Gianandrea Noseda

Unser neuer Generalmusikdirektor ist da!

Endlich ist es soweit: Der neue Generalmusikdirektor des Opernhauses, Gianandrea Noseda, feiert seinen Amtsantritt. Mit dem gebürtigen Mailänder konnte Zürich einen renommierten Dirigenten, leidenschaftlichen Musiker und Menschen mit einnehmendem Wesen für diese Position verpflichten, die ein Opernhaus und sein Orchester entscheidend prägt. Noseda, der sich dem Zürcher Publikum bereits durch einige äusserst energiegeladene Dirigate vorgestellt hat, ist auf drei Kontinenten tätig, wurde mehrfach international ausgezeichnet und hat schon mehr als 70 CDs aufgenommen.

Noseda hautnah

Wir haben Gianandrea Noseda einige persönliche Fragen gestellt: Wovon er als Kind geträumt hat, warum er Dirigent geworden ist, welche Musik er nie dirigieren möchte, was wahrer «Reichtum» für ihn bedeutet und was ihn so richtig aufregt – das erfahren Sie in unserem Videointerview.

Opern

In seiner ersten Saison hinterlässt Gianandrea Noseda seinen Fingerabdruck im italienischen und deutschen Fach. Neben seiner Antrittspremiere mit Verdis Il trovatore Ende Oktober wird er auch bei dessen Falstaff sowie Wagners Tristan und Isolde die musikalische Leitung übernehmen. Im Frühjahr 2022 beginnt mit Das Rheingold ausserdem ein neuer Ring des Nibelungen: Zusammen mit Intendant Andreas Homoki wagt sich Noseda an seine erste Interpretation des epischen Wagnerzyklus.

Il trovatore

Oper von Giuseppe Verdi

Falstaff

Oper von Giuseppe Verdi

Das Rheingold

Oper von Richard Wagner

Tristan und Isolde

Oper von Richard Wagner

Konzerte

Der Italiener ist nicht nur als Opern- sondern auch als Konzertdirigent ein Künstler von internationalem Rang. Eine Woche nach der Premiere von Il trovatore dirigiert er die Philharmonia Zürich in Zürich, Basel und Bern auch im Konzert. Als Solist ist der weltweit gefeierte Ausnahmepianist Daniil Trifonov zu erleben. Auf dem Programm stehen Brahms’ Erstes Klavierkonzert, das sich durch sinfonische Weite und eruptive Ausdruckskraft auszeichnet, und Dvořáks Achte Sinfonie, die mit einer heiteren Stimmung aufwartet und von schönster böhmischer Folklore durchdrungen ist. Man darf gespannt sein auf die Interpretation von Gianandrea Noseda, der bekannt ist für seine enthusiastische und leidenschaftsdurchglühte Art zu dirigieren.

Brahms / Dvořák

2. Philharmonisches Konzert

Daniil Trifonov und Gianandrea Noseda interpretieren das 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms.

Sa 30 Okt 2021

So 31 Okt 2021 19.30
Stadtcasino, Basel
Mo 1 Nov 2021 19.30
Casino, Bern

Neujahrskonzert

Der international gefeierte Tenor Juan Diego Flórez ist als Stargast in unserem Neujahrskonzert zu erleben. Unter der Leitung von Gianandrea Noseda singt er berühmte Arien von Lehár, Bizet und Puccini.

Sa 1 Jan 2022
So 2 Jan 2022

Prokofjew / Dvořák

5. Philharmonisches Konzert

Der kanadische Geiger James Ehnes ist mit Prokofjews 1. Violinkonzert erstmals am Opernhaus Zürich zu hören. Es spielt die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Gianandrea Noseda.

So 27 Mär 2022

Tschaikowski / Bruckner

6. Philharmonisches Konzert

Im letzten Philharmonischen Konzert der Saison dirigiert Gianandrea Noseda Werke von Tschaikowski und Bruckner. Als Solistin ist die Stargeigerin Janine Jansen zu erleben.

So 15 Mai 2022

Noseda digital

«Brahms begleitet mich seit meiner Jugend»

Im Februar 2021 führte Gianandrea Noseda mit der Philharmonia Zürich und dem Chor der Oper Zürich eines der populärsten Oratorien der Romantik auf – Ein deutsches Requiem von Johannes Brahms. In unserem Video gibt der Dirigent Auskunft über die Besonderheiten dieses Werks und seinen persönlichen Bezug zum deutschen Repertoire des 19. Jahrhunderts.

Podcast

Was hat den italienischen Dirigenten geprägt? Wofür steht er künstlerisch? Wie denkt er über das Opernhaus Zürich?

Zum Podcast

Gianandrea Noseda spricht über seine erste Saison am Opernhaus Zürich

Mitglieder der Philharmonia Zürich heissen ihren neuen Generalmusikdirektor herzlich willkommen.

Jetzt trage ich Verantwortung

Gianandrea Noseda tritt sein Amt als neuer Generalmusikdirektor des Opernhauses Zürich an. Er dirigiert die Neuproduktion von «Il trovatore» und das 2. Philharmonische Konzert mit Werken von Dvořák und Brahms. Ein Gespräch über seine ersten Projekte.

Gianandrea Noseda, dies ist Ihre erste Spielzeit als neuer Generalmusikdirektor am Opernhaus Zürich. Wie geht es Ihnen, wenn Sie dieses Haus betreten – wie empfinden Sie die Atmosphäre?
Seit ich vor vier Jahren zum allerersten Mal hier war, um Verdis Macbeth zu dirigieren, habe ich mich immer wohlgefühlt. Das Opernhaus Zürich ist sehr produktiv, das professionelle Niveau ist sehr hoch. Und die Menschen, die hier arbeiten, sind sehr nett. Mehr kann man sich nicht wünschen! Jetzt bin ich allerdings nicht mehr nur Gast, sondern Generalmusikdirektor, also trage ich auch Verantwortung, vor allem für die musikalische Qualität, nicht nur in meinen eigenen Produktionen. Aber ich bin umgeben von grossartigen Kolleginnen und Kollegen, deshalb bin ich sehr zuversichtlich.

Einer der Gründe, warum Sie sich entschieden haben, nach Zürich zu kommen, war die Möglichkeit, hier den Ring des Nibelungen zu dirigieren. Diese vier Opern gehören wahrscheinlich zu den am meisten interpretierten Stücken des gesamten Repertoires. Warum ist es für einen Dirigenten interessant, noch eine weitere Interpretation zu liefern?
Für mich persönlich ist es interessant, weil ich nicht aus einem deutschsprachigen Land komme und der Ring für mich lange Zeit unerreichbar schien – wie etwas, das ich wahrscheinlich nie machen würde. Aber es ist ein Unterschied, ob ich als Italiener in Deutschland dirigiere – oder in der Schweiz! Hier in der Deutschschweiz fühle ich mich wohler damit. In einem deutschen Opernhaus hätte ich mich das vielleicht nicht getraut. Ich dachte: Wer sonst wird mir einen Ring anbieten? Es ist einfach eine schöne Herausforderung.

Mit dem Trovatore – der ersten Premiere, die Sie als Generalmusikdirektor bei uns dirigieren – sind Sie dagegen in Ihrem ureigensten Terrain unterwegs, in der italienischen Oper…
Ja, das Stück habe ich in Salzburg, an der Metropolitan Opera in New York und am Royal Opera House in London dirigiert, ich kenne es also ziemlich gut.

Wann immer man sich mit diesem Stück beschäftigt, liest man, wie schrecklich und vollkommen unverständlich die Geschichte sei – und wie fantastisch die Musik. Aber Verdi hat diesen Stoff ja sehr bewusst gewählt; was denken Sie, was hat ihn an dieser düsteren und tatsächlich ja etwas verwirrenden Geschichte fasziniert?
Dass sie so voll von Konflikten ist, aber auch voller Mysterien, voller Rätsel! Im Trovatore ist es nicht so einfach zu entscheiden, wer hier eigentlich gut ist und wer böse; in anderen Opern von Verdi ist das viel klarer. Der Conte di Luna mag uns auf den ersten Blick als der «Böse» und Manrico, sein Widersacher, als der «Gute» erscheinen. Aber dann erfahren wir – ganz am Schluss des Stückes –, dass die beiden Brüder sind. Diese Erkenntnis stellt alles auf den Kopf. Die Oper hat durchgängig eine unglaublich hohe Temperatur. Es geht um Feuer, Dunkelheit, Blut. Alles beginnt mit einem Scheiterhaufen, auf dem eine Frau verbrennt, und mit dem Mord an einem kleinen Jungen. Das Libretto ist – wenn man die sprachliche Ebene anschaut – durchaus raffiniert gemacht. Aber es geht bis an die Grenzen dessen, was uns akzeptabel und glaubwürdig erscheint – und manchmal auch darüber hinaus. Gleichzeitig gibt es eben auch Passagen, die zum Besten gehören, was Verdi je komponiert hat. Man hat den Eindruck, Verdi hatte endlos Kohle zur Verfügung, um das Feuer nicht nur weiter zu schüren, sondern immer noch heftiger lodern zu lassen. Manchmal kann man die Intensität der Musik und der Situationen fast nicht aushalten.

Die Tatsache, dass Azucena den Sohn des Grafen ins Feuer werfen wollte, dann aber aus Versehen ihr eigenes Kind verbrannte, ist allerdings schon nicht so ganz leicht nachzuvollziehen…
Es sei denn, man bedenkt, dass sie fast von Sinnen war vor Schmerz darüber, dass ihre Mutter als Hexe verbrannt wurde! Der Schmerz über dieses grausame Unrecht begleitet sie bis zu ihrem Tod im letzten Bild, wenn sie schliesslich selbst auf dem Scheiterhaufen sterben muss.

Was man ebenfalls oft liest über dieses Stück: Im Trovatore habe Verdi einen Schritt zurück gemacht in seiner kompositorischen Entwicklung und sich wieder mehr der Belcanto-Oper zugewandt. Können Sie das nachvollziehen?
Für mich ist es kein Schritt zurück. Es mag verwirren, dass es Momente gibt, die an Belcanto erinnern, wie die zweite Arie der Leonora oder die Arie des Grafen, die auch zu einer späten Donizetti­-Oper gehören könnten.

Die musikalische Charakterisierung von Azucena hat mit Belcanto allerdings gar nichts zu tun…
Nein, schöne Melodien, die es im Trovatore natürlich auch gibt und zwar in grosser Zahl, sucht man bei Azucena vergebens. Das beginnt übrigens schon mit dem Text, denken wir an ihre erste Arie, «Stride la vampa». Wie könnte man einen solchen Text in eine Belcanto­ Melodie fassen? Überhaupt ist Azucena in Verdis Figurenarsenal etwas ganz Neues: Sie ist die erste Hauptfigur, die von einem Mezzosopran verkörpert wird; Ulrica im Maskenball, Eboli in Don Carlo und Amneris in Aida werden später folgen.

Azucena war so wichtig für Verdi, dass er sogar die Oper ursprünglich nach ihr benennen wollte.
Schon in der ersten Szene, in der Erzählung Ferrandos, geht es um sie. Ihre Musik zieht sich durch die Oper, und noch ganz am Schluss spielt die Flöte ein Zitat aus ihrer ersten Arie. Ihre Besessenheit von Rache ist es, die das Stück vorantreibt.

Wie ist Manrico musikalisch charakterisiert?
Manrico ist eine fragmentierte Persönlichkeit. Er ist ein Künstler, er spielt Laute und singt, und zugleich ist er ein Krieger. Er kämpft auf der Seite des Revolutionärs Urgel. Ausserdem ist er «Zigeuner», aber eigentlich – wie wir als Zuschauer, aber auch er selbst erst ganz am Schluss erfahren – ist er der Bruder eines Grafen. Zu Beginn hört man ihn aus dem Off, zusammen mit der Harfe, wie er das Liebeslied eines Troubadours für Leonora singt. Das revolutionäre Element hören wir dann in seiner Cabaletta, aber auch in der Art und Weise, wie er mit seinem Vertrauten Ruiz spricht. Manrico ist getrieben von seinen Leidenschaften; das wiederum drückt sich zum Beispiel in seiner berühmten Arie «Di quella pira» aus. Im Gegensatz zum Grafen, der sehr viel kontrollierter agiert, lässt Manrico sich immer wieder von seinen Gefühlen mitreissen. Deshalb kann er auch am Schluss, als Leonora ihm sagt, er solle fliehen, nur an eins denken: Dass sie ihn und seine Liebe verraten hat. Anstatt sein Leben zu retten, ist er mit seiner Eifersucht beschäftigt. Er kennt nur schwarz oder weiss, entweder – oder. Als Azucena ihm erzählt, dass sie damals das falsche Kind ins Feuer geworfen hat und er gar nicht ihr Sohn ist, weigert er sich einfach, das zu glauben. Sie ist seine Mutter – basta!

Die Szene, die mich musikalisch am meisten beeindruckt, ist der Beginn des vierten Teils, wenn Leonora in den Turm geht, in dem Manrico gefangen gehalten wird, um ihn zu retten. Wie schafft es Verdi, diese unglaublich spannungsvolle Atmosphäre zu erzeugen?
Das ist eine Filmszene! Wir sehen eine Figur im Zoom – Leonora. Eine andere, Manrico, sehen wir aus der Ferne, wie aus einer anderen Welt; er singt hinter der Bühne. Dazwischen haben wir die Flashbacks im Kopf von Azucena. Dann gibt es Ruiz, der das Grauen beschreibt, das er sieht: den Scheiterhaufen, das Beil des Henkers. Dazu kommt ein religiöses Element: der Chor, der im Hintergrund ein Miserere singt, im Rhythmus eines Trauermarschs. All diese Elemente sind wie verschiedene Schichten, die ineinander geschnitten werden, und ergeben ein sehr komplexes Bild.

Was ist Ihnen bei Ihrer musikalischen Interpretation besonders wichtig?
Ich versuche, all das, was in der Partitur steht, ernst zu nehmen, keinen Akzent zu vermeiden, weil er «zu viel» sein könnte, sondern im Gegenteil jeden Akzent explodieren zu lassen. Das Pianissimo so zu gestalten, dass es wirklich unheimlich wird und einem Schauer über den Rücken jagt. Im Miserere, von dem wir gerade sprachen, gibt es eine Glocke, die man in vielen Aufführungen gar nicht hört. Ich denke, sie muss furchterregend sein, so ähnlich wie die Glocken in Boris Godunow – das ist die Glocke des Todes! Der einzige Weg für mich, dieses Stück zu dirigieren, ist, spirituell und emotional vollkommen nackt zu sein, alles zu geben und keinerlei Angst zu haben vor moralischer Verurteilung. In Trovatore geht es um Extreme. Das müssen wir rüberbringen.

Eine Woche nach der Premiere dirigieren Sie ein Philharmonisches Konzert. Der Solist ist der fantastische russische Pianist Daniil Trifonov. Haben Sie schon öfter mit ihm gearbeitet?
Wir haben mehrere Konzerte gegeben, das letzte war erst kürzlich in Washington. Da hat er das erste Klavierkonzert von Schostakowitsch gespielt, davor sind wir mit dem zweiten Klavierkonzert von Prokofjew am Verbier Festival aufgetreten und in Wien mit dem zweiten Konzert von Rachmaninow. Ich bin sehr neugierig zu sehen, wie er das Brahms­ Konzert angeht – und wie die Kombination eines deutschen Werks mit einem italienischen Dirigenten, einem russischen Pianisten und einem Schweizer Orchester aus Musikerinnen und Musikern aus vielen verschiedenen Nationen funktioniert! Bei Brahms denkt man immer an einen seriösen deutschen Komponisten, aber es gibt einige sehr kindliche und zärtliche Elemente in seinen Werken, die man selten wahrnimmt. Er war ein Mensch, der sich sehr um seine Freunde sorgte und ständig mit ihnen in Kontakt stand. Er hatte übrigens auch eine sehr kindliche Stimme, die man auf der einzigen Aufnahme hören kann, die es von ihm gibt; diese Stimme entspricht so gar nicht dem Bild des älteren bärtigen Mannes, das wir kennen! Wir finden in Brahms’ Werken das grandiose, majestätische Element, aber auch die Liebe zum Detail, verbunden mit einer grossen Zärtlichkeit. Um all das hörbar zu machen, braucht man einen Solisten wie Daniil Trifonov, der sehr abenteuerlustig ist, sehr tief empfindet, aber auch in der Lage ist, die gegensätzlichsten Elemente miteinander zu verbinden.

Sie lieben das deutsche Repertoire, aber auch das slawische Repertoire liegt Ihnen am Herzen.
Ja, deshalb habe ich für die zweite Hälfte des Philharmonischen Konzerts die achte Sinfonie von Antonín Dvořák programmiert. Brahms liebte Dvořák sehr und hat ihn oft beraten. Die Struktur der achten Sinfonie von Dvořák ist Brahms und überhaupt der deutschen Sinfonik sehr nah – mit slawischen Elementen natürlich, vor allem in der Melodik. Also eine gute Kombination, wie ich finde.

Das Gespräch führte Beate Breidenbach.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 86, Oktober 2021.
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Fotogalerie

 

Johannes Brahms «Ein deutsches Requiem» op. 45