen uns in Zürich, aber du probst nicht mit La Scintilla?
Nein, ich bin nur auf Durchreise. Gestern war ich in Grandson am Neuenburgersee, wo es ein fantastisches Tonstudio gibt. Dort habe ich vor acht Jahren ein Album aufgenommen, bin aber bis heute nicht dazugekommen, es fertigzustellen. Das wollte ich nun endlich in Angriff nehmen. Ich plane oft zu viele Projekte gleichzeitig …

Anfang März bist du dann tatsächlich am Opernhaus und wirst hier bis Ende dieser Spielzeit mit La Scintilla gleich vier Konzerte aufführen. Wie kommt es zu dieser intensiven Zusammenarbeit und wie hat sie begonnen?
Es gab bereits eine Verbindung zu La Scintilla, bevor ich als Dirigent mit diesem Ensemble gearbeitet habe: Vor etwa zehn Jahren habe ich zusammen mit Maurizio Biondi angefangen, an der neuen kritischen Ausgabe von Vincenzo Bellinis Norma zu arbeiten, die bei Bärenreiter erschienen ist. Als Cecilia Bartoli diese Ausgabe auch für Aufführungen und ihre Aufnahme mit La Scintilla verwenden wollte, ergab sich ein erster Kontakt zwischen dem Orchester und mir – zunächst allerdings im Bereich der Forschung. Etwa gleichzeitig begann ich aber auch einzelne Konzerte zu dirigieren, lernte im Rahmen einer Ballettproduktion und bei Don Giovanni dieselben Musikerinnen und Musiker als Mitglieder der Philharmonia Zürich besser kennen – und so wurde die Zusammenarbeit immer intensiver, bis wir schliesslich eine Mozart-Platte mit Juan Diego Flórez aufgenommen und mit Mozarts Entführung aus dem Serail auch eine erste Opernproduktion auf historischen Instrumenten erarbeitet haben.

Mit den Opern von Mozart sind die Musikerinnen und Musiker von La Scintilla seit vielen Jahren vertraut. Die meisten haben sie mit Nikolaus Harnoncourt erarbeitet und dabei beständig nach einem adäquaten Klang geforscht, indem nach und nach die Spielpraxis und das Instrumentarium verändert wurde. Wie fühlt es sich an, am Pult dieses Orchesters Mozart zu dirigieren?
Es fühlt sich sehr natürlich an. Ich empfinde La Scintilla als einen sehr wandlungsfähigen Klangkörper. Es gibt andere Orchester, die vielleicht eine stärker ausgeprägte Tradition haben, gegen die man als Dirigent aber zuweilen fast ankämpfen muss, wenn man etwas Eigenes erreichen will. Das ist bei La Scintilla nicht der Fall. Manchmal bin ich selber verblüfft, wie konsequent die Musikerinnen und Musiker dieses Orchesters dem Dirigenten folgen; man kann mit ihnen viel ausprobieren, in alle Extreme gehen und jede einzelne Phrase modellieren. Als ich mit Juan Diego Flórez für sein Mozart-Album zusammenkam, stand deshalb auch schnell fest, dass La Scintilla das richtige Orchester für dieses Projekt ist: Wir suchten ein sehr flexibles Ensemble, das auf historischen Instrumenten musiziert und grosse Erfahrung mit den Opern Mozarts sowie mit der Begleitung von Sängern hat.

Auch du hast in den letzten Jahren viel mit Sängerinnen und Sängern gearbeitet, viel Beachtung fand beispielsweise das Projekt Stella di Napoli, das du mit Joyce DiDonato realisiert hast. Andererseits hast du dich 2016 vom Ensemble Il pomo d’oro getrennt, das du 2012 selber gegründet hattest. Warum ist es dazu gekommen?
Mit dem Ensemble Il pomo d’oro habe ich viele gute Projekte gemacht. Dass ich mich nach einer gewissen Zeit davon getrennt habe, hat sehr verschiedene Gründe – persönliche, aber vor allem auch künstlerische. Ich wollte mit diesem Orchester viel erreichen, habe den Musikerinnen und Musikern enorm viel abgefordert und grosse Disziplin und Seriosität verlangt. Das hat aber nicht alle gleich stark interessiert. Irgendwann gab es für mich dort kein Vorankommen mehr wie ich es gerne gehabt hätte, und deshalb auch keinen Grund mehr zu bleiben. Gleichzeitig wurde ich von vielen Orchestern als Gastdirigent angefragt, was mir neue Perspektiven eröffnete, und ich intensivierte die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Ensemble Resonanz, das ich für eines der besten Kammerorchester in Deutschland halte. Es ist ein äusserst offenes, spielfreudiges und zielbewusstes Ensemble, mit dem die Arbeit grossen Spass macht.

Das Ensemble Resonanz spielt auf modernen Instrumenten und widmet sich sowohl älterer als auch zeitgenössischer Musik. Welche Rolle spielt heute in deiner musikalischen Arbeit die historische Aufführungspraxis?
Ich finde, dass die Bewegung der historischen Aufführungspraxis heute kläglich gescheitert ist. Was zurzeit unter diesem Begriff angeboten wird, ist – mit ein paar Ausnahmen – ein Bluff: Das Niveau, auf dem gespielt wird, ist oft erschreckend amateurhaft, und es fehlt der Austausch zwischen den Musizierenden und der akademischen Forschung. Solange diese zwei entscheidenden Faktoren nicht beachtet werden, macht es für mich keinen Sinn, in diese Richtung weiter zu gehen. Seit den Anfängen der historischen Aufführungspraxis ist unglaublich viel passiert – Instrumente wurden weiterentwickelt, Quellen erschlossen, Stücke entdeckt. Aber all dies muss Bestandteil des täglichen Probenprozesses sein. Als mir die Musikerinnen und Musiker von La Scintilla eine regelmässige Zusammenarbeit vorgeschlagen haben, bin ich deshalb nur unter gewissen Konditionen darauf eingegangen. Eine davon war, dass wir wirklich diejenigen Instrumente verwenden, die zur Entstehungszeit der jeweiligen Werke in Gebrauch waren. Manchmal werde ich von Orchestern, die auf modernen Instrumenten spielen, gefragt, ob ich Naturhörner oder historische Trompeten, die mit modernem Mundstück gespielt werden, haben möchte. Aber solche Kompromisse, die in den 70er- oder 80er- Jahren des vergangenen Jahrhunderts gemacht wurden, interessieren mich nicht. Ich bevorzuge es in diesem Fall, auf modernem Instrumentarium zu musizieren – damit habe ich überhaupt kein Problem!

Solche Kompromisse zu umgehen, ist ein klares Ziel von La Scintilla. In den letzten Jahren hat das Orchester beispielsweise Werke aus der Zeit um Rossini und Bellini auf zeitgemässen Instrumenten gespielt, was mit grossen Herausforderungen verbunden ist…
Die Mitglieder von La Scintilla sind in dieser Hinsicht sehr offen. Ich habe bei spielsweise viel mit dem Solooboisten Philipp Mahrenholz oder dem Soloklarinettisten Robert Pickup über Instrumente und Spieltechniken diskutiert. Es sind Musiker, bei denen man spürt, dass sie sich und ihr Ensemble in jeder Hinsicht weiterentwickeln wollen: nicht nur musikalisch, auch technisch, ästhetisch und philosophisch sind sie stets auf der Suche nach neuen Pfaden. Wenn mir ein Orchester dieses Gefühl vermitteln kann, dann fällt es mir leichter, Verantwortung abzugeben, und ich fühle mich in meinen Absichten unterstützt.

Um noch einmal auf die Frage der Aufführungspraxis zurückzukommen: Wie schätzst du zum Beispiel die Arbeit von Teodor Currentzis und seinem Originalklang-Ensemble Music-Aeterna ein? Sie haben Werke von Rameau über Mozart bis zu Strawinsky auf recht unkonventionelle Weise eingespielt. Wie klingen diese Interpretationen für dich?
Ich habe das Ensemble letztes Jahr in Deutschland gehört, mit einer grossartigen Interpretation der Siebten Sinfonie von Beethoven. Die Musikerinnen und Musiker dieses Ensembles sind spieltechnisch auf einem sehr hohen Niveau. Teodor und ich haben zwar unterschiedliche Ansätze und Visionen. Aber ich erkenne bei ihm, dass er sich Ziele setzt, und dass er diese mit unglaublicher Energie verfolgt. Er ist ein Fanatiker wie ich – und ich glaube, das ist das Entscheidende! In meinem Studium in Rom erhielt ich damals Unterricht von Mitgliedern des Kammerorchesters I Musici. Das waren alles besessene Musiker, die unermüdlich geprobt und – bevor überhaupt von historischer Aufführungspraxis die Rede war – wichtige Pionierarbeit geleistet haben, indem sie viele Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts überhaupt wieder bekannt machten. Von diesen Lehrern bin ich geprägt; und die Energie, die sie hatten, fehlt mir heute manchmal.

Hat das denn etwas mit der heutigen Generation von Musikerinnen und Musikern zu tun? Auch im Orchestra La Scintilla rückt ja beständig eine neue Generation nach, die zum Beispiel die wertvolle Aufbauarbeit von Nikolaus Harnoncourt nicht mehr selbst erlebt hat. Was ist für diese jungen Künstlerinnen und Künstler wichtig?
Am Wichtigsten ist es, das Interesse nicht zu verlieren und es immer wieder zu wagen, Traditionen zu hinterfragen. In der praktischen Umsetzung dessen, was die Forschung ans Licht gebracht hat, gibt es immer noch viel zu tun – und in gewisser Weise ist es heute ja einfacher als je zuvor: Viele Werkausgaben und -kommentare sind heute im Internet zu finden! Vor ein paar Jahren musste ich mir noch Mikrofilme in den Bibliotheken bestellen. Heute kann jeder von zuhause aus recherchieren. Diese Chance sollten wir nutzen. Forschung ist zwar zeitaufwändig und manchmal etwas trocken, aber sie macht das Musizieren auch aufregender. Harnoncourt hat sehr richtig gesagt, dass unsere Interpretationen dann am frischesten und aktuellsten sind, wenn wir tief in der Vergangenheit graben!

Welche Schwerpunkte hast du gemeinsam mit den La Scintilla-­Mitgliedern für die Konzerte in dieser und der kommenden Spielzeit gesetzt?
Im ersten Konzert spielen wir die Brandenburgischen Konzerte von Johann Sebastian Bach, und im zweiten steht mit den Vier Jahreszeiten von Vivaldi gleich wieder eine sehr populäre Komposition auf dem Programm. Neben der Pflege dieses Kernrepertoires ist es mir aber auch ein Anliegen, selten gehörte oder gar unbekannte Musik zu spielen: In den beiden weiteren Konzerten werden deshalb unter anderem bisher unveröffentlichte Händel-Arien sowie selten gespielte Konzerte und Sinfonien von italienischen Komponisten des frühen 18. Jahrhunderts zu hören sein. Wichtig finde ich ausserdem, dass wir alle Instrumentengruppen des Orchesters in unsere Arbeit involvieren können; das ist ein Grund dafür, weshalb wir in der kommenden Spielzeit dem in Tschechien geborenen und am Dresdner Hof tätigen Komponisten Jan Dismas Zelenka ein Programm widmen werden: Zelenka hat nicht nur einen einzigartigen, hochinteressanten musikalischen Stil, sondern er kombiniert auch sehr viele und verschiedene Instrumente miteinander; und er gehört zu den wenigen Komponisten, die im frühen 18. Jahrhundert Stücke für das Chalumeau, den Vorläufer der Klarinette, geschrieben haben.

Warum spielt ihr im ersten Konzert gleich alle sechs Brandenburgische Konzerte? Waren diese für eine solche zyklische Aufführung gedacht?
Ob sie dafür gedacht waren, weiss ich nicht. Aber es gibt einen Zusammenhang zwischen den sechs Konzerten, der nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist: Jedes der sechs Konzerte, die Bach dem Markgrafen von Brandenburg gewidmet hat, hat eine allegorische Bedeutung, die sehr genau zu erkennen ist. Der englische Musiker Philip Pickett hat diese Bedeutungen in einem Essay beschrieben – und seine Sicht überzeugt mich sehr. Die verschiedenen allegorischen Bedeutungen hängen wiederum mit der Wahl der Instrumente zusammen, was auch erklärt, warum die Konzerte so unterschiedlich besetzt sind: Die Allegorie des Triumphs im ersten Konzert hängt mit der Verwendung der Hörner zusammen, diejenige des Ruhms im zweiten Konzert mit der Trompete; im dritten Konzert ist alles von der Zahl Drei bestimmt: drei mal drei Streicher stehen im Zusammenhang mit der Allegorie der neun Musen; die tiefen Streicher im sechsten Konzert versinnbildlichen wiederum die Allegorie des «Memento mori», um nur ein paar Beispiele zu nennen. Unter diesem Aspekt finde ich es besonders verlockend, diese sechs Konzerte, die stilistisch sonst sehr unterschiedlich sind, an einem Abend zu hören.

Ist La Scintilla ein Orchester, das auf der Konzertbühne genauso versiert ist wie im Opernbetrieb, aus dem heraus es sich entwickelt hat?
Ich sehe das nicht so getrennt; das geht Hand in Hand. In unserem zweiten gemeinsamen Konzert kombinieren wir die vier Jahreszeiten-Konzerte von Antonio Vivaldi mit der Ballettmusik aus Giuseppe Verdis Oper I vespri siciliani, die ebenfalls in vier Jahreszeiten unterteilt ist – Konzert und Oper in einem Programm. Ich bin sehr gespannt, wie es uns gelingt, diese beiden völlig unterschiedlichen musikalischen Stile in einem Konzertabend miteinander zu vereinen…

Verdi auf historischen Instrumenten? Ist über die Instrumente und Praxis dieser Zeit viel bekannt?
Ja, sicher. Wir wissen viel mehr über die Zeit Verdis als über diejenige Vivaldis … Aber was die Instrumente angeht, wird es eine grosse Herausforderung! Besonders schwierig sind die Partien der Holzbläser; und gute Instrumente, die den Anforderungen dieser Musik standhalten, sind eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen dieses Vorhabens. Aber die Musikerinnen und Musiker beschäftigen sich gerade damit. Und ich denke immer: Wenn es zu Verdis Zeiten möglich war, diese Musik auf den damals vorhandenen Instrumenten zu spielen, dann muss das auch heute gehen. Es ist alles eine Frage des Engagements und des Willens!


Das Gespräch führte Fabio Dietsche.
Foto von Valery Joncheray.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 66, Februar 2019.
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Neue Impulse für Alte Musik


Am Anfang war vieles etwas improvisiert

Die Idee der Soloflötistin Maria Goldschmidt, auf historischen Instrumenten zu spielen, stiess unter den MusikerInnen auf grosses Interesse.

Als Nikolaus Harnoncourt in den 1980er und 90er-Jahren Mozart-Opern in Zürich erarbeitete, kam ich neu als Soloflötistin ins Orchester. Seine Art, die Alte Musik neu zu beleben und zu erklären, hat mich fasziniert; er vermittelte uns ein völlig neues Klangideal. Oft hatte ich aber das Gefühl, mich mit der modernen Flöte völlig verdrehen und alles verändern zu müssen. Auf den historischen Instrumenten war es hingegen viel einfacher, die Klänge und Farben zu realisieren, die Harnoncourt gesucht hat – für diese Instrumente war die Musik ja komponiert worden.

Als ich die Idee, auf historischen Instrumenten zu spielen, im Orchestervorstand thematisierte, waren die Reaktionen eher verhalten. Also habe ich durch einen Aushang versucht, interessierte Musikerinnen und Musiker zusammenzubringen, und ein paar Tage später war dieser Zettel voll! Ich besass damals nur ein Telefon. Keinen Computer, kein Faxgerät, nichts… Auch für die ersten Konzerte, die wir gespielt haben, gab es oft nur mündliche Verträge; Koryphäen der historischen Aufführungspraxis wie John Eliot Gardiner, Frans Brüggen oder William Christie haben am Rand ihrer Zürcher Engagements Workshops mit uns durchgeführt – manchmal gegen eine Flasche Wein, die Alexander Pereira spendierte, weil auch er mit der Zeit gemerkt hat, dass hier mit viel Engagement etwas Besonderes entsteht.

Am Anfang war also vieles etwas improvisiert – und es wurde nötig, diese immer grösser werdende Gruppe irgendwie zu reglementieren. Das war auch Harnoncourt wichtig, der unserem Anliegen zu Beginn ebenfalls etwas skeptisch gegenüberstand: Er und seine Frau Alice unterstützten uns zwar sehr, aber sie verlangten, dass wir regelmässig probten, um auch mit den historischen Instrumenten zu einem homogenen Klangkörper zusammenzuwachsen. Schliesslich haben wir uns unter dem Namen «La Scintilla» (italienisch für «der Funke») zu einem Verein zusammengeschlossen. Als «Orchester im Orchester» war das nicht immer ganz einfach und auch mit Konflikten verbunden: Nicht alle Mitglieder waren der Meinung, dass man Alte Musik auch auf originalen Instrumenten spielen soll. Aber ich glaube, dass beispielsweise die Opern von Rameau oder Charpentier, die wir hier unterdessen mit grossem Erfolg gespielt haben, heute überhaupt nicht auf unserem Spielplan stünden, wenn es dieses Ensemble und seinen Klang nicht geben würde. Dass wir uns damals gegen gewisse Vorbehalte durchgesetzt haben, war sicher eine gute Entscheidung für die Zukunft!


Foto von Artan Hürsever.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 66, Februar 2019.
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Neue Impulse für Alte Musik


Der Impuls, ein Ensemble aufzubauen, kam von uns

Violonistin und Gründungsmitglied Ada Pesch ist überzeugt, dass es ohne das Interessse und den Willen der MusikerInnen kaum funktioniert hätte.

Ich empfinde es als etwas sehr Besonderes, dass es an diesem Haus so erfolgreich gelungen ist, ein Ensemble mit Originalinstrumenten aufzubauen! Ein Grund dafür ist sicher, dass der Impuls dazu nicht von aussen oder von «oben» kam, sondern von uns selbst! Ohne unser Interesse, den Willen, etwas zu erreichen und die Bereitschaft, zusätzlich zu den üblichen Orchesterdiensten Zeit zu investieren, hätte das nicht funktioniert.

Als ein ganz entscheidender Faktor kommt aber auch die Unterstützung dazu, die uns seit den Anfängen von der Direktion des Opernhauses entgegengebracht wird. Dafür sind wir sehr dankbar! Nur durch dieses Entgegenkommen des Hauses war es möglich, dass wir uns in den letzten Jahren immer weiterentwickeln und uns auch ausserhalb von Zürich etablieren konnten: Gemeinsam mit Cecilia Bartoli haben wir über 100 Konzerte in Europa, Russland und den USA gespielt und mehrere Alben aufgenommen. Gleichzeitig ist es aber ein Glück für uns, dass wir nicht darauf angewiesen sind, uns auf dem internationalen Markt einen Rang zu erkämpfen: Wir haben unsere Jobs hier und müssen nur auf andere Angebote eingehen, wenn sie wirklich zu uns passen. Im Opernhaus Zürich zu spielen, wo unsere Idee geboren wurde, ist uns sehr wichtig. Deshalb sind wir auch sehr froh, seit der Spielzeit 2015/16 eine eigene Konzertreihe hier zu haben.

Ein Instrument auf einem hohen Niveau zu spielen, erfordert, dass man viele Stunden am Tag an seiner Spieltechnik arbeitet – oft verlieren wir Musiker uns in dieser technischen Arbeit. Nikolaus Harnoncourt hat mich damals in gewisser Weise davon befreit, als er sagte: Vergessen Sie alles, was sie gelernt haben! Mein früherer Professor in den USA hat noch Witze über die Barockmusik gemacht. Was Harnoncourt hier erreichen wollte, war für mich eine Revolution in allem, was ich bis dahin über Musik gedacht habe. Man kann ihn deshalb auch nicht mit einem Dirigenten von heute vergleichen. Es war ein ganz neuer Impuls, den wir heute pflegen, weiterentwickeln und weitergeben müssen.


Foto von Artan Hürsever.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 66, Februar 2019.
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Neue Impulse für Alte Musik


Es war wichtig, ein neues Klangideal zu entwickeln

Kontrabassist Dieter Lange erinnert sich, dass die Gründungszeit mit viel Enthusiasmus und grosser Energie verbunden war.

Die Gründung des Orchestra La Scintilla hängt eng mit der Aufbauarbeit zusammen, die Nikolaus Harnoncourt – beginnend mit seinem legendären Monteverdi-Zyklus in den 1970er-Jahren – am Opernhaus Zürich geleistet hat. Nach diesem ersten revolutionären Impuls hat Harnoncourt auch angefangen, Mozart-Opern mit uns zu erarbeiten. Mit Ausnahme der Naturhörner und -trompeten spielten wir diese aber noch auf unseren «modernen» Instrumenten: der Nachbau historischer Instrumente war damals noch nicht so weit fortgeschritten – und mittelmässige Schülergeigen mit Darmsaiten zu bespannen und «auf Barock zu machen» wäre ganz und gar nicht Harnoncourts Art gewesen. Doch die Arbeit mit ihm hat unser Interesse geweckt, und schliesslich hat die Soloflötistin Maria Goldschmidt die Initiative ergriffen und einen Zettel ans Schwarze Brett gehängt: Wer Lust habe, auf historischen Instrumenten zu spielen, solle sich bitte eintragen. Daraufhin hat sich eine Gruppe Begeisterter ein- bis zweimal die Woche in der Freizeit getroffen, um sich mit diesen «neuen» Instrumenten vertraut zu machen.

Ebenso wichtig wie die technische Beherrschung der Instrumente war es aber, ein Klangideal zu entwickeln – und in dieser Hinsicht haben uns Harnoncourt und seine Frau Alice, aber auch zahlreiche Workshops mit Erich Höbarth, Gerhard Darmstadt, Reinhard Goebel und vielen anderen, sehr geholfen. Die Entstehung des Orchestra La Scintilla ist also mit einem langen Entwicklungsprozess verbunden, einer Zeit, während der wir sehr viel geforscht und experimentiert haben. Einen ersten Auftritt unter dem Namen La Scintilla hatten wir schliesslich mit dem Geiger Giuliano Carmignola in Stäfa; und die erste Oper, die wir mit Harnoncourt auf historischen Instrumenten gespielt haben, war Mozarts Lucio Silla. Diese Gründungszeit war mit viel Enthusiasmus und grosser Energie verbunden; wir haben alles aufgesogen, was wir kriegen konnten – geprobt, zugehört, geforscht und gelesen.

Gute zwanzig Jahre nach der Gründung des Ensembles scheint es mir heute besonders wichtig, dass wir uns an diesen frischen und wachen Geist von damals erinnern und daran anknüpfen: Harnoncourt war nie daran interessiert, schöne Töne zu produzieren, es ging ihm immer darum, etwas Inhaltliches zu vermitteln. Leider verfolgen heute nicht alle Dirigenten diesen Anspruch mit der nötigen Konsequenz und dem Zeitaufwand, der damit verbunden ist. Für die Zukunft und die Generation, die uns nachfolgen wird, wäre mehr Präzision und Engagement in dieser Hinsicht wieder wünschenswert. Es braucht auch heute wieder charismatische Persönlichkeiten wie damals Harnoncourt, die dafür sorgen, dass «der Funke» auch auf die junge Generation überspringt!


Foto von Artan Hürsever.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 66, Februar 2019.
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