On the Move
Dauer ca. 2 Std. inkl. Pausen nach dem 1. Teil nach ca. 25 Min. und nach dem 2. Teil nach ca. 1 Std. 10 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Die Einführungsmatinee findet am 8. Januar 2023 statt.
Partnerin Ballett Zürich
und mit der Unterstützung der Freunde des Balletts Zürich
Gut zu wissen
On the Move
Kurzgefasst
On the Move
Mit Beginn der Spielzeit 2023/24 übernimmt Christian Spuck die Leitung des Staatsballetts Berlin. Damit geht für das Ballett Zürich eine Ära zu Ende. Seit 2012 hat Christian Spuck das Ballett Zürich mit vielen erfolgreichen Produktionen als eine der führenden Ballettcompagnien Europas profiliert. Nach elf gemeinsamen Jahren verabschiedet er sich mit einer letzten Choreografie von Zürich und seinem Ensemble. Ins musikalische Zentrum stellt er dabei «Lontano», ein berühmtes Stück des ungarischen Komponisten György Ligeti (1923-2006). Die grossen Themen wie das Sich-Entfernen, Distanz und Abschied, die Ligetis Komposition anspricht, gewinnen in dieser neuen Choreografie vor dem Hintergrund von Spucks Abschied von Zürich und dem Eintritt in ein neues Lebenskapitel besondere Aktualität.
Die tänzerische Heimat von Louis Stiens ist seit 2011 das Stuttgarter Ballett. Für die Stuttgarter Noverre-Gesellschaft sind seine ersten Stücke entstanden, mittlerweile hat er bereits mehrfach für das Stuttgarter Ballett choreografiert. Mit seiner Choreografie Wounded gab er 2018 seinen Einstand beim Junior Ballett, jetzt kehrt er mit einem neuen Stück nach Zürich zurück. Zur Musik grosser Orchesterpartituren von Maurice Ravel und Claude Debussy befragt er den Naturbegriff des französischen Impressionismus und versetzt den isolierten Körper in seiner Kraft und Schwäche in ein zeitgenössisches Naturbild.
Hans van Manen gehört zu den Ballettlegenden des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Mit seiner unverwechselbaren Mischung aus akademischer Tanztechnik und eigenen Stilelementen hat er eine Tanzsprache entwickelt, die ihn zu einem der bedeutendsten Erneuerer des klassischen Balletts machte. Am 11. Juli 2022 feiert er seinen 90. Geburtstag. Mit On the Move zur Musik von Sergej Prokofjews Erstem Violinkonzert übernimmt das Ballett Zürich ein weiteres Meisterwerk des niederländischen Choreografen in sein Repertoire. 1992 für das Nederlands Dans Theater entstanden, wurde das Stück 2017 von Hans van Manen noch einmal überarbeitet. Wie in all seinen Werken thematisiert er auch in On the Move die zwischenmenschlichen Beziehungen. Das Geheimnis seiner spannungsgeprägten Stücke hat Hans van Manen mit einem Satz auf den Punkt gebracht: «Spannung entsteht, wenn man sich gegenseitig wahrnimmt, besonders bei einem Pas de deux.»
Pressestimmen
«ein musikalisches Ereignis»
NZZ, 16.01.23«ein gelungener Abschied»
SRF, 16.01.23«Musikalisch wie tänzerisch präsentiert sich Spucks Kompanie mit dem klug konzipierten, kurzweiligen Abend auf anspruchsvollem Niveau»
Stuttgarter Zeitung, 17.01.23
Über...
Im Herbst 2018, ich erinnere mich gut, hatte ich das Glück, zum ersten Mal in Zürich zu arbeiten. In meinem Stück Wounded habe ich mich seinerzeit mit dem Tanzen junger Menschen in den Medien der Unterhaltungsindustrie auseinandergesetzt. Mit den Tänzerinnen und Tänzern des Junior Balletts war das eine wunderbare Erfahrung. Seither ist viel passiert. Inzwischen tanze ich nicht mehr im Stuttgarter Ballett, das seit 2011 meine künstlerische Heimat gewesen ist. Das Choreografieren ist für mich in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, und diesen Weg will ich jetzt – ohne Engagement im Rücken – noch konsequenter beschreiten. Im Erforschen der eigenen Körperlichkeit beim Tanzen habe ich in jüngster Zeit eine grosse Bereicherung durch meinen Partner Shaked Heller erfahren, der ebenfalls tanzt und choreografiert. Schon für 2020 war eine Zusammenarbeit mit dem Ballett Zürich geplant, aber wie so viele andere Projekte ist sie der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen. Umso schöner, dass es jetzt doch noch dazu kommt!
In den letzten zehn Jahren war ich damit beschäftigt, eine eigene Bewegungssprache zu finden. Im Kontakt mit den Tänzerinnen und Tänzern hoffe ich, hier in Zürich noch einmal auf neue Ideen zu kommen und diese Sprache weiter auszubauen. Der künstlerische Austausch und das Einbinden der an einer Produktion beteiligten Personen ist mir sehr wichtig. Dabei interessiert mich das Feedback der Tänzerinnen und Tänzer sehr. Ich selbst hätte als Tänzer oft gern mehr zu entstehenden Projekten beigetragen, als einem Choreografen lediglich meine tänzerischen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen. William Forsythe hat schon in den 80er-Jahren vorgemacht, wie das gehen kann: Gemeinschaftschoreografien, die an die Leute gebunden sind, die sie kreiert und erfunden haben.
Hier in Zürich wollte ich nicht einfach eine abstrakte Choreografie abliefern. Mein neues Stück für das Ballett Zürich entsteht in enger Zusammenarbeit mit der Bühnenbildnerin Bettina Katja Lange. Da sie aus dem Bereich der visuellen, digitalen Medienkunst kommt und bisher nur wenig mit Tanz zu tun hatte, gehen wir gemeinsam durch einen bereichernden Arbeitsprozess. Das Konzept zum Stück ist im intensiven Austausch mit ihr entstanden. Bis auf die Musikwahl gab es keine konkreten Vorgaben. Wir wollten autonom arbeiten, uns im Austausch mit dem Sounddesigner Mike Utz gegenseitig inspirieren und so die Bedeutungsebenen des Stücks ständig hinterfragen und erweitern. Ich bin sehr glücklich über diesen Austausch, nachdem die Pandemie uns noch einmal deutlich vor Augen geführt hat, welch grossen Wert gemeinschaftliches Arbeiten hat und wie viel bereichernder das ist als der einseitige Egotrip.
Mit der Philharmonia Zürich steht für den Ballettabend On the Move ein Spitzenorchester zur Verfügung. Auf der Suche nach einer Musik, die Tänzer und Musiker gleichermassen herausfordert, bin ich irgendwann auf Claude Debussy und Maurice Ravel gestossen. In vielen ihrer Kompositionen haben sie Naturereignisse zum Thema gemacht. Mich hat interessiert, wie sie Natur in ihren Stücken spiegeln und wie sich die Sicht auf Natur, aber auch die Naturerfahrung in den letzten 100 Jahren gewandelt haben. Wenn wir Stücke wie Nuages oder Une barque sur l’océan heute hören, stellt sich oft der Gedanke an eine Idylle ein, die es so nicht mehr gibt und vielleicht auch nie gegeben hat. Es ist eine Natur, die mit der Realität nichts zu tun hat und die für mich nach einem Gegenpol verlangt. Natur in Reinform ist für uns heute kaum noch erlebbar. Fast immer treten wir in eine von Menschen, von Technologie überformte Natur. Ich habe mir angeschaut, was andere Choreografen zu diesen Kompositionen gemacht haben. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Musik zu bestimmten Stereotypen verleitet. Als Choreograf gerät man schnell in Versuchung, nur noch auf den fahrenden Zug aufzuspringen. Das möchte ich vermeiden. Für mich war relativ schnell klar, dass ich das Ganze in irgendeiner Form brechen muss.
Das dreidimensionale Bühnenbildobjekt, das Bettina Katja Lange entwickelt hat, wirkt deshalb wie ein Überbleibsel von Natur nach dem menschlichen Eingriff. Es erinnert noch an verschiedene Naturszenarien – eine Welle, einen Berg oder auch einen Lufthauch, aber es ist bereits ein Kommentar. Was passiert mit dem menschlichen Körper in dieser Umgebung? Wie natürlich, aber auch wie künstlich können sich Tänzerinnen und Tänzer darin bewegen?
Die Debussy- und Ravel-Kompositionen kontrastieren wir mit Tonaufnahmen, die wir mit unserem Sounddesigner Michael Utz am Uetliberg gemacht haben: das Rauschen des Windes ist zu hören, bewegtes Gestein, ein Flugzeug, das über den Berg fliegt. Entstanden ist eine Klangcollage aus Feldaufnahmen, die uns zufällige Bruchstücke und Ausschnitte aus der Natur präsentiert, denen aber nichts Idyllisches mehr anhaftet. Gemeinsam mit den Orchesterkompositionen entsteht eine Soundlandschaft, die in einen Dialog mit dem Bühnenbild und der Choreografie treten soll. In der Interaktion mit den Tänzerinnen und Tänzern wird in diesem Kosmos eine besondere Dramatik entstehen.
Für einen Choreografen ist es ein grosses Plus, wenn er im Studio selbst vormachen kann, was ihm in seiner Choreografie vorschwebt. Im Studio können wir im Moment nur in einem sehr vereinfachten Probensetting arbeiten. Deshalb bin ich nach Probenschluss gerade jeden Abend noch allein im und auf dem Originalbühnenbild unterwegs, um auszuprobieren, welche Bewegungs- und Schrittabläufe in diesem Setting möglich und praktikabel sind. Dabei ich habe ich mir schon jede Menge blaue Flecken geholt, die ich meinen Tänzerinnen und Tänzern in den Bühnenproben gern ersparen will. Zufällig ist es das Werk eines Schweizer Autors, das mich während der Entstehung dieses Stückes begleitet. In seinem 1934 erschienenen Roman Derborence erzählt Charles Ferdinand Ramuz von einem Bergsturz, der ein ganzes Dorf unter sich begräbt. Dass sich vor diesem Hintergrund im Roman eine Liebe entwickelt, die Natur also nicht nur ihre zerstörerische Kraft entfaltet, sondern weiter schöpferisch bleibt, hat etwas sehr Hoffnungsvolles.
Das Gespräch führte Michael Küster
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 97, November 2022.
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Fotogalerie
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