Agrippina
Dramma per musica in drei Akten von Georg Friedrich Händel (1685–1759)
Libretto von Kardinal Vincenzo Grimani
In italienischer Sprache mit deutscher und englischer Übertitelung. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Die Einführungsmatinee findet am 16 Feb 2025 statt.
Official Timepiece Opernhaus Zürich
Termine & Tickets
März 2025
02
Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel, Premiere
Preise G: CHF 335 / 265 / 235 / 103 / 43 / 34
Premieren-Abo A
05
Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
Preise F: CHF 285 / 231 / 199 / 103 / 43 / 34
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07
Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
Preise F: CHF 285 / 231 / 199 / 103 / 43 / 34
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Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
Preise F: CHF 285 / 231 / 199 / 103 / 43 / 34
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11
Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
Preise F: CHF 285 / 231 / 199 / 103 / 43 / 34
Belcanto-Abo, Opernhaustag
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Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
Preise F: CHF 285 / 231 / 199 / 103 / 43 / 34
Freitag-Abo B
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Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
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Dienstag-Abo B
27
Mär19.00
Agrippina
Oper von Georg Friedrich Händel
Preise F: CHF 285 / 231 / 199 / 103 / 43 / 34
Donnerstag-Abo B
Gut zu wissen
Agrippina
Kurzgefasst
Agrippina
«Vor dem Willen zur Macht beugt sich das Recht», schärft Agrippina ihrem Sohn Nerone ein. Sie will ihn auf dem Thron sehen, nachdem sie vom angeblichen Tod ihres Mannes, Kaiser Claudio, erfahren hat. Und dafür ist ihr jedes Mittel recht. Doch Claudio lebt und hat seinem Retter Ottone die Kaiserkrone versprochen. Die Karten werden neu gemischt, und ein Netz aus perfiden Beziehungen und trügerischem Wohlwollen spannt sich auf. Dabei wird Poppea, von Nerone, Claudio und Ottone gleichermassen begehrt, zur gefährlichen Gegenspielerin Agrippinas.
Der Opernplot ist reine Fiktion, aber die Charaktere sind historisch verbürgt. Das Libretto wird Vincenzo Grimani zugeschrieben, der sich als Vizekönig von Neapel und Botschafter am Vatikan mit den politischen Ränken und Skandalen seiner Zeit gut auskannte. Seiner Familie gehörte das venezianische Theater, an dem Agrippina 1709 zur Eröffnung des Karnevals herauskam. Der 24-jährige Händel feierte mit Agrippina seinen ersten durchschlagenden Erfolg. Das venezianische Publikum hatte seinen Spass an der Politparabel, denn es erkannte sehr wohl die aktuellen Bezüge. Der unheilvolle Cocktail aus Sex, Crime and Politics bei den Mächtigen dieser Welt ist allerdings zeitlos, ebenso wie die von Händel psychologisch ungeheuer vielschichtig gezeichneten Figuren.
Die Neuproduktion am Opernhaus Zürich vereint ein Händel-Ensemble der Extraklasse. Als Agrippina ist die italienische Mezzosopranistin Anna Bonitatibus erneut am Opernhaus Zürich zu erleben. In der Rolle der Poppea darf man sich auf Lea Desandre freuen, die das Zürcher Publikum zuletzt als Cherubino verzauberte. Mit Jakub Józef Orliński (Ottone) und Christophe Dumaux (Nerone) sind zwei der aktuell begehrtesten Countertenöre zu erleben, Nahuel Di Pierro ist als Claudio ein weiterer prominenter Gast. Der britische Barockspezialist Harry Bicket leitet zum ersten Mal unser Orchestra La Scintilla. Die Inszenierung von Händels beissender Satire liegt in den Händen von Jetske Mijnssen, die in Zürich zuletzt mit Rameaus Platée und Poulencs Dialogues des Carmélites Erfolge feiern konnte.
Interview
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Von Machtgier, Sex und Lügen
Die Handlung von «Agrippina» liest sich wie eine raffinierte Netflix-Serie: Eine schwerreiche Familie streitet um die Herrschaft und das Erbe. Ein Gespräch mit der Regisseurin Jetske Mijnssen und dem Dirigenten Harry Bicket über Georg Friedrich Händels modernsten Opernstoff
Agrippina wurde jahrhundertelang als schreckliche Frau dargestellt, als herrschsüchtige Person, als Mörderin, zu ihren Lebzeiten vor allem in den Quellen von Sueton und Tacitus. Was gefällt euch an Händels Figur?
Jetske Mijnssen: Sie ist eine moderne Frau, bestimmt und zielgerichtet. Die Art und Weise, wie sie die Fäden in der Hand behält, ist umwerfend. Sie ist schlau, spielt ihre Karten auf einem sehr hohen Niveau und hat immer einen genauen Plan im Kopf. Man muss Händels Agrippina unbedingt von der historischen Agrippina trennen, genau wie die Geschichte dieser Oper nichts mit der Historie zu tun hat.
Harry Bicket: Händels Agrippina ist nie einfach nur eine Tyrannin, sie ist manchmal auch eine verletzliche Frau. Besonders sympathisch ist sie mir aber nicht. Im Grunde hat Händel die Figur der Agrippina als Vehikel benutzt, um bestimmte unveränderliche Dinge des Menschseins auszudrücken: Er schreibt darüber, was es bedeutet, Macht zu haben und wie sie benutzt oder missbraucht wird, was für ein mächtiges Werkzeug in diesem Zusammenhang Sex sein kann und wie Menschen sich gegenseitig manipulieren. Das muss nicht immer auf tyrannische oder gewalttätige Weise geschehen.
Themen also, mit denen wir heute noch immer sehr vertraut sind.
Jetske Mijnssen: Die Oper Agrippina ist eine Geschichte über Begierden, Eifersucht, Korruption, öffentliche und private Macht, es geht um ein riesiges Erbe und die Anwärter darauf. Es ist der extrem gefährliche Cocktail aus einer einflussreichen, schwerreichen Familie und deren Verknüpfung mit der Politik, so, wie wir es etwa aus den Erfolgsserien Succession oder House of Cards kennen. Nehmen wir die Trumps, die Murdochs oder die Le Pens… Es gibt nichts in Agrippina, das überarbeitet oder adaptiert werden müsste, damit es nicht auch im zeitgenössischen Kontext funktioniert.
Harry Bicket: Man könnte diese Geschichte aktuell in jedem Land ansiedeln. Agrippina ist wahrscheinlich die erste moderne Oper, jedenfalls eine der ersten kommerziellen Opern, die je geschrieben wurde. Zuvor entstanden die Opern Cestis oder Monteverdis für einen höfischen Kontext und dessen erlauchtes Publikum. Aber Händel und sein Librettist Grimani waren nicht von der Gunst einer reichen Familie abhängig, Grimani war im Übrigen selbst wohlhabend – das kleine Theater in Venedig gehörte seiner Familie. Zudem entstand das Stück für die Karnevalssaison, Händel und Grimani konnten also einiges wagen. Das ist einer der Gründe, warum das Libretto so grossartig und frech ist, wahrscheinlich das beste, das Händel je vertonte. Man könnte es geradewegs als Theaterstück aufführen. Das Publikum erkannte natürlich die Anspielungen auf zeitgenössische Persönlichkeiten – und wir heutigen Menschen erkennen in den Figuren, so unsympathisch und wenig heilsam sie für uns sein mögen, durchaus Nachbarn, Arbeitskollegen, vielleicht sogar angebliche Freunde…
Die Oper ist ein Kammerspiel. Worum geht es genau, Jetske?
Jetske Mijnssen: Die Geschichte beginnt in dem Moment, als Agrippina die Nachricht erhält, ihr Mann, Kaiser Claudio, sei tot. Agrippina, ohne gross zu trauern, bringt sofort ihren Sohn Nerone, den Stiefsohn Claudios ins Spiel, um ihn mit kleinen Tricks auf den Thron zu hieven. Ihre engsten Vertrauten sollen verkünden, dass Claudios Stiefsohn Nerone der ideale Nachfolger sei. Doch Claudio ist überraschenderweise doch nicht gestorben und kommt zurück. Er ist in einem merkwürdigen Seelenzustand und hat durch eine erlittene Todeserfahrung eine neue Sicht auf die Welt gewonnen. Er möchte, dass sein Freund Ottone, der Mann, der ihn gerettet hat, den Thron besteigt. Doch Ottone gehört nicht zur Familie. Agrippina ist zum Handeln gezwungen und verunglimpft Claudio und Ottone. Sie spielt die einen gegen die anderen aus, sie belügt alle. Am Schluss jedoch fliegt die manipulative Agrippina auf…
Wir gehen mit Agrippina durchs Stück. Agrippina mag vielleicht keine
Sympathieträgerin sein, aber wir identifizieren uns mit ihr. Man hofft ständig, dass sie am Ende gewinnt.
Harry Bicket: Das ist interessant. So habe ich das noch gar nie betrachtet…
Jetske Mijnssen: Agrippina äussert klar, dass sie den Thron nicht für sich selbst haben möchte, sondern nur für ihren Sohn. Aber ihr Sohn ist ihre Puppe, ihr verlängerter Arm. Dieser Nerone ist ein verwöhnter Junge, ein totaler Versager, der Typ Mensch, der immer die falschen Entscheidungen trifft. Er muss seine Mutter ständig um Hilfe bitten. Man kann sich vorstellen, dass er in diesem Verhältnis zu seiner Mutter auch so etwas Ähnliches wie Aggressionen entwickeln kann.
Harry Bicket: Nerone ist wegen Agrippina so geworden. Sie ist wie eine Helikopter-Mutter, sagt ihm, was er tun soll, und er hat aufgehört zu versuchen, etwas dagegen zu unternehmen. Weil es keinen Sinn hat. Er weiss, was auch immer er macht, er wird es falsch machen.
Jetske Mijnssen: Das ist ja auch das Tragische von Kindern berühmter oder erfolgreicher Eltern. Je stärker die Eltern sind, desto weniger können die Kinder ihre Erwartungen erfüllen. Es gibt keinen Platz für sie. Händels Nerone ist definitiv eine tragische Figur.
Abgründige Momente durchlebt aber auch seine Mutter. Am offensichtlichsten ist das in ihrer grossen Arie im zweiten Akt, «Pensieri, voi mi tormentate» (Quälende Gedanken)…
Jetske Mijnssen: In dieser Arie sehen wir ihr wahres Ich. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Nummer in der Mitte des Stücks steht. Hier zeigt sie ihre Sorgen, ihre Schuld, ihre Ängste, ihr Bedauern, ihren Schmerz und ihre Einsamkeit. Es ist ein Lady-Macbeth-Moment, wie man ihn aus durchwachten Nächten kennt, wenn uns die Nacht aufsaugt und die Gedanken zu Monstern werden, tief in uns eindringen und wir sie nicht aufhalten können. Agrippina hat hier zum ersten Mal so richtig die Kontrolle verloren.
Harry Bicket: Die Musik spiegelt das deutlich wider. Alle anderen Arien Agrippinas sind sehr direkt und klar formuliert, immer mit einem richtigen da-Capo. Grundsätzlich werden in dieser Oper die starren ABA-Formen auch durchgezogen. Aber in «Pensieri» bricht Händel die Form auf, um Agrippinas geistigen Zusammenbruch zu reflektieren. Alles wirkt fragmentiert. Die Zeit bleibt immer wieder stehen, und die Harmonien werden nie wirklich aufgelöst. Man versteht plötzlich, wie der menschliche Verstand funktioniert: Wenn wir auf der Suche nach einer Antwort sind, sie aber nie wirklich finden.
Jetske Mijnssen: Mitten in der Arie baut Händel ein Rezitativ ein, wieder setzt Agrippina zu neuen Gedanken an, und wir nehmen an, dass das Rezitativ das Ende bedeutet, aber dann kommt erneut die Musik des Anfangs, das Monster ist zurück…
Harry Bicket: Es ist unvorstellbar, wie das auf das damalige Publikum gewirkt haben muss! Für uns, die wir einen Wozzeck kennen, mag das etwas ganz anderes sein. Aber für die Ohren des 18. Jahrhunderts war das ein schockierender Moment, ein grosser Coup.
Noch nicht erwähnt haben wir Poppea, ein starker Charakter in dieser Oper. Wir kennen diese Figur auch aus der Monteverdi-Version, in der sie sich schliesslich Kaiser Nero angelt.
Jetske Mijnssen: Hier ist Poppea eine junge, schöne Frau, die von allen begehrt wird. Sie benutzt ihre Erotik genauso wie ihren Verstand, um zu bekommen, was sie will. Warum taucht sie plötzlich auf? Viel wissen wir nicht über sie. Poppea tritt als Aussenseiterin in dieses kranke Familiensystem und durchschaut immer mehr dessen kompliziertes Geflecht. Sie lernt schnell. Auch wenn sie anfangs einen unschuldigen Eindruck macht, muss sie tief in sich manipulative Persönlichkeitsanteile haben. Agrippina riecht es von Anfang an, dass diese Frau zu ihrer Gegenspielerin wird.
Agrippinas Mann Claudio ist in dieser Geschichte – wie Ottone und Nerone –in Poppea verliebt. Sein königlicher Status hilft ihm bei seinen Eroberungsplänen allerdings wenig. Und dann wird ihm auch noch der Thron streitig gemacht… Was für ein Licht wirft das auf ihn und die Beziehung zu Agrippina?
Jetske Mijnssen: Claudio wird in vielen Inszenierungen als lächerlicher Idiot
dargestellt. Auch der historische Kaiser wurde von der Geschichtsschreibung als Kürbiskopf verhöhnt, obwohl er, wie man inzwischen weiss, zuweilen ein kluger und umsichtiger Herrscher war. Händels Agrippina weiss ganz genau, dass Claudio ein Auge auf Poppea geworfen hat, und so stellt sich die Ehe zwischen Claudio und Agrippina in der Oper zunächst so dar, als ob sie komplett erkaltet wäre. Doch wenn man genau hinschaut ist hier ein Paar, das sich vielleicht auseinandergelebt hat, aber doch noch dieses gegenseitige Verständnis, eine Wärme aus der Vergangenheit hat. Trotz der Irritationen, ja zuweilen dem Ekel zwischen den beiden, ist das stark spürbar.
Harry Bicket: Agrippina und Claudio sind beide Profis, Berufspolitiker. Politiker verbringen einen Grossteil ihrer Zeit damit, auf ziemlich offene Weise unehrlich zu sein. Sie lügen ständig. Das müssen sie auch. Jeder weiss es, sie wissen es. Das Interessante an ihrer Beziehung ist, dass das irgendwie ähnlich ist. Damit meine ich nicht, dass ihre Ehe eine völlig professionelle Beziehung wäre, aber etwas davon schwingt mit. Die beiden haben eine Position inne, die sie aufrechterhalten müssen, ein Image, das sie pflegen müssen. Sie erkennen das beide und lieben sich dafür irgendwie – wenn auch auf eine seltsame Art und Weise.
Harry, Händel verfasste die Oper 1709. An welchem Punkt in seiner Karriere war er damals?
Harry Bicket: Er war 24 Jahre alt und noch ganz am Anfang. Als Teenager war er
zuvor durch Italien gereist, dem Land mit der verrücktesten Musik, dem Zuhause von Gesualdo und dessen harmonisch-rhythmisch irrwitzigen Kompositionen. Händel muss sich damals wie im Wilden Westen gefühlt haben und hat alles in sich eingesogen. Der Erfolg, den er mit Agrippina hatte, war überwältigend, und es war der Startschuss für seine Karriere als Opernkomponist. Wegen Agrippina wurde er später nach London eingeladen, um dort Rinaldo zu machen, und er hat den Rest seines Lebens ja dann auch in England verbracht.
Hört man die Musik von Agrippina, mögen einige Händelfans durchaus ein paar Déjà-vu-Erlebnisse haben.
Harry Bicket: Es stimmt, vieles aus Agrippina stammt aus früheren Stücken Händels, aus La resurrezione oder aus Il trionfo del tempo e del disinganno. Und einigen Nummern aus Agrippina begegnet man in späteren Werken von ihm wieder. Nerones Arie «Come nube» zum Beispiel wird später zu «Vivi, tiranno» in Rodelinda. Händel war aber auch eine besonders geschickte diebische Elster: Tatsächlich stammen viele Musiknummern aus fremden Werken. Es gab damals noch kein Copyright. Allerdings war es gängige Praxis und sogar eine Ehre für einen Komponisten, von einem Kollegen zitiert zu werden. So übernahm Händel Ideen von Reinhard Keiser, dessen fantastische Stücke er in Hamburg als Geiger in der Oper kennengelernt hatte. Die erste grosse Ensemblenummer in Agrippina stammt von Keiser, Händel hatte das Stück damals selbst gespielt. Es gibt eine Theorie, wonach Händel kein sehr guter Originalkomponist gewesen sei, aber ein brillanter Umarbeiter von musikalischen Ideen. Zunächst war ich empört, als ich davon hörte, doch mittlerweile kann ich das nachvollziehen. Viele seiner Originalwerke sind nicht annähernd so interessant wie die Stücke, die er von anderen Komponisten übernahm und Takt für Takt verfeinerte. Händel kommt dabei direkt auf den Punkt. Beethoven meinte dazu einmal, dass man sich an Händel orientieren solle, wollte man mit der geringsten Anzahl von Noten die grösste Wirkung erzielen…
Jetske und Harry, bei Agrippina habt ihr gemeinsam eine eigene Fassung hergestellt. Das vorhandene Material mit einer Vielzahl an Arien-Varianten
lädt einen geradezu dazu ein. Es fällt aber auch auf, wie eng ihr auch bei den Regieproben zusammenarbeitet.
Harry Bicket: Ich finde das selbstverständlich. Ich habe in den 1980er-Jahren an der Londoner English National Opera angefangen und dort mit vielen jungen, fantastischen Regisseurinnen und Regisseuren gearbeitet. Jede musikalische Geste bedeutet auch szenisch etwas. Als Dirigent versuche ich umgekehrt, die Szene in die Musik zu integrieren. Gerade bei Händel muss man gemeinsam viele Entscheidungen treffen, denn die Musik lässt einem Sänger, einer Sängerin viele Freiheiten, was die innere Haltung dazu angeht. Wir glauben ja immer, dass etwas, das in Moll geschrieben ist, ein trauriges Stück sein müsse und Dur wiederum etwas Glückliches bedeutet. Aber nicht so im 18. Jahrhundert. Händels «Piangerò», eines der traurigsten Stücke, das Händel je geschrieben hat, steht zum Beispiel in Dur. Man muss sich damit auseinandersetzen, was die Musik bedeutet, in welchem narrativen Kontext sie steht und sich dann gemeinsam für eine Aussage entscheiden. Durch die Mischung von Text und Musik ergibt sich oft ein interessanter Subtext.
Jetske Mijnssen: Manchmal hatte ich anfangs eine klare Vorstellung von einer Arie, doch dann haben wir während der Proben gemerkt, dass es im Kontext der Geschichte und für den Charakter der Figur viel aufregender sein kann, eine völlig neue Haltung für diesen Moment zu suchen. Eine auf den ersten Blick quirlige Arie wie «Ogni vento» von Agrippina kann auch ganz nach innen genommen werden und sagt so möglicherweise viel mehr über ihre Seelenstürme aus.
Eine Besonderheit dieser Oper ist die wilde Mischung aus komischen und tragischen Elementen. Wie gehst du damit um, Jetske?
Jetske Mijnssen: Tatsächlich wird einem die Schwere des Stoffs oft durch eine gewisse Leichtigkeit vermittelt. Händel war ja auch ein grosser Entertainer. In einem Moment ist es eine Komödie, etwa wenn alle drei Liebhaber nacheinander Poppea aufsuchen und sich verstecken müssen, im Augenblick davor jedoch eine Tragödie in der stärksten Form, wie in Agrippinas Arie «Pensieri». Bei den komischen Einschüben muss man aufpassen, dass es nicht in eine flache Komödie abrutscht. Es gibt in dieser Oper auffällig viele «a parte»-Sätze, Sätze, in denen die Darstellenden gerne die vierte Wand zum Publikum durchbrechen und es sich zum Verbündeten machen. Ich möchte das vermeiden und suche hier den inneren Monolog. Den richtigen Ton für diese Spielweise zu finden und sich zu fragen, ob die Figur in diesem Moment als Charakter glaubhaft ist, ist tatsächlich eine Gratwanderung.
...
Das Gespräch führte Kathrin Brunner
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 119, Februar 2025.
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Volker Hagedorn trifft...
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Anna Bonitatibus
Anna Bonitatibus wurde in Süditalien geboren. Auf Opernbühnen und im Konzertsaal arbeitete sie u.a. mit Sir Charles Mackerras, Riccardo Muti, Antonio Pappano, René Jacobs, William Christie, Ivor Bolton, Myung-Whun Chung, Alan Curtis, Ottavio Dantone und Marc Minkowski zusammen. Am Opernhaus Zürich war sie zuletzt im Pergolesi- Projekt «L’Olimpiade» zu erleben. Zahlreiche CD- und DVD-Aufnahmen dokumentieren ihr künstlerisches Schaffen, 2015 wurde die CD «Semiramide – La Signora Regale» mit einem International Opera Award ausgezeichnet.
«What do you think of her?», sagte die Schriftstellerin, bei der ich in Venedig zu Besuch war, im Jahr 2003. Sie hatte eine neue CD mit Händels Oper Deidamia aufgelegt, kaum dass wir in ihrer Wohnung waren, sie liebt Händel. In einem ihrer Krimis, Acqua Alta – Commissario Brunettis fünfter Fall, lauscht der fieseste Typ der schönsten Arie aus Alcina. Nun aber hörten wir, wie Anna Bonitatibus den Ulisse in Deidamia sang. Nicht nur Donna Leon war begeistert von der Mezzosopranistin, mit der ich nun im Opernhaus zusammensitze. «Interessant, wie die Dinge so ihren Lauf nehmen», sagt sie amüsiert, als ich ihr von der Begegnung erzähle. In all den Jahren hat die Sängerin ihren Weg über die Bühnen der Welt fortgesetzt, der sie nicht zum ersten Mal nach Zürich führt.
Und auch nicht zur ersten Produktion der Agrippina an diesem Haus. «2009 sang ich hier den Nerone in dieser Oper, eine Kastratenrolle. Wenn du Nerone singst, beobachtest du die meiste Zeit auch Agrippina, deine Mutter, diese atemberaubende, kalte, sonderbare Frau. Und als ich neulich zu den Proben ankam, dachte ich, verrückt, jetzt hat es Nerone geschafft, in ein und demselben Opernhaus, Agrippina zu werden, Mutter anstelle des Sohns!» Sie lacht laut in dem kleinen Garderobenzimmer. «Und es dauerte nur sechzehn Jahre», meine ich. «Ja, es braucht Zeit, um an die Macht zu kommen…» Macht, sagt Anna Bonitatibus, ist das eigentliche Thema des Librettos. Bis heute ist umstritten, ob Kardinal Vincenzo Grimani es schrieb – bei der Uraufführung 1709 in Venedig blieb der Librettist anonym. «Aber das Teatro San Giovanni Grisostomo wurde von Grimanis Familie gebaut, in ihrem Palazzo in Venedig. Natürlich schrieb er das, und zwar anonym, weil das Libretto die Fallen und Strategien im Vatikan darstellt. Es ist ein politischer Plot. Dieser Kardinal sagt die Wahrheit darüber, wie man im Vatikan an die Macht gelangt, wie vorsichtig man sein muss, um nicht erdolcht zu werden. Selbst kleine Rollen haben mit dem Streben nach Macht zu tun. Agrippina ist ein Netz, in dem jeder in die Falle gehen kann, in dem jeder Charakter etwas über die anderen Charaktere erzählt. Es ist sozusagen eine kollektive Oper.»
In Rom hätte sie zu der Zeit nicht aufgeführt werden können, Frauen durften dort nicht auf die Bühne. «In Venedig war das erlaubt, zudem waren in Rom, wo Händel vorher war, Opern und Musik im Theater für Jahre mit einem Bann belegt, als Busse, nachdem es ein riesiges Erdbeben gegeben hatte. Dort schrieb er das Oratorium Il trionfo del tempo e del disinganno, das er dann für die Musik von Agrippina verwendete.» Es scheint nichts zu geben, was Anna Bonitatibus über diese Oper nicht weiss. Sie nennt die Namen aller Sänger der Uraufführung, als sei sie erst neulich mit ihnen aufgetreten. «Haben Sie etwa auch für alle anderen Händelopern die Sänger im Kopf?» «Nein. Ich sang einige Rollen und merkte, wie sehr er die italienische Schule des Singens bewunderte. Er holte auch italienische Sänger nach London. Sein Serse war der Kastrat Caffarelli, und in dieser Partie nahm ich wahr, wie Händel dessen neapolitanischen Akzent in die Musik brachte…» Sie singt zwei, drei Takte, glasklar, «das ist so neapolitanisch! Diese Art, Sänger in den Kompositionsprozess zu integrieren, ist noch nicht genug erforscht.»
Das sprudelt alles aus ihr heraus in gepflegtem Englisch, es interessiert sie nun mal brennend, viel mehr, als von ihrem Debüt an der Scala 1999 und anderen Triumphen zu erzählen. Dass Händels Favorit Caffarelli war, ist ihr um so wichtiger, als es sie zu ihrem anderen Lieblingskomponisten führt, zu Gioachino Rossini. «Da gibt es im Barbiere die Unterrichtsszene, wo Rosina singt, und Don Bartolo sagt: ‹Quando cantava Caffariello quell’aria portentosa... Die Arie, die damals Caffariello so wunderschön gesungen hat›. Das ist auch in der Vokalisierung eine Hommage an diese Art zu singen. Es gab noch Kastraten, und Rossini bewunderte ihre Kunst. Rosina singt da etwas, das im Stil nicht nach 1816 klingt, und zugleich ist sie die neue Diva, der die Zukunft gehört.» Anna landet auch bei Rossini, als ich sie nach ihren eigenen Anfängen frage. «Ich bin die dritte von sechs Töchtern, terza sorella, wie in La Cenerentola…» Sie singt kurz die Worte des Alidoro aus Rossinis Oper und lacht. «Immer, wenn ich das später sang, dachte ich, passt perfekt!» Sie war aber keineswegs das Aschenbrödel, sondern die einzige, die dem Musikunterricht im süditalienischen Städtchen Potenza treu blieb. Mit vierzehn bekam sie ihr eigenes Klavier, «so eins wie das hier», sie zeigt auf das Instrument neben sich, «das habe ich noch.» Sie studierte Klavier bis zum Diplom, «dazu kamen etwas Komposition, Partituren, Kammermusik, dann natürlich ernsthaft Gesang.»
«Und wie haben Sie Ihre Stimme entdeckt?» «Wissen Sie, dass Sie der Erste sind, der mich das fragt? Ich glaube, ich habe immer gesungen. Es gibt ein Foto von mir mit vier Jahren vor einem Mikrofon. Mit fünf wurde ich für einen Wettbewerb angemeldet, aber ich war zu scheu. Später wurde ich immer bei Schulfesten gefragt, und der Chorleiter sagte: Du hast eine Stimme, du solltest das studieren, und ich folgte dem Rat.» Ihre Eltern unterstützten sie, «keine Musiker, aber sensibel für die Künste, sehr warmherzige, einfache Menschen», eine Lehrerin und ein Transportunternehmer. Als nach dem Diplom in Genua die Karriere der Sängerin begann, spielte Händel für sie noch keine Rolle. «Ich bin per Zufall zur Barockmusik gekommen. Jemand fragte mich, offenbar war es gut, und ich wurde wieder gefragt. Sorry, mehr weiss ich nicht!» Sie lacht. «Ich würde auch gar nicht von Barockgesang sprechen, es ist Oper. Es ist für eine Bühne geschrieben, mit starken Libretti, mit Darstellung.» Und von Rossini zu Händel sei es nicht weit. «Es gibt so viele Parallelen! Ich sehe sie wie zwei starke Säulen am Beginn der Jahrhunderte, von ihnen aus wurde vieles anders. Kein Meyerbeer ohne Rossini, kein Verdi. Kein Gluck und Mozart ohne Händel. Was sie unter anderem verbindet, ist die opera seria. Rossini wird immer noch als Komponist der opera buffa gehandelt, was ich wirklich hasse. Welche buffa? Von seinen 40 Opern waren 25 seria, fünfzehn Farcen und semiseria. Er war glücklich, als er in Neapel mit fantastischer Besetzung experimentieren konnte. Zelmira, Otello, Maometto Secondo, all das, bis hin zu Guillaume Tell für Paris – und keiner macht das!» Immerhin, wende ich ein, ist Rossinis späte Petite Messe solenelle von 1863 oft zu hören. «Ich frage mich oft, was das ist. Es klingt wie eine Oper mit einem geheimen Text. Ich glaube, er war Atheist, das ist meine persönliche Ansicht. Natürlich – wenn wir uns dem letzten Kapitel des Lebens nähern, werden wir spirituell, das hat auch seine Ironie. Der Text ist sakral, aber es geht um das Wissen, das Rossini in seinem Leben gesammelt hatte. Er hat immer komponiert, das mit den ‹stillen Jahren› glaube ich nicht. Ich glaube, er hat viel über neue Wege des Komponierens nachgedacht. Oh, wir sollten über Händel sprechen, oder? Wenn Sie mich anfangen lassen, höre ich nicht mehr auf!» Dann bräuchten wir für Händel ein paar Tage… Stattdessen sprechen wir über Beethovens italienische Lieder, die sie im eigenen Verlag herausgibt. Und über die historisch informierte Interpretation, die sie nicht daran hindert, frühe Barockaufnahmen mit riesigen Orchestern zu bewundern. «Es ist so wichtig zu entdecken, was diese Musik diesen Leuten sagte! Wir glauben gern, wir wüssten alles. So falsch! Wir wissen das, was wir bis jetzt zusammenbrachten. Ich bin immer bereit, meine Meinung zu ändern.» Sie schnippt mit den Fingern. «Altern ist ein Prozess, bei dem mehr Fragen als Antworten entstehen.» Hinter ihr Gesangsideal macht sie aber kein Fragezeichen, sondern schreibt es mir auf, so, wie Rossini es von Petrarca übernahm und seiner letzten Schülerin aufschrieb: «Quel cantar che nell’anima si sente. Gesang, der in der Seele zu hören ist.»
Das Gespräch führte Volker Hagedorn.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 119, Februar 2025.
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Hintergrund
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Das Superbiest
Agrippina war eine überaus macht- und intrigenbegabte Frau im alten Rom. Als Schwester des berüchtigten Caligula und Mutter von Nero werden ihr schlimme Sachen nachgesagt. Ganz so furchtbar wie die Legende behauptet, war sie aber wohl gar nicht. Wir blicken zurück auf eine schillernde weibliche Persönlichkeit, über die Georg Friedrich Händel eine Oper geschrieben hat.
Was für ein Ungeheuer, diese Frau! Sie ging über Leichen, sie trieb es mit ihrem Bruder wie mit ihrem einzigen Sohn – nur, um ihre Herrschsucht zu befriedigen. Gift und Intrigen, Verleumdungen und Verschwörungen, alles mit dem einen Ziel: Im Zentrum der Macht zu stehen. Agrippina (die Jüngere), Urenkelin des Augustus, Schwester des Caligula, Ehefrau des Claudius und Mutter des Nero gilt als eine der abscheulichsten Gräuelgestalten der Weltgeschichte. Seit 2000 Jahren werden dieser Lady Macbeth des Altertums die schlimmsten Verbrechen angehängt. Eine schwarze Seele, ein Superbiest, durchtrieben und boshaft, dominant und skrupellos. Genau wie ihr Früchtchen Nero, das die Monstermutter am Ende umbringen liess. Ein Stoff, wie geschaffen für die Oper.
Nur folgerichtig also, dass auch Vincenzo Grimani, in Personalunion Kardinal, Vizekönig von Neapel und Theatergründer, der Faszination Agrippinas erlag. Um diese Dramaqueen auf die Bühne zu bringen, beauftragte Grimani mit der Komposition nicht etwa den famosen Alessandro Scarlatti oder dessen Sohn Domenico, sondern einen sächsischen Exoten mit unaussprechlichem Namen. Zum Singen gebracht hatte dieser G.F. Händel das berüchtigte Mutter-Sohn-Duo bereits in seiner Oper Nero, doch das Werk war wegen des schlechten Librettos ein Flop gewesen. Um Agrippina zum Erfolg zu verhelfen, schrieb Seine Eminenz Grimani das Textbuch lieber selbst.
Tatsächlich ist die Opern-Agrippina als Fabelgestalt der historischen Wirklichkeit weit entrückt. Keine der Szenen ist in den antiken Quellen geschildert, die höchst kreativ zu einem blossen Phantasiekonstrukt vermengt wurden. Nur die tradierten Klischees blieben bestehen: Die machtgeile Intrigantin Agrippina, ihr verschlagenes Muttersöhnchen Nero, der eitle Narr Claudius. Figuren, die von den Chronisten der Antike negativ ausgeschmückt wurden, um die These des Sittenverfalls in der frühen Kaiserzeit zu untermauern. Für Tacitus (58-120 n. Chr.) waren die Herrscher der Vergangenheit fast ausnahmslos Despoten, die den allgemeinen Sittenverfall befördert hatten. Dass Frauen wie Agrippina auf Teilhabe an der Macht bestehen konnten, war in seinen Augen ein staatszersetzendes Übel. Sueton (70-130 n. Chr.) war weniger ideologisch, aber besessen von heissen Sex-&-Crime-Geschichten. Und die christlichen Geschichtsschreiber erzählten die römische Politik sowieso als einzigen Sündenpfuhl. Zu Händels Zeiten waren die historischen Akteure längst zu Archetypen erstarrt, die nur noch dazu taugten, der Realität den Zerrspiegel vorzuhalten. Dabei wäre ihre wahre Geschichte doch mindestens genauso opernhaft gewesen.
Aber der Reihe nach. Bis auf den Diener Lesbo ist in unserer Oper keine Figur erfunden. Tatsächlich war Claudius (10-54 n. Chr.) auf seinem Eroberungsfeldzug nach Britannien kurzzeitig in Seenot geraten. Doch seine Liebesbeziehung zu Poppea Sabina ist pure Fantasie, ebenso wie Agrippinas Versuch, auf die briefliche Ankündigung von Claudius’ Ableben hin ihren Sohn Nero zum Kaiser zu machen. Das war erst fällig, als Claudius in seinem Bett gestorben war, angeblich von seiner Frau vergiftet. In Wirklichkeit hatte der Kaiser auch kein Auge auf die wegen ihrer Schönheit gerühmte Poppea geworfen. Diese war in zweiter Ehe mit dem Patrizier Otho verheiratet, einem Freund Neros. Als Nero Otho zum Statthalter von Portugal machte, liess sich Poppea von ihm scheiden und heiratete den Kaiser. Otho wurde seinerseits nach Neros Tod kurzzeitig Herrscher und versuchte vergebens, das Andenken seines Vorgängers zu retten. Als Intrigant taugte dieser Mann überhaupt nicht.
Poppea starb vermutlich an den Folgen der Misshandlungen von Nero. Ein Opfer männlicher Gewalt, genau wie ihre Schwiegermutter Agrippina. Und wie deren Mutter. Und wie deren Grossmutter. Alle diese Frauen der Kaiserfamilie mussten sterben, weil sie den Männern ihres Clans ausgeliefert waren. Als Töchter, Ehefrauen und Schwestern von Imperatoren standen sie im Mittelpunkt eines Weltreichs, das von Nordafrika bis nach England reichte, von Spanien bis nach Syrien. Sie waren hoch gebildet, privilegiert und unvorstellbar reich. Sie sprachen Griechisch wie Lateinisch, trugen Juwelen aus kostbaren Edelsteinen und Perlen im Haar, und sie assen in den mit Fresken geschmückten Speisesälen ihrer Paläste von silbernen Tellern. Sie ritten über die Alpen und segelten auf dem Nil, sie dirigierten Heerscharen von Sklaven, empfingen Könige, kommandierten Soldaten. Sie führten ein Leben voller Glanz und Gloria – bis sie in Ungnade fielen. Und aus dem Weg geschafft wurden.
Die Geschichte der Augustusfrauen ist eine Abfolge von Gewalt und Verfolgung. Opernhaft auch sie, düster und erschreckend. Zunächst traf es Julia, die einzige Tochter des Augustus. Mit dem ihr zugewiesenen Ehemann Marcus Agrippa hatte sie fünf Kinder, zwei ihrer Söhne wurden von Augustus adoptiert. Aber dann verstiess der Herrscher seine Tochter, angeblich wegen Ehebruchs, wahrscheinlich aber aus politischen Gründen. Augustus liess Julia auf eine einsame Insel verbannen. Sie starb, ohne Rom und ihre Familie wieder gesehen zu haben, vermutlich den Hungertod.
Nicht besser erging es Julias Tochter, der älteren Agrippina. Zunächst erzog ihr Grossvater Augustus sie als Kronprinzessin. Doch nach Augustus’ Tod war die inzwischen verwitwete Enkelin dem neuen Kaiser Tiberius ein Dorn im Auge. Er liess Agrippina als Staatsfeindin verbannen und auf der Insel Ventotene verhungern.
Auf dieselbe Insel wurde die jüngere Agrippina auf Weisung ihres Bruders Caligula verbannt. Nach Tiberius’ Tod hatte Caligula seine Schwester anfangs als Göttin bejubeln lassen. Aber bald wendete sich das Blatt. Agrippina wurde als Verschwörerin bestraft. Zwei Jahre musste sie am Verbannungsort ihrer Mutter und ihrer Grossmutter ausharren, bis sie ihr Onkel Claudius als neuer Kaiser befreite.
Julia und die Agrippinas waren nicht die einzigen Frauen aus dem julisch-claudischen Clan, die verbannt wurden. Aber die jüngere Agrippina war die Einzige, die die Verbannung überlebte. Kaum war sie wieder in Rom, verheiratete Claudius sie. Eine 26-jährige Prinzessin von ihrem Rang, Mutter eines dreijährigen Sohnes, durfte nicht allein leben. Der Kaiser gab sie einem einflussreichen und sehr vermögenden Freund zur Frau, den er durch die Eheschliessung noch enger an sich binden konnte. Dass Gaius Sallustius Crispus Passienus schon mit Neros Tante väterlicherseits verheiratet war, spielte keine Rolle. In der römischen High Society wurden Ehen weitaus schneller geschieden als geschlossen. Auch für Agrippina war es die zweite Ehe. Mit 14 hatte sie ihr Grossonkel Tiberius mit Gnaeus Domitius Ahenobarbus verheiratet, einem Enkel der Augustus-Schwester Octavia, mindestens 30 Jahre älter als die Braut. Gneaus starb, als der gemeinsame Sohn Nero drei Jahre alt war. Ihr erster Mann war reich gewesen, doch Passienus bot Agrippina ein Leben in unvorstellbarem Luxus. Angeblich verfügte er über ein Vermögen von 200 Millionen Sesterzen (1000 bildeten das Jahresgehalt eines Handwerkers) und über Dutzende von Sklaven. Zum Freundeskreis dieses hoch gebildeten Mannes und geschmeidigen Politikers gehörten neben den mächtigsten Patriziern auch berühmte Intellektuelle.
Anfang 42 zog Agrippina mit ihrem Mann nach Asien, wo Passienus den Posten als Statthalter übernommen hatte – ein Karrieresprung, der das Vertrauen des Kaisers bewies. Zwei Jahre später wurde er von Claudius ins höchste Amt befördert und zum Konsul ernannt. Doch bald darauf, im Jahr 47, starb Passienus: Agrippina war erneut verwitwet. Genau wie alsbald ihr Onkel Claudius, der Herrscher, dessen Frau Messalina im Herbst 48 wegen Hochverrats hingerichtet worden war. Messalina war eine Urenkelin von Augustus’ Schwester Octavia gewesen, Claudius’ Grossmutter hingegen war Livia, die Ehefrau des vergöttlichten ersten Kaisers, dessen Geschlecht der Legende nach von der Göttin Venus gegründet worden war. Dynastische Beziehungen waren für die Macht in Rom entscheidend. Eheschliessungen dienten dazu, die wichtigsten Clans miteinander zu verbinden, den Aufstieg im Herrschaftsgefüge zu ermöglichen oder Positionen zu festigen. Altersunterschiede oder persönliche Zuneigung der Brautleute spielten keine Rolle, ebenso wie Verwandtschaftsverhältnisse. Im Zentrum der Macht waren alle irgendwie miteinander verwandt. Trotzdem riskierte Claudius einen Skandal, als er 49 seine 24 Jahre jüngere Nichte Agrippina heiratete, das einzige überlebende Kind seines Bruders Germanicus. Eine Onkel-Nichte-Beziehung war ein gewaltiger Qualitätssprung in Richtung inzestuöser Machtsicherung. Eigentlich zu eng. Aber der Senat erlaubte es dann doch. Agrippina war eine gutaussehende Frau, hochgewachsen, kräftig und sportlich – die Quellen beschreiben sie als ausgezeichnete Schwimmerin. Doch sexuelle Attraktivität stellte für einen Römer der Oberschicht keinen Heiratsgrund dar, geschweige denn für den Kaiser. Die Vorstellung, dass die Nichte den Onkel zur Ehe verführt habe, ist unwahrscheinlich. Für derartige Bedürfnisse verfügte der nunmehr zum vierten Mal verheiratete Claudius über genügend Mätressen. Womöglich hatte er die Ehe mit Agrippina nie «vollzogen», denn Schwangerschaften der Kaiserin sind nicht bekannt, wohl aber die Existenz getrennter Schlafzimmer. Dass Agrippina ihren neuen Ehemann liebte, darf ebenfalls ausgeschlossen werden. Von Kindheit an den Verfolgungen durch Tiberius und seine Häscher ausgesetzt, später den Launen ihres Bruders Caligula ausgeliefert, das schreckliche Schicksal ihrer Mutter stets vor Augen, hatte sie ein hohes Mass an Anpassungsfähigkeit und Selbstbeherrschung entwickeln müssen, um ihr Überleben zu sichern. Nie eine Schwäche zeigen, unbeirrt auf Kurs bleiben, sich im richtigen Moment wegducken, im nächsten neu die Weichen stellen. Das war ihre Überlebensstrategie.
Die Zeit der absoluten Selbstkontrolle war noch nicht vorbei, sie würde nie vorbei sein. Claudius hatte soeben bewiesen, dass er noch nicht einmal vor der Hinrichtung der eigenen Ehefrau zurückschreckte, wenn sie ihn und seine Position gefährdete. Nie war ein Kaiser so weit gegangen, Agrippina war also gewarnt. Sie durfte Claudius nicht provozieren und musste sich gegen die Intrigen seiner Höflinge wappnen. Diese Frau, notiert halb angeekelt, halb bewundernd Tacitus, sei keineswegs leichtfertig und triebgesteuert gewesen: «Sie zog die Zügel straff an, wobei sie gleichsam die Männer zu Sklaven machte. Nach aussen trug sie Strenge, öfter auch Hochmut zur Schau. In ihrem Privatleben verstiess sie nicht gegen die sittlichen Grundsätze, höchstens, wenn dies ihrer Herrschsucht dienlich war.»
Bei Hof hatte Agrippina bereits einen Vertrauten in Pallas, der ihre Kandidatur für die Eheschliessung vorangebracht hatte. Der Ressortverwalter des Fiskus rückte mit ihr weiter ins Zentrum der Macht – und wurde spätestens jetzt zum Konkurrenten des Kanzleileiters Narcissus. Beide Höflinge waren ehemalige Sklaven, die unter Claudius zu Ministern aufstiegen. In Händels Oper erscheinen sie als Werkzeuge der Intrigantin Agrippina, in Wirklichkeit leiteten sie die hoch komplexe Zentralverwaltung eines Weltreichs, in der auch die Kaiserin selbst ihre Funktion hatte. Und das, obwohl Frauen offiziell gar keine Macht ausüben oder sich auch nur politisch betätigen durften. Das führte zu einem Dauer-Widerspruch in der herrschenden Klasse des Kaiserreichs. Denn Frauen durften erben, ihr eigenes Vermögen haben. Agrippina selbst war am Anfang der Ehe reicher als Claudius, andere Frauen kommandierten ganze Heere von Sklaven und verwalteten riesige Latifundien. Reichtum bedeutete Macht, auch im alten Rom.
Der Kaiser überliess seiner Frau eine Reihe von Aufgaben. Dazu gehörten die salutatio, also der akribisch protokollierte Empfang von Senatoren und Rittern und das Treffen mit ausländischen Gesandtschaften. Die weltgewandte Agrippina kannte sich mit Aussenpolitik besser aus als ihr Mann, der abgesehen vom Britannienfeldzug Italien nie verlassen hatte. Der jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus berichtet etwa von ihrem umsichtigen Eingreifen in einen Konflikt zwischen Juden und Samaritern. Claudius sei dem Rat seiner Frau gefolgt. Sie hatte das Recht, kaiserliche Dokumente zu unterzeichnen und liess sich in einem Prunkwagen zum Kapitol fahren, der eigentlich Priestern zum Transport von Kultgegenständen vorbehalten waren. Die Wirkung dieses Wagens auf den Strassen kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Ob und wie sie in Kontakt zum Volk trat, ist nicht bekannt. Aber niemand in Rom konnte übersehen, wie mächtig die Kaisergattin war. «Als Tochter eines Imperators und als Schwester, als Gattin und Mutter eines regierenden Prinzeps» habe sie eine einzigartige Position gehabt, stellt Tacitus fest. Genau wie ihr Ehemann verfasste Agrippina eine längst verschollene Autobiografie. Tacitus und der ältere Plinius nutzten sie als Quelle, letzterer erwähnt Agrippina als einzige weibliche Autorin in seiner Naturgeschichte. Ein Jahr nach der Eheschliessung liess der Kaiser seine Frau durch den Senat zur Augusta ernennen. Münzen mit ihrem Profil wurden geprägt, Statuen mit ihrem Porträt überall im Reich aufgestellt. Damit nicht genug, benannte Claudius ihren Geburtsort nach seiner Frau. Aus der Siedlung Ara Ubiorum in Germanien wurde die Stadt Colonia Claudia Ara Agrippinensis (CCAA), inzwischen: Köln. Nie hatte eine Frau in Rom so offenkundig so viel Macht gehabt. Die konservative «Fraktion» im Senat kritisiert Claudius dafür, dass seine Gattin sogar vor Soldaten auftrat. Vor der Prätorianerkaserne waren die Kohorten angetreten, um Senat und Volk die Kriegsbeute aus dem Britannienfeldzug zu präsentieren. Claudius und Agrippina wohnten dem Schauspiel auf zwei getrennten Tribünen bei, wie zwei Feldherren.
In Grimanis Opernlibretto dreht sich alles darum, dass Agrippina ihren Sohn Nero zum Herrscher machen wollte. Tatsächlich scheint sie viel dafür getan zu haben, ihn als Thronfolger aufzubauen, wusste sie doch aus Erfahrung, dass ihr eigenes Schicksal davon abhing, wieviel Macht die Männer der engsten Verwandtschaft haben würden. Und der kränkliche Claudius würde nicht ewig leben. Also sorgte sie dafür, dass Nero vom Kaiser adoptiert und als «Kronprinz» aufgebaut wurde, vorbei an Claudius’ leiblichem Sohn Britannicus. Aus heutiger Sicht ist das sicher schwer nachzuvollziehen. Doch derlei Adoptionen waren in der Schaltstelle der Macht üblich. Claudius wählte Nero, weil dieser in direkter Linie von Augustus abstammte, dem legendären, vom Volk angebeteten Kaiser. Noch wesentlicher: Sein «Konkurrent» und Stiefbruder Britannicus litt unter schwerer Epilepsie. Mit nur 14 Jahren starb er, angeblich an Gift, wahrscheinlich aber an seiner Krankheit.
Auch Claudius wurde angeblich ermordet. Bei einem offiziellen Gastmahl soll ihm auf Agrippinas Befehl ein Teller mit Giftpilzen verabreicht worden sein. Doch die Berichte darüber sind wenig überzeugend. Agrippina hätte wohl kaum vor so vielen Zeugen einen Mord begangen, für den sie zudem kein Motiv hatte. Sie befand sich als Kaisergattin bereits im Zentrum der Macht. Als Mutter des erst 17-jährigen Nachfolgers Nero musste sie in die zweite Reihe treten. Dafür sorgten nach wenigen Wochen Neros «Berater», allen voran der Philosoph Seneca. Agrippina hatte Seneca einst aus der Verbannung geholt und seine Karriere am Hof befördert, nun wurde er zu ihrem stärksten Gegenspieler. Sein Einfluss auf Nero war enorm. Bald entfremdete sich der Kaiser von seiner Mutter, verdrängte sie weitgehend aus der Öffentlichkeit und konfiszierte Teile ihres Vermögens. Von Seneca davon überzeugt, dass sie eine Verschwörung gegen ihn plane, liess er Agrippina schliesslich auf brutale Weise ermorden.
Recht so, urteilte die Geschichtsschreibung. Dass Frauen ihren Anteil an der Macht wollten, galt bis weit ins 20. Jahrhundert als widernatürlich. Also wurde weiter der abgestandene Hofklatsch von vor zwei Jahrtausenden verbreitet, über den Trottel Claudius, das Muttersöhnchen Nero und die Giftspritze Agrippina, die vor Inzest und Gattenmord nicht zurückschreckte, wenn es darum ging, ihre finsteren Ziele zu erreichen.
Für Claudius und Nero zumindest scheint sich das Blatt zu wenden. In neuen Biografien erfahren sie ihre Ehrenrettung. Seneca, von christlichen Theologen als «Vorläufer» entdeckt und verehrt, hat bis heute viele Anhänger. Dass Nero sich von ihm abwendete und ihn zum Schluss in den Selbstmord trieb, hat den skrupellosen Machtpolitiker zugunsten des Schöngeistes vergessen lassen.
Und Agrippina? Ist unsterblich als Monster, Hexe, Opernfigur. Genauer will man es eigentlich gar nicht wissen.
...
Die Publizistin und Historikerin Birgit Schönau veröffentlichte 2021 im Berenberg-Verlag «Neros Mütter – Julia und die Agrippinas. Drei Frauenleben im alten Rom.» Zuletzt erschien ihre Flussbiografie «Die Geheimnisse des Tibers» (C.H.Beck 2023). Birgit Schönau lebt in Rom.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 119, Februar 2025.
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Fragebogen
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Nahuel Di Pierro
Nahuel Di Pierro ist ein gern gesehener Gast am Opernhaus Zürich. So war er u.a. als Osmin («Die Entführung aus dem Serail»), Créon («Médée»), Seneca («L’incoronazione di Poppea»), in «Il viaggio a Reims», «King Arthur», «Le Comte Ory» oder «Semele» zu hören. Nahuel Di Pierro stammt aus Buenos Aires und trat u.a. am Théâtre des Champs-Élysées, bei den Festivals in Salzburg und Glyndebourne sowie an der Pariser Oper auf.
Aus welcher Welt kommen Sie gerade?
Aus ganz verschiedenen! Zum einen habe ich gerade ein neues Album
herausgebracht, Fra l’ombre e gli orrori, auf dem ich das italienische Barockmusik -Repertoire für Bass erforsche: von der Sterbeszene Senecas in L’incoronazione di Poppea bis hin zu Bravourarien von Händel. Ausserdem widme ich mich in dieser Saison wieder mehr den Liederabenden. Und ich werde zum ersten Mal inszenieren: Brechts Der Jasager / Der Neinsager an der Kammeroper des Teatro Colón in Buenos Aires.
Sie singen Claudio in Händels Agrippina. Wie würden Sie ihn charakterisieren?
Claudio besitzt viele faszinierende Nuancen, er hat Szenen von grosser emotionaler Tiefe, aber auch komödiantische Situationen. Er ist gerade erst dem Tod entkommen, und diese extreme Erfahrung führt bei ihm zu einer Art existenzieller Krise, durch die er seinen Platz in der Welt und seine Prioritäten in Frage stellt. Genau in diesem Moment erscheint das idealisierte Bild von Poppea – eine Illusion von Jugend, die er sehr verlockend findet und auf die er seine Sehnsucht projiziert, weiterzuleben. Er singt Arien von aussergewöhnlicher Schönheit, in denen er sein Ideal von Liebe zum Ausdruck bringt, ebenso wie Bravourarien und sogar Arien, die eher einen Buffo-Charakter haben. Also alles, was ich liebe!
Welches Buch würden Sie niemals aus der Hand geben?
Der Meister und Margarita von Michail Bulgakow.
Welche CD hören Sie immer wieder?
Zu viele, um eine auszuwählen… Ich höre ständig Musik, überall. Im Moment das letzte Album von The Smile’s, Cutouts, und argentinische Volksmusik, aber auch Frank Sinatras Live-Album mit dem Count Basie Orchestra, arrangiert von Quincy Jones, Sinatra at the Sands.
Welches Bildungserlebnis hat Sie am meisten geprägt?
Meine Zeit im Kinderchor des Teatro Colón. Der Kontakt mit der Bühne, die Wucht eines vollen Opernhauses, direkt neben den Sängerinnen und Sängern zu stehen – das hat tiefe Spuren in mir hinterlassen. Später, als Erwachsener, habe ich mich in keiner Bildungseinrichtung wirklich wohl gefühlt – weder in der Schule, noch am Konservatorium oder im Opernstudio. Was mich am meisten geprägt hat, waren meine Erfahrungen auf der Bühne und in meinem Studio. Und mein Lehrer Ricardo Yost hatte grossen Einfluss auf mich. Durch seinen Unterricht habe ich mich als Sänger weiterentwickelt. Ich lese sehr viel, und ich studiere gern für mich allein. Ausserdem lerne ich viel von den Regisseur:innen und Dirigent:innen, mit denen ich zusammenarbeite. Ich beobachte alles um mich herum, analysiere mich selbst, stelle Dinge in Frage und bitte um Hilfe, wenn ich mit etwas nicht klarkomme.
Mit welchem Künstler würden Sie gern einmal essen gehen, und worüber würden Sie reden?
Mit Mozart und Da Ponte! Ich würde vermutlich nicht viel sagen, sondern eher das Gespräch dieser beiden Genies belauschen, die die Oper komplett reformiert haben.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 119, Februar 2025.
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Wie machen Sie das, Herr Bogatu?
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Bogatu - Dafür sind wir nicht zuständig
Das Bühnenbild von «Agrippina» besteht aus detailliert ausgearbeiteten Räumen, und jeden einzelnen hat der Bühnenbildner Ben Baur wie ein Schmuckkästchen ausgestattet – dort eine spezielle Wandbespannung, daneben eine sehr spezielle Wandlampe, die über dem in allen Einzelheiten ausgearbeiteten Rahmen einer Wandvertäfelung hängt. Jeder Farbton wurde anhand von Mustern und nach verschiedensten Versuchen festgelegt. Ein kleines Zahlenbeispiel: Insgesamt wurden in den Räumen über 5000 Meter Leisten in Form von Verzierungen oder Friesen verbaut. Jede dieser Leisten muss an den richtigen Ort genagelt, geschraubt oder geklebt und dann mit der passenden Farbe angemalt werden.
Eines aber erhitzte die Gemüter in den Werkstätten so stark, dass ich ausführlicher darüber berichten möchte. Die Rede ist von circa 120 keramischen Plättli, die exakt 6 Zentimeter breit und 25 Zentimeter hoch sind. Echte Plättli, hochdeutsch Fliesen, wie man sie in Küchen oder Badezimmern verbaut. Ben Baur hatte diese ausgesucht, weil sie nicht flach, sondern sehr lebendig erscheinen: Sie sind hell und durch einen speziellen Brennprozess alle etwas unterschiedlich gefärbt, mal in einem helleren, mal in einem dunkleren gebrochenen Weiss mit bräunlichen Farbsprenklern am Rand, leicht glänzend. Die Oberfläche ist leicht genarbt – auch nicht ganz einfach nachzubauen. Ben hat diesen Plättlityp als Farb- und Oberflächenangabe ausgesucht. In der Regel fertigen wir die Teile dann mit vielen Tricks und grossem Aufwand theatergerecht nach. Wovon in der Regel ja auch diese Kolumne handelt.
In diesem Fall aber war es einfach zu verführerisch, die Plättli zu kaufen und ins Bühnenbild einzubauen, anstatt viele Muster anzufertigen, Besprechungen darüber abzuhalten und in einem aufwändigen Prozess etwas Neues zu erfinden. Echte Plättli sind in der Regel zu schwer für ein Bühnenbild. Die 120, die wir brauchten, wiegen aber nur knapp 50 Kilogramm, ein vertretbares Gewicht, und die Theatermaler zeigten sich erleichtert, nicht auch noch die Kacheln malen zu müssen. Doch als es darum ging, die Plättli auf die Sperrholzwand zu kleben, war plötzlich der Leiter der Abteilung, der sonst immer für alles Lösungen findet, der Meinung, dass sie keine Fliesenleger seien und nicht wüssten, wie das ginge und das deshalb nicht machen könnten. Ich war perplex. Was hatte diese Abteilung nicht schon für Wunder vollbracht. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, meldete sich unser Leiter der Tapeziererei und meinte, dass sie das zwar noch nie gemacht haben, aber es mal versuchen werden. An dem Tag, an dem ich diesen Text schreibe, wurde das Bühnenbild zum ersten Mal auf der Bühne aufgebaut, und natürlich klebten die Plättli perfekt auf der Wand, und es sieht unspektakulär schön aus.
Und warum habe ich die Verweigerungshaltung des Abteilungsleiters akzeptiert? Im Nachhinein verstehe ich seine Haltung dahingehend, dass er die Konsequenzen der Verwendung von echten Teilen weitergedacht hat: Wenn wir nur noch «echte» Dinge in die Bühnenbilder einbauen, braucht es irgendwann keine hochspezialisierten Theaterwerkstätten mehr, und daran ist er logischerweise nicht interessiert. Ich sehe da weniger Schwarz und stelle fest, dass bei über tausend Details des Nachgemachten die Kolumne auch einmal von 120 echten Plättli handeln kann.
Sebastian Bogatu ist Technischer Direktor am Opernhaus Zürich
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 119, Februar 2025.
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Biografien
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Harry Bicket, Musikalische Leitung
Harry Bicket
Der in Liverpool geborene Harry Bicket studierte am Royal College of Music und an der Universität Oxford, wo er Orgelstipendiat an der Christ Church war. Er ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Music und wurde 2022 im Rahmen der Queen's Birthday Honours mit einem «Officer of the Order of the British Empire» (OBE) ausgezeichnet. Seit 2007 ist er Künstlerischer Leiter des Ensembles The English Concert, mit dem er jüngst das Projekt «Handel for All» startete. Seine Diskografie wurde bereits für einen Grammy Award sowie für den Gramophone Classical Music Award nominiert. Ab 2013 war er Chefdirigent an der Santa Fe Opera und wurde 2018 zum Musikdirektor ernannt. Er dirigierte dort u.a. L’Orfeo, Pélleas et Mélisande, Carmen, Fidelio, Roméo et Juliette, Alcina und Candide. 2024 kehrt er mit Don Giovanni dorthin zurück. Er ist regelmässiger Gast an der Metropolitan Opera, wo er in den letzten Jahren u.a. Rodelinda, Le nozze di Figaro, Giulio Cesare, Agrippina und Così fan tutte dirigierte. Weitere Arbeiten führten ihn u.a. zur Lyric Opera of Chicago (Carmen, Rinaldo), Canadian Opera Company (Maometto II, Hercules), Houston Grand Opera (Le nozze di Figaro, Rusalka) sowie zum Chicago Symphony Orchestra, Los Angeles Philharmonic oder zum Boston Symphony Orchestra. In Europa debütierte er kürzlich an der Pariser Oper mit Ariodante und dirigierte u.a. an der Bayerischen Staatsoper München, dem Glyndebourne Festival, der English National Opera, dem Royal Opera House sowie zahlreiche renommierte Orchester. Am Liceu in Barcelona wurde er für das Dirigat von Giulio Cesare mit dem Preis des Opera Critic als «Bester Dirigent» ausgezeichnet.
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Jetske Mijnssen, Inszenierung
Jetske Mijnssen
Jetske Mijnssen studierte Niederländische Literatur an der Universität Amsterdam und Regie an der Amsterdamse Hogeschool voor de Kunsten. Es folgten Engagements als Regieassistentin an der Nederlandse Opera in Amsterdam, am Grand Théâtre de Genève sowie an der Vlaamse Opera in Antwerpen. Ab 2001 entstanden eigene Regiearbeiten, darunter La traviata am Konzert Theater Bern, Die Entführung aus dem Serail am Aalto-Theater Essen, Madama Butterfly am Theater Basel, Jules Massenets Werther am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken (2014 nominiert für den Theaterpreis DER FAUST), Die Dreigroschenoper und Il barbiere di Siviglia an der Opera Zuid in Maastricht, Almira an der Staatsoper Hamburg und bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik sowie L’Enfant et les sortilèges, Don Pasquale, Pinocchio und Benjamin Brittens Der kleine Schornsteinfeger an der Komischen Oper Berlin. Mit Humperdincks Königskinder gab sie 2014 ihr Debüt an der Semperoper Dresden. Ihre Inszenierung von Luigi Rossis Orfeo an der Opéra national de Lorraine in Nancy wurde mit dem Grand Prix du Syndicat de la Critique 2016 ausgezeichnet, und Il barbiere di Siviglia in Oslo wurde 2022 für den norwegischen Heddaprisen nominiert. Ihre jüngsten Arbeiten waren Haydns Orlando paladino, Idomeneo, Hippolyte et Aricie und Dialogues des Carmélites für das Opernhaus Zürich, Giovanni Legrenzis La divisione del mondo, eine Koproduktion der Opéra National de Rhin, der Opéra National de Lorraine und der Opéra Royal de Versailles, Anna Bolena und Maria Stuarda in Amsterdam, Zemlinskys Kleider machen Leute an der Staatsoper Prag sowie La clemenza di Tito in Kopenhagen.
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Ben Baur, Bühnenbild
Ben Baur
Ben Baur stammt aus dem südhessischen Reinheim und studierte an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee. Seine Arbeiten als Bühnen- und Kostümbildner sind an wichtigen Theatern und Opernhäusern Europas zu sehen: u.a. am Maxim Gorki Theater und Deutschen Theater in Berlin, am Volkstheater München, am Staatstheater Karlsruhe und Staatstheater Saarbrücken, an den Schauspielhäusern in Bochum, Zürich und Frankfurt, am Aalto-Musiktheater Essen, an der Staatsoper Stuttgart, am Opernhaus Zürich, an der Welsh National Opera Cardiff, an der Opéra national de Lorraine in Nancy und der Opéra royal du Château de Versailles, an der Niederländischen Oper Amsterdam, der Staatsoper Hamburg, am Royal Opera House Covent Garden und am Burgtheater Wien. Mit Jetske Mijnssen und Jan Philipp Gloger verbindet ihn eine enge Zusammenarbeit. Ben Baur gab 2014 sein Regiedebüt am Staatstheater Saarbrücken mit Lucia di Lammermoor, wo er anschliessend La traviata und Katja Kabanova inszenierte. Zu seinen Arbeiten als Regisseur gehören u.a. Hugo von Hofmannsthals Elektra am Deutschen Theater Göttingen, Roméo et Juliette und Il trovatore an der Oper Graz, Don Giovanni und Dialogues des Carmélites am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen, Il pirata und Faust am Theater St. Gallen, La bohème und Alcina am Staatstheater Braunschweig, sowie August Ennas Kleopatra an der Danish National Opera.
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Hannah Clark, Kostüme
Hannah Clark
Hannah Clark ist Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie wurde an der Nottingham Trent University und der Londoner Central School of Speech and Drama in Theaterdesign ausgebildet. Im Jahr 2005 gewann sie den Linbury Biennial Prize für Bühnenbild. Zu ihren jüngsten Arbeiten gehören die Kostüme von Platée und Ariadne auf Naxos (Opernhaus Zürich), Semele (Glyndebourne Opera), Mitridate, re di ponto (Garsington Opera), Il trittico (Scottish Opera), In the Realms of Sorrow (London Handel Festival), Berenice (Royal Opera House, Linbury), Stiffelio (Opéra national du Rhin), Future Cargo und Deadclub (Requardt & Rosenberg), die Kostüme für Henry VI Rebellion und The Wars of the Roses (Royal Shakespeare Company), Alcina (Opera North), Così fan tutte (Northern Ireland Opera), Idomeneo (Garsington Opera), L’incoronazione di Poppea (Opera Theatre of St Louis), 4.48 Psychosis (Royal Opera House, Lyric Hammersmith /Prototype Festival New York). Zuvor entstanden Arbeiten für die Royal Shakespeare Company (Taming of the Shrew und Queen Anne), für die Opera North (Silent night, Un ballo in maschera, Suor Angelica, L’incoronazione di Poppea, L’Enfant et les sortilèges, Trouble in Tahiti und Osud), für Requardt & Rosenberg (Motor Show sowie The roof), für Requardt & Company (Mothers, Episode, Pequeñas Delicias, Roadkill Café und Jammy Dodgers) sowie für Shakespeare’s Globe Theatre (Eyam, Thomas Tallis, The Knight of the Pestle, The Oresteia, Othello, The Taming of the Shrew, Romeo und Julia, The God of Soho, As you like it und A Midsummer Night’s Dream).
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Bernd Purkrabek, Lichtgestaltung
Bernd Purkrabek
Bernd Purkrabek studierte zunächst Bildnerische Gestaltung / Fotografie in Graz und später Lichtgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater in München. Während dieser Zeit war er als Beleuchter tätig und assistierte bei Reinhard Traub und Asa Frankenberg an verschiedenen Theaterhäusern. Eigene Arbeiten führten ihn u.a. an die Wiener Staatsoper, zu den Bregenzer Festspielen, ans Royal Opera House Covent Garden, an die Staatsoper Hamburg, die Staatsoper Stuttgart und die Semperoper Dresden. Dabei arbeitete er mit Regisseur:innen wie Jetske Mijnssen, Florentine Klepper, Stefan Herheim und Johannes Erath. Mit Claus Guth entstanden u.a. das Schubert-Projekt Lazarus, Saul und Orlando am Theater an der Wien sowie Jephtha in Amsterdam. Regelmässig arbeitet er zudem mit Christof Loy, mit dem u.a. Jenůfa und Falstaff an der Deutschen Oper Berlin, Les Vêpres Siciliennes am Het Musiektheater Amsterdam, Der Prinz von Homburg und Peter Grimes am Theater an der Wien, La fanciulla del West an der Königlichen Oper Stockholm, Macbeth am Grand Théâtre de Genève und Rusalka am Teatro Real de Madrid entstanden. Für Così fan tutte am Royal Opera House London wurde er 2017 für den Knight of Illumination Award nominiert.
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Kevin Graber, Video
Kevin Graber
Kevin Graber (Video) studierte bis 2009 im Fachbereich Video an der Hochschule Luzern. Nach seinem Abschluss war er freischaffend tätig in den Bereichen Videoprojektion, Interaktion, Installation, Videotechnik und Konzeption in den Sparten Kunst und Kultur. Seit 2014 arbeitet er hauptsächlich für die Schauspielbühne und arbeitete u.a. zusammen mit den Regisseur:innen Sophie Stierle, Bastian Kraft und Karin Henkel. Zudem arbeitete er mit Milo Rau für Die 120 Tage von Sodom am Schauspielhaus Zürich, Patric Bachmann und Olivier Keller für Frau im Wald an der Bühne Aarau sowie zuletzt mit Katja Langenbach für Orestie am Luzerner Theater. Seine Tätigkeit führte ihn ausserdem zur Schaubühne Berlin und ans Residenztheater München. Im Bereich des Musiktheaters produzierte er Videos und Projektionen für Lorry 39 (Komposition: Ying Wang) und A Cerebral's Rhapsody (Komposition: Huihui Cheng) in einem Uraufführungs-Doppelabend am Theater Freiburg. Seit 2022 studiert er Film an der Hochschule Luzern.
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Kathrin Brunner, Dramaturgie
Kathrin Brunner
Kathrin Brunner wurde in Zürich geboren. Sie studierte in ihrer Heimatstadt sowie an der Humboldt-Universität Berlin Germanistik, Musikwissenschaft und Französisch. Nach diversen Regiehospitanzen (u.a. Die Dreigroschenoper am Luzerner Theater; Regie: Vera Nemirova) und Dramaturgiehospitanzen ist sie seit 2008 Dramaturgin am Opernhaus Zürich. Hier arbeitete sie u.a. mit Regisseur:innen wie Achim Freyer (Moses und Aron), Harry Kupfer (Die Meistersinger von Nürnberg, Tannhäuser), Stephan Müller, Guy Joosten, Damiano Michieletto, Christof Loy (La straniera, Alcina, I Capuleti e i Montecchi, Don Pasquale, La rondine), Willy Decker (Il ritorno d'Ulisse in patria, The Turn of the Screw), Andreas Homoki (Wozzeck, Das Land des Lächelns, La forza del destino), Christoph Marthaler (Il viaggio a Reims, Orphée et Euridice), Barrie Kosky (Die Gezeichneten, Boris Godunow), Nadja Loschky, Nina Russi, Jan Essinger und Jetske Mijnssen (Idomeneo, Hippolyte et Aricie, Platée). Bei den Salzburger Festspielen 2012 erarbeitete sie La bohème mit Damiano Michieletto. Während der Corona-Pandemie war sie Co-Gründerin der Konzertreihe Altchemie live in der Alten Chemie Uetikon (https://www.altchemie.live).
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Nahuel Di Pierro, Claudio
Nahuel Di Pierro
Nahuel Di Pierro stammt aus Buenos Aires. Er studierte Gesang am Instituto Superior de Arte des Teatro Colón und war dort als Masetto (Don Giovanni), Haly (L’italiana in Algeri), Figaro (Le nozze di Figaro), Colline (La bohème) und Guglielmo (Così fan tutte) zu erleben. Nach Engagements im Pariser Opernstudio und beim Young Singers Project der Salzburger Festspiele gastierte er u.a. an der Deutschen Oper Berlin, der Nederlandse Opera in Amsterdam, in Santiago de Chile und Buenos Aires, am Théâtre des Champs-Elysées, der Opéra National de Bordeaux, bei den Festivals in Salzburg, Glyndebourne und Beaune und sowie regelmässig an der Pariser Oper. Er interpretierte u.a. Leporello (Don Giovanni) in Salzburg, Aix-en-Provence und Tel Aviv, Colline und Masetto am Royal Opera House, Osmin am Théâtre des Champs-Élysées, Guglielmo beim Edinburgh International Festival sowie Lorenzo (I Capuleti e i Montecchi) am Grand Théâtre de Genève und am Festspielhaus Baden-Baden. 2022/23 hat er u.a. Figaro (Le nozze di Figaro) an der Houston Grand Opera sowie Seneca (L’incoronazione di Poppea) am Gran Teatre del Liceu Barcelona gesungen. Im Konzertbereich trat er bereits mit dem Ensemble Matheus, Le Cercle de l’Harmonie und Le Concert d’Astrée auf und war mit dem Orchestre National de Paris unter Kurt Masur, James Conlon und Daniele Gatti und mit dem Orchestre de Paris unter Louis Langrée, Jérémie Rohrer und Bertrand de Billy zu erleben. Am Opernhaus Zürich war er als Osmin (Die Entführung aus dem Serail), Créon (Médée), Seneca (L’incoronazione di Poppea) sowie in Il viaggio a Reims, King Arthur, Le Comte Ory und Semele zu hören.
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Anna Bonitatibus, Agrippina
Anna Bonitatibus
Anna Bonitatibus, geboren in Süditalien, debütierte 1999 an der Scala in Mailand als Donna Elvira (Don Giovanni) und sang darauf am Teatro di San Carlo in Neapel Adalgisa (Norma). Seitdem gastierte sie u.a. am Royal Opera House in London, dem La Monnaie in Brüssel, der Wiener Staatsoper, dem Teatro Real de Madrid, der Bayerischen Staatsoper sowie bei den Festspielen in Baden-Baden, Salzburg und den Händel-Festspielen in Karlsruhe. Vor allem ihre Interpretationen der wichtigsten und bekanntesten Opern von Mozart und Rossini haben ihr Einladungen an die bedeutendsten Theater Europas und in die wichtigsten Konzertsäle der Welt eingebracht. So sang sie Angelina in La Cenerentola an der Bayerischen Staatsoper München, am Teatro dell‘ Opera in Rom, am Opernhaus Zürich und an der Opéra de Lyon, Cherubino in Le nozze di Figaro am Royal Opera House in London, am Pariser Théâtre des Champs-Elysées, am Gran Teatre del Liceu in Barcelona sowie am Teatro Regio Turin und Agrippina an der Staatsoper Hamburg. Im Zuge ihrer regen Tätigkeit auf Opernbühnen und im Konzertsaal hat Anna Bonitatibus unter der Leitung zahlreicher berühmter Dirigenten gesungen. So arbeitete sie u.a. mit Sir Charles Mackerras, Riccardo Muti, Sir Antonio Pappano, René Jacobs, William Christie, Ivor Bolton, Myung Whun Chung, Alan Curtis, Ottavio Dantone und Marc Minkowski zusammen. Zahlreiche CD- und DVD-Aufnahmen dokumentieren ihr künstlerisches Schaffen und 2015 wurde die CD Semiramide – La Signora regale mit einem International Opera Award ausgezeichnet. 2016 war sie zudem für den International Opera Award als beste Sängerin nominiert.
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Christophe Dumaux, Nerone
Christophe Dumaux
Christophe Dumaux, Countertenor, begann seine Gesangsausbildung in Meisterklassen von Noëlle Barker und James Bowman. Sein Studium absolvierte er am Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris. 2002 debütierte er mit 22 Jahren als Eustazio in Georg Friedrich Händels Rinaldo beim Festival de Radio France in Montpellier in Koproduktion mit dem Innsbruck Festival und der Berliner Staatsoper. Seither war er u.a. an der Metropolitan Opera New York, beim Glyndebourne Festival, an der Pariser Oper und dem Theater an der Wien zu erleben. Zu seinem Repertoire gehören die Titelpartien in Händels Tamerlano und Cavallis Eliogabalo, Ottone in Monteverdis L’incoronazione di Poppea und weitere Händelpartien. 2010 debütierte er in Glyndebourne (Rinaldo), 2012 in einer Neuproduktion von Giulio Cesare bei den Salzburger Festspielen sowie in Christoph Marthalers Sale am Opernhaus Zürich. 2013 interpretierte er die Rolle des Tolomeo (Giulio Cesare) erneut in New York und Paris, kehrte als L’humana fragilità / Anfinomo (Il ritorno d’Ulisse in patria) nach Zürich zurück und sang in Peter Sellars Inszenierung von Purcells The Indian Queen (Dirigent: Teodor Currentzis) in Madrid und Perm. 2014 debütierte er in seiner ersten Mozart-Rolle (Farnace in Mitridate) am Drottningholm Festival in Stockholm. Zuletzt sang er u.a. Polinesso in Händels Ariodante, welche an der Wiener Staatsoper Premiere hatte und anschliessend auf Europatournee ging, sowie Alessandro in Händels Tolomeo unter Giovanni Antonini.
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Lea Desandre, Poppea
Lea Desandre
Lea Desandre, Mezzosopranistin, studierte in Venedig und nahm 2015 an William Christies Le Jardin des Voix teil. 2017 wurde sie zur «Vocal Discovery» und 2021 zur «Lyrical Artist of the Year» an den Victoires de la Musique Awards ernannt. 2017 gab sie ihr Debüt in der Titelrolle von Alcione an der Opéra Comique. 2018 debütierte sie an den Salzburger Festspielen als Amore/Valletto (L’incoronazione di Poppea). Dort sang sie ausserdem Vénus (Orphée aux Enfers), Despina (Così fan tutte), Abel (La morte d’Abel) sowie Annio (La clemenza di Tito). An der Pariser Opéra Comique war sie in der One-Woman-Show Et in Arcadia ego mit Musik von Rameau zu erleben. Ausserdem gab sie 2021 ihr Rollendebüt als Cherubino (Le nozze di Figaro) in Aix-en-Provence. Zu ihrem Repertoire gehören zudem Rosina (Il barbiere di Siviglia), Idamante (Idomeneo), Messaggera (L’Orfeo) und Amour (Orphée). Konzerte und Liederabende führten sie u.a. in die Wigmore Hall und die Carnegie Hall, den Wiener Musikverein, das Théâtre Champs-Élysées, die Philharmonie de Paris, die Opéra National de Bordeaux, das Sydney Opera House, die Tschaikowsky Konzerthalle in Moskau und die Shanghai Symphony Hall. Sie hat mit renommierten Dirigent:innen zusammengearbeitet wie Gustavo Dudamel, Sir John Eliot Gardiner, Myung-Whun Chung, Jordi Savall, Emmanuelle Haïm und mit Regisseur:innen wie Barrie Kosky, Christof Loy, Lotte de Beer und Jossi Wieler. Ihre Diskografie umfasst u.a. ihr erstes Soloalbum Amazone, welches mit einem Gramophone «Editor’s Choice Award» ausgezeichnet wurde.
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Jakub Józef Orliński, Ottone
Jakub Józef Orliński
Jakub Józef Orliński, Countertenor, hat an der Fryderyk Chopin University of Music in Warschau seinen Master absolviert. Gleichzeitig war er 2012 Mitglied des Young Artists Programm an der Nationaloper Teatr Wielki in Warschau. Erste Bühnenerfahrungen sammelte er als Zweite Hexe in Dido and Aeneas und als Ariel in The Tempest am Collegium Nobilium Theatre in Warschau. Ab 2015 studierte er an der Juilliard School in New York und gewann den 1. Preis beim Marcella Sembrich International Voice Competition in New York. 2016 gewann er den 1. Preis am Oratorio Society of New York und wurde Finalist bei den Metropolitan Opera Council Auditions. 2017 gab er als Orimeno (Cavallis Erismena) sein Debüt beim Festival d’Aix-en-Provence und verkörperte diese Rolle 2019 erneut am Théâtre de Luxembourg. An der Oper Frankfurt war er 2017 in der Titelrolle von Rinaldo zu hören und kehrte im Mai 2019 als Unulfo (Rodelinda) dorthin zurück. Am Théâtre des Champs-Elysées in Paris sang er in Pergolesis Stabat Mater unter der musikalischen Leitung von Julien Chauvin und Narciso bei einer konzertanten Aufführung von Händels Agrippina. Unter der musikalischen Leitung von Emmanuelle Haïm war er zudem als Unulfo in Lille und in Caen zu erleben. In der Saison 2018/19 erschien sein Debütalbum Anima Sacra, welches er mit einer Tour durch Europa zusammen mit dem Orchester Il Pomo d’oro vorstellt. Zudem gab er sein Debüt in der Carnegie Hall mit einem Solistenkonzert zusammen mit dem New York Baroque Incoroprated. In der Warschauer Philharmonie war er in Händels Messiah zu hören und beim Montreal Bach Festival sang er ein Programm mit Bach-, Händel- und Vivaldi-Arien. Im Sommer 2019 ist er beim Glyndebourne Festival als Eustazio in Rinaldo zu hören.
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José Coca Loza, Pallante
José Coca Loza
Der mittlerweile in Zürich lebende bolivianische Bass José Coca Loza kam 2012 nach Basel, um an der dortigen Musikhochschule zu studieren. 2016 wurde er Mitglied im Opernstudio am Theater Basel, wo er in Händels Alcina, Dukas’ Ariane et Barbe-bleue, Verdis La traviata und Strauss’ Elektra zu erleben war. Seither ist er ein gefragter Gast an den bedeutendsten Opernhäusern Europas. Zu seinen vergangenen Höhepunkten zählen Melisso (Alcina) am Royal Opera House in London, Fiorello (Il barbiere di Siviglia) an der Opéra de Monte-Carlo, Jesus (Johannespassion) in Madrid, sein Debüt an der Wiener Staatsoper als Alidoro (La Cenerentola), die Basspartie in Der Messias im Théâtre des Champs-Élysées und im Grand Théâtre de Genève sowie Galakonzerte mit dem Venice Baroque Orchestra und dem Ensemble Matheus. Weitere Auftritte waren u.a. Caronte (L'Orfeo) mit L'Arpeggiata unter Christina Pluhar und an der Seite von Rolando Villazón, Der Messias bei der Mozartwoche in Salzburg, Haly (L'italiana in Algeri) bei den Salzburger Festspielen und an der Opéra Royal de Versailles, Alidoro auf Tournee mit Cecilia Bartoli beim Lucerne Festival sowie in Barcelona und Madrid, Clistene (L'Olimpiade) mit dem La Cetra Barockorchester im Concertgebouw Amsterdam sowie Mozarts Requiem mit dem Tonhalle Orchester Zürich und mit The Hague Philharmonic. Jüngst sang er Achilla (Giulio Cesare) unter der Leitung von Gianluca Capuano, das Bass-Solo in Händels Messias in Boston, Borea (Scarlattis Il Giardino di Rose) auf Tournee mit La Ritirata sowie die Titelpartie in Porporas Polifemo an der Opéra National du Rhin und der Opéra de Lille.
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Alois Mühlbacher, Narciso
Alois Mühlbacher
Alois Mühlbacher, Countertenor, absolvierte ein Schauspielstudium in Linz bevor er Sologesang bei Uta Schwabe an der Musik und Kunst Privatuniversität Wien und bei Michael Chance an der Royal Academy of Music in London studierte. Er debütierte bereits mit 15 Jahren an der Wiener Staatsoper als Mitglied der St. Florianer Sängerknaben. Inzwischen ist er weltweit zu erleben. So sang er u.a. bei der Eröffnungsgala des Opernhauses Wladiwostok, beim Silvesterkonzert des Mozarteum-Orchesters in Salzburg und Wien und gastierte mit der Wiener Akademie unter Martin Haselböck in München, Los Angeles, Mexiko und Madrid. Seine regelmässige Zusammenarbeit mit Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger führte ihn als Amyntas (Pastorelle en musique) u.a. zu den Telemann-Festtagen in Magdeburg und den Musikfestspielen Potsdam Sanssouci sowie als Solist in der Konzerttournee Grand Tour nach Schwetzingen und ans Festival Rheinvokal. In der Oper war er u.a. als Ismael in der Uraufführung von Gisle Kverndokks Fanny und Alexander am Landestheater Linz, als Eustazio in Händels Rinaldo in Linz und in einer konzertanten Aufführung von Händels Alcina mit Les Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski in Paris, Bordeaux, Madrid, Hamburg und Milan zu erleben. Höhepunkte der Saison 2023/24 waren u.a. seine Konzert-Debüts im Künstlerhaus München und am Litauischen Nationaltheater für Oper und Ballett. Seine Diskografie umfasst u.a. seine CD Urlicht, die 2023 dreifach für den Opus Klassik nominiert wurde. Er ist Mitgründer des Ensembles für Alte Musik PALLIDOR und übernahm2024 die künstlerische Leitung des Barock Festivals St. Pölten.
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Yannick Debus, Lesbo
Yannick Debus
Yannick Debus studierte Gesang an der Musikhochschule Lübeck, an der Hochschule für Musik Basel und an der Schola Cantorum Basiliensis. Parallel zu seiner Gesangsausbildung studierte er in Lübeck Musiktheorie und Gehörbildung. Während des Studiums sang er an den Theatern Kiel und Lübeck u. a. die Hauptrolle des Dichters in L’impresario in angustie (Cimarosa). Im Rahmen der Jungen Oper Schloss Weikersheim war er im Sommer 2017 in der Rolle des Vaters in Humperdincks Märchenoper Hänsel und Gretel zu erleben. Im Sommer 2018 sang er bei der Kammeroper Schloss Rheinsberg die Rolle des Guglielmo in Così fan tutte. Er war am Theater Basel in der Rolle des Kaisers Overall in Viktor Ullmanns Der Kaiser von Atlantis und als Figaro in Milhauds La mère coupable und bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik als Emireno in Händels Ottone, re di Germania zu erleben. Von 2020-2022 war er Mitglied des Internationalen Opernstudios in Zürich und war hier u.a. als Kilian in Der Freischütz, als Sprecher und 2. Priester in Die Zauberflöte, als Hermann in Les Contes d’Hoffmann, als Thierry in Dialogues des Carmélites und als Pieter in Girl with a Pearl Earring zu erleben. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit René Jacobs, mit dem er als Orpheus in Telemanns gleichnamiger Oper in Basel zu erleben war, und 2022 als Apollo in Händels Apollo e Dafne, als Kilian und Ottokar in der CD-Release Tournee vom Freischütz, und in Israel in Egypt. 2022 sang er im Konzerthaus Berlin Haydns Schöpfung und in der Berliner Philharmonie Beethovens 9. Sinfonie.