
Capriccio
Capriccio
Die Aufnahme aus dem Jahr 2019 aus dem Teatro Real ist bis Pfingstmontag, 24. Mai 2021, hier kostenlos als Video on Demand verfügbar.
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Ein Konversationsstück für Musik in einem Aufzug von Richard Strauss (1864-1949)
Libretto von Joseph Gregor, Richard Strauss und Clemens Krauss
nach einer Idee von Stefan Zweig
Besetzung
Musikalische Leitung Asher Fisch
Inszenierung Christof Loy
Bühnenbild Raimund Orfeo Voigt
Kostüme Klaus Bruns
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreografie Andreas Heise
Die Gräfin Madeleine Malin Byström
Der Graf Josef Wagner
Flamand Norman Reinhardt
Olivier André Schuen
La Roche Christof Fischesser
Die Schauspielerin Clairon Theresa Kronthaler
Monsieur Taupe John Graham-Hall
Eine italienische Sängerin Leonor Bonilla
Ein italienischer Sänger Juan José de León
Der Haushofmeister Torben Jürgens
Diener Emmanuel Feraldo, Pablo García López, Manuel Gómez Ruiz, Gerardo López, Tomeu Bibiloni, David Oller, Sebastià Peris, David Sánchez
Gräfin / Tänzerin Elizabeth McGorian
Orchestra del Teatro Real
Ist das Wort wichtiger? Oder dominiert vielmehr die Musik? Die Frage nach dem Werteverhältnis von Ton und Wort in der Oper ist so alt wie die Gattung selbst, und sie steht im Zentrum von Richard Strauss’ Konversationsstück Capriccio, der letzten Oper des fast 80-jährigen Komponisten. Capriccio ist allerdings alles andere als ein trockener Diskurs über die Vorherrschaft von Sprache oder Musik in der Oper, sondern ein doppelbödiges Spiel, das die Kunstdiskussionen der Figuren virtuos mit ihren erotischen Verstrickungen verknüpft: In einem Salon nahe Paris unterhalten sich ein Theaterdirektor, ein Dichter, ein Komponist, eine Schauspielerin und der in sie verliebte Graf leidenschaftlich über das Wesen der verschiedenen Kunstgattungen. Der Graf schlägt vor, genau darüber eine Oper aufzuführen, über sie selbst, «die Ereignisse des heutigen Tages, was wir alle erlebt!». Im Mittelpunkt aller steht jedoch die verwitwete Gräfin Madeleine, Schwester des Grafen, um deren Liebe sich der Dichter Olivier und der Komponist Flamand im Wettstreit mit ihren Werken bemühen. Doch so sehr sich die Gräfin von ihnen angezogen fühlt, so sehr lässt sie ihre Entscheidung für den einen oder anderen offen – genau wie den Schluss des in Capriccio aufzuführenden Werks. Mit der rätselhaft-schwebenden Aura der Gräfin, ihrer Haltung aus Ironie, Wehmut und Einsicht, schuf Strauss noch einmal eine grosse, komplexe Frauenfigur, die eng verwandt ist mit Vorgängerinnen wie der Arabella oder der Marschallin aus dem Rosenkavalier.
«In Ihrem Salon vergehen die Stunden, ohne dass die Zeit älter wird, Frau Gräfin!», bemerkt die Schauspielerin Clairon einmal. Bei Regisseur Christof Loy sind die Capriccio-Figuren denn auch gleichsam wie in einer Zeitschleife gefangen; seine Inszenierung folgt der Selbstbespiegelung der Gräfin bis in alle Verästelungen und dreht noch ein wenig weiter am schwindelerregenden Spiel des Theaters im Theater.
Wir zeigen eine Aufzeichnung aus dem Teatro Real in Madrid, wo die Oper 2019 Premiere feierte. Als Koproduktion zwischen Madrid und Zürich wäre Capriccio am Pfingstwochenende 2021 in modifizierter Besetzung auch am Opernhaus Zürich gezeigt worden. Sämtliche Dekorationen sind in Zürich entstanden.
Trailer «Capriccio»
Interview
Die Oper Capriccio wurde oft als allegorischer, beinahe abstrakter Konflikt zwischen Text und Musik begriffen. Wie gehen Sie als Regisseur an eine so komplexe Ausgangslage heran?
Christof Loy: Viele Leute hatten mich vor diesem Umstand gewarnt, und so hatte ich ihn bereits im Hinterkopf, als ich begann, das Stück zu studieren. Doch das erste, was ich entdeckte, war, dass die Figuren sehr viel menschlicher sind, als sie auf den ersten Blick erscheinen. Strauss gestaltet seine Figuren immer sehr vielschichtig. In „Capriccio“ finden wir sogar Strauss selbst, denn ich habe das Gefühl, dass die Gräfin in Wirklichkeit Strauss meint, wenn sie Gluck als einen Opernkomponisten bezeichnet, der den Librettisten anleiten und der die Geheimnisse der Menschen und ihre Herzen genau kennen muss. Es ist wunderbar, in den Figuren von „Capriccio“ echte Menschen zu entdecken, die vor unseren Augen ihre Lebenskämpfe austragen.
[Die Oper wurde 1942 in München uraufgeführt.] Was bedeutet es, eine solche Oper mitten im Zweiten Weltkrieg zu komponieren?
Ich habe mich tatsächlich gefragt, warum Strauss keine Oper schrieb, die näher am Zeitgeschehen war. Doch ich komme zurück auf das Thema der Vielschichtigkeit der Figuren. Es gibt etwas Subtiles – und ich liebe Subtilitäten – in der Melancholie, die sich durch das Werk zieht. Mich bewegt der Moment, wenn die Gräfin sagt, dass alle Arten von Kunst durch unsere Herzen miteinander verbunden sind und die wiederum durch die Schönheit miteinander verbunden sind [„Fühlt es mit mir, dass allen Künsten nur eine Heimat eigen ist: Unser nach Schönheit dürstendes Herz!“]. Wenn man bedenkt, dass das damalige Publikum in München ständigen Bombardierungen ausgesetzt war, hat das etwas Erschütterndes. All diese Menschen waren auf der Suche nach Schönheit, und dies eben nicht oberflächlich. Deshalb bedeutet für mich die Frage, weshalb Strauss nicht etwa etwas über den Freiheitskampf des Volkes geschrieben hat, das Werk nicht zu verstehen.
Besteht nicht auch die Gefahr, dass die Oper zu einer reinen Gelehrtenübung verkommt?
Malin [Byström] war überrascht, wie viel Menschlichkeit in der Figur der Gräfin steckt. Der Schlüssel ist, dass sie nicht bloss eine hübsche Frau ist, die die Möglichkeit hat, sich zwischen zwei Männern zu entscheiden. Die Gräfin lebt in einer viel leidenschaftlicheren Realität, und wie die beiden Männer befindet sie sich in einer komplizierten Situation. Ich habe viele Strauss-Opern inszeniert, und ich denke, da gibt es viele Ähnlichkeiten mit Salome, einer Femme fatale; mit Arabella, die nicht weiss, wie sie sich entscheiden soll; mit Ariadne, die von einem Mann zum andern geht. Für mich war die Gräfin Madeleine eine Entdeckung, eine moderne Frau, die sich von Gefühlen überwältigt fühlt, mit denen sie nicht umzugehen weiss. Diese Frau hat etwas Französisches; wir glauben sie zu kennen, aber in Wirklichkeit hat sie ein grosses Geheimnis.
Wo spielt die Handlung Ihrer Inszenierung?
Mein Bühnenbildner und ich hatten viel darüber diskutiert. Wir beschlossen, die Bühne so schlicht wie möglich zu gestalten. Wir entschieden uns für das, was Strauss in seinen Anweisungen schreibt, aber weniger aufwändig und mit weniger ablenkenden Elementen. Für mich war es wichtig, dieses Gefühl von vergangenem Glanz in einer Umgebung zu zeigen, die sich in einer Übergangszeit befindet, die nicht mehr das ist, was sie einmal war. Im Text gibt es viele Anspielungen auf Abschiede, einschliesslich der Andeutung, dass der Mensch nicht ewig sei. Dies war sehr wichtig für die Konzeption der Inszenierung, insbesondere der Tatsache, dass wir alle gezwungen sind, uns selbst zu reflektieren und uns im Spiegel zu betrachten. Deshalb habe ich den Spiegel als eines der wenigen szenischen Elemente beibehalten.
Was zeigt der Spiegel der Gräfin?
Die Gräfin erlebt einen Moment der Introspektion, den ich dazu benutze, um eine Geschichte von jemandem zu erzählen, der entweder den Tag als Ganzes analysiert, nachdem er vergangen ist, oder der sich mittendrin befindet und erkennt, dass dieser Tag irgendwann Teil seiner Vergangenheit sein wird. Dies ist auch der Grund, warum ich eine junge Tänzerin eingeführt habe. Es ist eine junge Madeleine. Als wir das erste Mal probten und unsere Gräfin das junge Mädchen sah, war sie sehr gerührt. Man könnte unsere Bühne auch als einen verlassenen Ort interpretieren, an dem die verschiedenen Phasen von Madeleines Leben noch immer real sind.
In welchem Moment befinden wir uns also?
Der Tag, an dem die Oper spielt, ist vielleicht der wichtigste Tag in Madeleines Leben. Eine solche Intensität hat sie noch nie erlebt: Sie empfindet Liebe für zwei Männer gleichzeitig. Vielleicht spürt sie auch die Einsamkeit des Alters und den Schwindel beim Blick in die Zukunft, für die sie sich in diesem Augenblick entscheiden muss. Die Grundfrage des Stücks, wie man eine gute Oper schreibt, ist in Wirklichkeit eine Metapher dafür, wie man sein eigenes Leben gestaltet, so dass es Sinn macht. Und das ist natürlich nicht nur eine elitäre Frage.
Was können Sie uns über La Roche erzählen?
Die Wahrheit ist, dass ich mich entschieden habe, dieses Stück zu machen, als ich den Charakter von La Roche verstanden habe. Als ich jung war, dachte ich immer, seine Dialoge seien zu lang. Aber jemanden zu sehen, der so viel Leidenschaft für das hat, was er tut, und der nicht aufgibt, obwohl er weiss, was die Leute alles über ihn sagen, ist aussergewöhnlich. Er ist ein Charakter, der immer noch dieses innere Feuer hat. Dieses Feuer durchdringt das ganze Stück und macht ihn in gewisser Weise zum perfekten Partner für die Gräfin.
Interview: Laura Furones, im Programmheft des Teatro Real Madrid
Deutsche Übersetzung: Daniela Wiesendanger