Nussknacker und Mausekönig
Ballett von Christian Spuck nach dem gleichnamigen Märchen von E.T.A. Hoffmann
Neufassung des Szenariums von Claus Spahn
Musik von Pjotr Tschaikowski (1840-1893)
Dauer 2 Std. 15 Min. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 1 Std. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.
Vergangene Termine
Dezember 2018
Januar 2019
Gut zu wissen
Nussknacker und Mausekönig
Kurzgefasst
Nussknacker und Mausekönig
Mit der eingängigen Musik Pjotr Tschaikowskis gehört der Nussknacker zu den beliebtesten Werken des Ballettrepertoires.
Der Handlung liegt ein Märchen von E.T.A. Hoffmann zugrunde, einem der berühmtesten Dichter der deutschen Romantik. Während Hoffmann allerdings in seinem Text virtuos zwischen Traum und Wirklichkeit balanciert und mehrere Erzählebenen miteinander verschachtelt, hat die Geschichte auf dem Weg zum Ballett-Libretto viel von ihrer schwarzromantischen Fantastik verloren. Der zweite Akt etwa besteht in den meisten Ballett-Produktionen seit der Uraufführung nur noch aus einem weitgehend handlungsfreien Divertissement, das eine bunte Folge von Tänzen und Ausstattungseffekten aneinanderreiht.
Christian Spuck hat E.T.A. Hoffmanns unheimliche Fantastik mehr interessiert als das zuckersüsse Weihnachtsballett. In seiner Version für das Ballett Zürich hat er die literarische Ursprungserzählung wieder ins Zentrum gerückt und deshalb auch das Märchen von der in ein Nussmonster verwandelten Prinzessin Pirlipat, das E.T.A. Hoffmann als Vorgeschichte zum Nussknacker erzählt, in die Handlung zurückgeholt.
In der Werkstatt des Paten Drosselmeier, die im Bühnenbild von Rufus Didwiszus an ein altes Revuetheater erinnert, erwachen die Figuren des Balletts zu neuem Leben. Christian Spucks Choreografie spielt mit dem überbordenden Figurenreichtum von E.T.A. Hoffmanns Erzählkosmos, der Skurrilität und dem überdrehten Witz, der ihnen innewohnt, blickt aber gleichzeitig auch in die düsteren Abgründe der Romantik.
Gespräch
Christian, der Nussknacker ist neben Schwanensee wohl das bekannteste Ballett überhaupt. Woher rührt diese Popularität?
Sie gründet natürlich auf Tschaikowskis genial eingängiger Musik und der Uraufführungs-Choreografie von Marius Petipa und Lew Iwanow. Aber im Verlauf des 20. Jahrhunderts hat sich der Erfolg des Stücks immer mehr verselbständigt. Vor allem in den USA wurde der Nussknacker zum ganz grossen Kassenschlager. Jede noch so kleine Compagnie hat ihn dort über Weihnachten im Programm mit bis zu 50 Vorstellungen, die alle ausverkauft sind. Viele amerikanische Compagnien verdienen ihr gesamtes Jahresbudget mit dem Nussknacker, der ihnen dadurch künstlerische Freiheiten für den Rest der Spielzeit verschafft. Der Nussknacker ist im Verlauf von 125 Jahren zum unverzichtbaren Teil der Weihnachtsfolklore geworden wie die Schokoladen-Nikoläuse, der Gänsebraten und Der Grinch als Film im Fernsehen. Man geht mit der ganzen Familie in eine Vorstellung, will Schneeflocken sehen und in festliche Stimmung versetzt werden. Es geht gar nicht so sehr um das Kunsterlebnis.
Und diese Erwartungshaltung willst du mit deinem Zürcher Nussknacker nicht bedienen?
Mich fasziniert die Geschichte, die sich hinter all den Äusserlichkeiten verbirgt. Sie basiert auf einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann. Und ich habe nach einem Weg gesucht, Tschaikowskis Musik mit der Ursprungsgeschichte von E.T.A Hoffmann zu verbinden.
Das romantische Künstlergenie E.T.A. Hoffmann zieht sich wie ein roter Faden durch dein choreografisches Schaffen. Den Sandmann und Das Fräulein von Scuderi hast du bereits in Ballettfassungen auf die Bühne gebracht, nun kommt Nussknacker und Mausekönig, wie Hoffmanns Erzählung im Original heisst.
Wir haben den originalen Titel für unsere Ballettproduktion übernommen als Hinweis darauf, dass uns Hoffmanns Ursprungserzählung sehr wichtig ist. Ich empfinde den Nussknacker nämlich als ebenso dunkel und fantastisch wie den Sandmann. Vor dem weihnachtlichen Hintergrund erleben wir ein Vexierspiel, das virtuos zwischen mehreren Wirklichkeitsebenen hin und herspringt und Realität und Imagination verschränkt. Die Weihnachtsszenerie ist nur die Verpackung für eine hochromantisch düstere Geschichte. Ich habe versucht, den Ballast der NussknackerRezeption hinter mir zu lassen, mich von der Geschichte neu inspirieren zu lassen und die Musik in einem veränderten Kontext neu zu hören. Das Stück ist voll von unheimlichen und merkwürdigen, aber auch skurrilen Momenten, und es gibt faszinierende Charaktere wie den Paten Drosselmeier. Er ist die geheimnisvolle, ungreifbare Figur, die die Fäden in der Geschichte zieht, die Tür zu imaginären Welten aufschliesst, das Mädchen Marie mit Geschichten und Vorführungen bannt und es manipuliert.
Marie steht im Zentrum des Stücks. Sie verliebt sich in Drosselmeiers Weihnachtsgeschenk, einen hölzernen Nussknacker, und der erwacht nachts zum Leben.
Genau. Der Nussknacker handelt von einem Mädchen auf dem Weg zum Erwachsenwerden, und Drosselmeier beeinflusst ihren Reifungsprozess. Es liegt etwas Sinistres und Unangenehmes darin, dass ein alter Mann das erotische Erwachen eines jungen Mädchens in Gang bringt und es von den Eltern entfremdet, sogar bis zu dem Punkt, dass es seine Familie verlässt und mit dem Nussknacker-Prinzen in eine andere Welt aufbricht.
Wie wird sich denn deine hoffmanneske Version von einem traditionellen Nussknacker unterscheiden?
Für gewöhnlich wird im Nussknacker ja zunächst der Weihnachtsabend der Familie Stahlbaum erzählt, der mit der nächtlichen Schlacht zwischen dem Nussknacker und dem Mausekönig und dem Schneeflockenwalzer hinübergleitet in die fantastische Welt des Zuckerlands, das dann als Schauplatz für das grosse Divertissement dient. Es folgt eine Aneinanderreihung von Nationaltänzen, und am Ende steht die grosse Apotheose mit Marie und dem Nussknacker im Glück. Handlung findet im zweiten Akt im Grunde nicht mehr statt. Es wird ein Nummernprogramm absolviert, das seine Legitimation aus der Demonstration tänzerischer Virtuosität bezieht. Natürlich möchte ich als Choreograf auch virtuosen Tanz zeigen. Aber es stört mich, dass in vielen Nussknacker-Versionen der Tanz nicht dazu benutzt wird, um eine Geschichte zu erzählen. Deshalb war für mich eine zentrale Frage, wie wir davon wegkommen können, dass im zweiten Akt nur noch ein Ballettgeschenkpaket nach dem anderen ausgepackt wird.
Und was ist deine Lösung?
Wir haben die Handlung mit neuen Elementen aus der E.T.A. Hoffmann Erzählung angereichert – und die Reihenfolge der Musik umgestellt. Wir haben theatralische Situationen kreiert, in denen die Musik dramaturgisch anders eingesetzt wird und deshalb auch noch einmal neu gehört werden kann.
Was sind das für Elemente, die neu eingeführt werden?
Vor allem das Märchen von der Prinzessin Pirlipat und der harten Nuss. Das ist eine Geschichte in der Geschichte, die Drosselmeier bei E.T.A Hoffmann Marie erzählt. Aus der französischen Adaption Alexandre Dumas’, die als Vorlage Nussknacker und Mausekönig 18 für die Librettofassung von Marius Petipa und Iwan A. Wsewoloschski fungierte, wurde diese Geschichte gestrichen, und wir haben sie nun in das Stück zurückgeholt. Für das Pirlipat Märchen verwenden wir viel Musik aus Tschaikowskis Divertissement im zweiten Akt, die nun in einem völlig neuen inhaltlichen Kontext erklingt.
Kannst du die Geschichte von der Prinzessin Pirlipat kurz erzählen?
Das würde an dieser Stelle zu weit führen. Das soll den Vorstellungen überlassen bleiben. Es ist nämlich keine kurze, beiläufig erwähnte Episode, sondern eine komplizierte Geschichte, die Drosselmeier Marie an drei Abenden erzählt. Schon als Leser wird man mit grossem Sog in diese Geschichte hineingezogen. Deshalb war es mir wichtig, ihr in meiner Ballettfassung den gebührenden Platz einzuräumen, auch wenn das beim Publikum zunächst vielleicht für Irritation sorgt.
Ist es eigentlich legitim, in Tschaikowskis Partitur einzugreifen und die Reihenfolge der Musik zu ändern?
Ich denke schon. Tschaikowski selbst hat ja ausgewählte Sätze aus dem Handlungskontext gelöst und zu Suiten für den Konzertsaal zusammengestellt. Beim Nussknacker handelt es sich ja eher um eine Aneinanderreihung sinfonischer Tänze als um ein durchkomponiertes Werk. Natürlich behalten wir da, wo Tschaikowskis Musik explizit Handlung erzählt, etwa in der Schlacht, den komponierten Kontext bei. Die meisten Nummern sind aber gar nicht unmittelbar an szenische Vorgänge gebunden. Für die Prinzessin Pirlipat verwenden wir zum Beispiel die Ouvertüre, die sonst nie choreografiert wird, obwohl sie sich hervorragend dazu eignet, weil sie Tempo und einen dramaturgischen Aufbau hat. Und die Nationaltänze aus dem zweiten Akt sind doch in ihrem Nummerncharakter eher inhaltsschwach und auch formal eher simpel gestrickt. Ich fand es sehr befreiend, mit der Musik offen umzugehen, weil sich da plötzlich Auswege aus den Nussknacker-Klischees auftun.
Welche Rolle spielt die Pantomime in deinem Ballett?
Vor allem bei der Darstellung des Weihnachtsfestes greifen viele Nussknacker Fassungen auf Pantomime zurück, was mich persönlich immer schnell ermüdet. Ich versuche, das zu vermeiden, weil ich überzeugt bin, dass sich mit Choreografie mehr sagen lässt als mit Pantomime. Einzig bei unserer etwas durchgeknallten Pirlipat-Gesellschaft wird es Pantomime geben, aber nicht um die Handlung voranzutreiben, sondern um den einzelnen Charakteren eine schärfere Kontur zu verleihen.
Der Nussknacker ist von jeher ein Ausstattungsballett gewesen. Welche Partner hast du für Bühne und Kostüme an deine Seite geholt?
Mit dem Bühnenbildner Rufus Didwiszus und der Kostümbildnerin Buki Shiff habe ich zwei fantastische Künstler gefunden, die wahre Meister sind, wenn es um grosse, bombastische Ausstattung geht. Sie haben genau das Gespür für grosse Theatralik, Ironie und Abgründigkeit, das ich für diese Produktion gesucht habe. Und sie unterlaufen die Kitschgefahr, die bei einem Nussknacker ja immer im Spiel ist. Buki Shiff arbeitet erstmals für das Ballett, und gemeinsam mit unserer Kostümabteilung arbeiten wir gerade sehr daran, ihre Visionen den Anforderungen des Tanzes anzupassen. Bukis Kostüme sind schräg, prächtig und ironisch zugleich. Sie bringen genau das mit, was ich mir für meinen Nussknacker vorgestellt habe.
Die Ironie als eine literarische Erfindung der Romantik ist diesem Nussknacker-Projekt von vornherein eingegeben. Gerade, wenn man E.T.A. Hoffmanns Märchen liest, kommt einem das sehr zu Bewusstsein. Eignet sich die Ironie als Ausdrucksmittel im Ballett?
Wie für E.T.A. Hoffmann ist Ironie für uns ein Mittel, um die Doppelexistenz von Wirklichkeit darzustellen. Das fängt bei ganz pragmatischen Fragen an: Wie stattet man mit Kostümen einen Blumenwalzer aus, ohne langweilige kitschige Blumen auf die Bühne zu bringen? Da hat Buki Shiff Kniffe gefunden, von denen ich mir auf der Bühne eine gewisse Wirkung erhoffe.
In welchem Kosmos ist deine Nussknacker-Version verortet?
Bei E.T.A. Hoffmann schenkt Drosselmeier den Kindern Marie und Fritz ein selbstgebautes, zauberisches Spielwerk, ein Schloss mit mechanisch bewegten Figuren. Das war die Ausgangssituation für das Bühnenbild von Rufus Didwiszus. Er hat einen Raum geschaffen -wenn man so will, Drosselmeiers Werkstatt -, der wie eine Kombination erscheint aus einem aufgelassenen Revuetheater, einem Antiquitätenladen und einem Wohnzimmer mit vielen versteckten Fächern und Öffnungen. Eine Welt, in der sich Dinge verselbständigen und die Realität ausser Kraft gesetzt werden kann. Die Dekonstruktion von Wirklichkeit ist ja überhaupt ein zentrales Moment in den Werken von E.T.A Hoffmann. Er war der Erste, der Märchen nicht – wie etwa die Brüder Grimm – in eine ferne Fantasiewelt verlegt, sondern fluktuierende Übergänge von Wirklichkeit und Fantasiewelt gestaltet. Auf diese Wirklichkeitsdekonstruktion zielt das Bühnenbild von Rufus Didwiszus. Wie E.T.A. Hoffmann seine Leser, so lässt die Bühne den Zuschauer im Unklaren, in welcher Welt er sich gerade befindet. Irritation ist Programm. Das setzt sich fort in der Art unseres Erzählens. Die Hauptfiguren, die später das Zuckerland bevölkern, tauchen auch in Maries FamilienRealität auf, wie etwa drei Tanten - Tante Schneeflocke, Tante Blume und Tante Zuckerfee. Ständig werden Wirklichkeit, Traum und Surreales ineinander geblendet. Vor Marie öffnet sich eine riesige Fantasiewelt.
Kinder lieben es, den Nussknacker anzuschauen. Ist deine Interpretation auch für sie geeignet?
Ich freue mich auf ein Publikum, das Lust hat, den Nussknacker neu und anders zu sehen. Natürlich auch Kinder! Aber was wir machen, ist kein Kinder oder Familienmärchen, das auf Harmlosigkeit und Niedlichkeit setzt.
Nur wenige Wochen nach der Premiere wird das Ballett Zürich mit dieser Produktion am legendären Moskauer Bolschoi-Theater gastieren. Mit welchem Gefühl begibst du dich ins Allerheiligste des klassischen Balletts?
Aus Anlass des 200. Geburtstages von Marius Petipa ist das Bolschoitheater Gastgeber für ein internationales Tanzfestival, zu dem Produktionen eingeladen sind, die sich mit dem Schaffen des legendären Choreografen auseinandersetzen und es neu hinterfragen. Es ist natürlich eine schöne Bestätigung für unsere Arbeit, bei diesem Festival eingeladen zu sein. Aber wir nehmen die Nussknacker-Interpretation mit, an die wir selbst glauben, auch wenn sie vielleicht nicht den Erwar tungen der Gralshüter des klassischen Balletts entspricht. Ich bin gespannt, wie unser Nussknacker beim russischen Publikum ankommen wird.
Das Gespräch führte Michael Küster, Dramaturg am Opernhaus Zürich.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 52, Oktober 2017.
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Pressestimmen
Zucker, Schokolade, Blumen – Tschaikowskys Nussknacker ist in der Regel eine ziemlich süsse Angelegenheit. Christian Spuck mischt dem Ballett einen ordentlichen Schuss schwarze Romantik bei.»
Neue Zürcher Zeitung vom 15. Oktober 2017
Zwischenspiel vom 28.11.2022
Zwischen Faust und Fliederfee
Jan Casier ist einer der charismatischsten Tänzer des Balletts Zürich. Die Bühnenfiguren des wandlungsfähigen Belgiers bleiben einem im Gedächtnis, seien es Woyzeck, Peer Gynt oder die Fliederfee in «Dornröschen». Die Zeitschrift «tanz» kürte Jan Casier 2019 zum «Tänzer des Jahres». Mit Michael Küster spricht Jan Casier über seine Zeit beim Ballett Zürich, Lieblingsrollen und Zukunftspläne. Zum Podcast
Essay
Träum was Schönes!
Die Vorstellungskraft von Kindern kennt keine Grenzen. Vor allem in der Weihnachtszeit lässt sie Geschichten, Träume, Wünsche und Wirklichkeit zu einer fantastischen Überwelt verschwimmen. Davon handelt E.T.A. Hoffmanns berühmte Erzählung «Nussknacker und Mausekönig». Die Macht des Imaginären ist grösser als die Realität des Sichtbaren.
Als unser Sohn im Kindergartenalter war, kam er nachts gerne ins elterliche Bett. Er lief dann vom Kinderzimmer aus barfuss mit schnellen Schritten über den Flur, vorbei an der Terrassentür, die in den dunklen Garten führte, und kroch hastig unter unsere Bett decke. In der Vorweihnachtszeit erzählte er uns eines Morgens, er habe in der Nacht hinter der Terrassentür das Christkind gesehen. «Oh wie schön», sagten die Eltern, «wie sah es denn aus?» «Es hatte faltige Haut, grüne Augen und strähniges Haar bis zu den Füssen.» Für die Eltern war das ein Schock: Das Kind hatte das Christkind als koboldhaft hässliche, alte Frau gesehen, obwohl sie doch den vorweihnachtlichen Erwartungszauber um das die Menschen beschenkende Christkind immer nur in den hellsten Farben ausgemalt hatten. Die Eltern mussten erfahren, dass sie Imaginäres noch so positiv vor Kinderaugen ausbreiten können, die Fantasie der Kleinen aber eigene Wege geht. Erwachsene können die Einbildungskraft von Kindern entfachen, kontrollieren können sie sie nicht.
Für die Romantiker war die kindliche Fantasie eine Quelle des Poetischen
Im versunkenen Spiel, in Tag und Nachtträumen vermögen Kinder in eine Welt einzutauchen, die den Erwachsenen unerreichbar ist. Ihre Fantasie entwickelt dann eine Eigendynamik, die Allerschönstes und Allerschlimmstes hervorbringt. Kindliche Fantasie erschien dem romantischen Künstler als eine Brücke ins Reich des wahrhaft Poetischen. Man muss nur an den Komponisten Robert Schumann und seine berühmten Kinderszenen denken, in denen er sich mit allem Vermögen des erwachsenen Künstlers einen unverbildet naiven Kinderblick zu eigen machte und kurze Klavierstücke von traumschöner Poesie zu Papier brachte. Geträumte Wirklichkeit, so wussten die Romantiker, erzählt viel mehr über den Menschen als alle Realität des Sichtbaren. In E.T.A. Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig ist die ausgeprägte Traumfähigkeit des Mädchens Marie der zentrale Antrieb für die Geschichte.
Sie verliebt sich in eine hölzerne Nussknacker Puppe, die ihr der Pate Drosselmeier zu Weihnachten geschenkt hat. Der Nussknacker erwacht nachts zum Leben, besteht gefahrvolle Abenteuer gegen den bösen Mausekönig, verwandelt sich schliesslich in einen Prinzen und nimmt Marie mit in ein Zuckerland Paradies. Hoffmanns Erzählung ist raffiniert verschachtelt zwischen der primären, von den Erwachsenen dominierten Wirklichkeit eines Weihnachtfestes und Maries Fieberträumen, zwischen dem unheimlichen Märchen von der harten Nuss, das der Pate Drosselmeier seiner Nichte am Bett erzählt (es handelt von der Rache einer Mäusekönigin) und einer Sphäre des ungebunden Fantastischen, in der sich Traum und Wirklichkeit bis zur Ununterscheidbarkeit vermischen. Schon die Zeitgenossen haben E.T.A. Hoffmann vorgeworfen, dass solche Doppelbödigkeiten für Kinder viel zu verwirrend und ungeeignet seien. Trotzdem wurde seine Erzählung zu einem Durchbruchstext in der europäischen Kinderliteratur. Die Belebung von Puppen und Spielzeug als Grundidee im Erzählen für Kinder hat hier ihren Ursprung Pinocchio über Maurice Ravels Oper L’Enfant et les sortilèges bis Winnie the Pooh von A.A. Milne, genauso wie die vexierbildhafte Fantastik von Lewis Carolls Alice in Wonderland oder das geheimnisvolle Gleis 9 ¾ im Londoner Bahnhof Kings Cross, auf dem sich in den Harry-Potter-Romanen das Schlupfloch zwischen Wirklichkeit und der fantastischen Welt von Hogwarts auftut. Die Nussknacker Erzählung, schreibt der Germanist Peter von Matt über E.T.A. Hoffmanns Bedeutung für die Jugendliteratur, sei ein schöner Beleg für die Tatsache, «dass die komplexen Werke der Literatur nicht langsam aus ganz einfachen Vorlagen herauswachsen, sondern dass die komplexesten Formen nicht selten den Anfang bilden.»
Drosselmeier dringt mit spitzigen Instrumenten in die Mädchenseele ein.
In der Welt von E.T.A. Hoffmann ist Naives und Rührendes nie ohne das Abgründige zu haben. Der Autor gibt zwar seiner Marie einen Märchenprinzen an die Hand und schickt die beiden auf wahrhaft märchenhafte Weise ins Glück, indem er sie am Ende über Konfitüren Haine, vorbei an Limonadenbächen, durch Rosinen und Mandeltoren in ein Marzipanschloss führt. Aber er lässt auch den Paten Drosselmeier durch die Geschichte spuken. Er ist der undurchschaubare, sinistre Zeremonienmeister des Fantastischen, der auf allen Erzählebenen der Geschichte auftaucht. Als bei den Kindern beliebter Onkel, der immer besondere Geschenke zu machen versteht, wird er eingeführt. Aber schon sein Aussehen verheisst nichts Gutes: Klein, hager und einäugig ist er, und anstatt Haare trägt er eine Glasperücke. In Maries erstem Weihnachtsalbtraum sitzt er mit wehenden gelben Rockschössen auf der Wanduhr und erweckt die Spielsachen der Kinder zu gespenstischem Leben. E.T.A. Hoffmann lässt den Paten wie einen Kinderverderber erscheinen, der sich Maries bemächtigt. Drosselmeier ist nicht nur der Erzähler bedrohlicher Geschichten am Bett des Mädchens, sondern führt sich auch als erzählte Figur selbst in die Geschichten ein: Als sein eigener Neffe gibt er sich die Gestalt eines jungen Mannes von prinzenhafter Schönheit. Mitseinen Erzählungen, seinen Puppen und seinen zauberischen künstlichen Spielwerken schlägt er Marie in seinen Bann, entfremdet sie ihrer Familie, initiiert das erotische Erwachen des Mädchens und inszeniert sich dabei in der Gestalt seines jugendlichen Alters Egos als Objekt von dessen Liebe. Im ersten Kapitel der Erzählung schreibt E.T.A. Hoffmann, wie der Pate Drosselmeier Uhren zu reparieren pflegt: «Mit spitzigen Instrumenten» steche er in sie hinein, «dass es der kleinen Marie ordentlich wehe tat». Das darf durch aus als Bild für die manipulative Übergriffigkeit Drosselmeiers auf Maries empfindsame Mädchenseele gelesen werden: Auch in sie dringt er «mit spitzigen Instrumenten» ein. Harmlos ist das nicht, aber auch kein Fall von finsterem Missbrauch, denn E.T.A. Hoffmann jongliert mit den Motiven des Bedrohlichen, ohne sie mit letztem Ernst auszuloten. Immer wieder wendet er sie ins Skurrile, Komische und Absurde. Hoffmann ist ein Spieler, der sich auf die Kunst des Als ob versteht, ein romantischer Ironiker, der die Dinge mit leichter Hand in der Schwebe hält, ein Artist des Erzählens, der atemberaubend und lustvoll durch verwirrende Perspektivwechsel turnt. Als Vielfachbegabung hat er auch im richtigen Leben Ausschliesslichkeit gemieden: Hoffmann war Kammer gerichtsrat, Komponist, Dichter, Exzentriker und Lebenskünstler in einer Person; einer, der sich nie ganz festlegte und nie ganz zu fassen war und «die eigene Identität im Vexierbild der Verwandlungslust vervielfältigt», wie der E.T.A. Hoffmann Biograf Rüdiger Safranski schreibt. Das virtuose Ineinanderblenden von Realität und Imagination war etwas Neues, das Hoffmann in die romantische Literatur einführte und das zu einem unverwechselbaren Stilmerkmal seines Schaffens wurde. Für ein «Kindermärchen», als das die Erzählung gedacht ist, erwächst aus dieser ständig fluktuierenden Mehrfachperspektive freilich auch etwas Gefährliches: Gewöhnliche Märchen entführen Kinder in eine entlegene Welt des Erfundenen, deren Existenz - so bedrängend sie in ihrer Wirkung - auch sein mag mit dem Zuklappen des Buches endet. Die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit ist klar gezogen. Hoffmann aber verwendet viel Energie darauf, diese Trennlinie zu verwischen. Er verschränkt Maries nächtliche Exkursionen mit der bürgerlichen Weihnachtsrealität ihrer Familie und holt das Eintauchen in und das Aufwachen aus der Märchentraumwelt in seine Erzählung hinein - mit wirklichkeitszersetzender Wirkung. Im ständigen Changieren zwischen dem Fantasierten und dem scheinbar Realen zieht er der Handlung und dem Leser den festen Boden unter den Füssen weg.
An Weihnachten soll sich die Wirklichkeit ins Wunderbare weiten
Wobei mit dem bürgerlichen Wohnzimmer der Familie Stahlbaum in den Stunden des Heiligenabends eine Realität in die Erzählung eingezogen wird, die von vorneherein nicht besonders stabil ist. Wir alle kennen das doch aus dem wirklichen Leben: Sind am Heiligen Abend nicht die meisten Menschen - kleine wie grosse - emotional etwas überreizt und sentimental vernebelt? Schwindet mit dem Glöckchenklingeln der Bescherung nicht immer ein wenig der Sinn für das Reale und wird überlagert vom Wünschen und Glauben und grossen Heimlichtun? Der bürgerliche Weihnachtsabend ist jenseits des religiösen Aspekts ein zutiefst romantisches Konstrukt, vor allem wenn Kinder dabei sind. Der Wirklichkeitsraum soll sich dann ins Wunderbare weiten. Alles soll auf eine Welt verweisen, die sich hinter den realen Dingen auftut, vom Engels haar bis zu Weihnachtsliedern abschnurrenden Hirten. Alles soll mit Kindersinnen gesehen und gehört werden. Und es funktioniert ja auch: Ich möchte bis heute schwören, dass mir mein geliebter Teddy unter dem Weihnachtsbaum mit seiner kleinen Bärenpfote zugewinkt hat. Genau da setzt E.T.A. Hoffmann mit seiner Wirklichkeitsdekonstruktion an und treibt Weihnachten mit diabolischer Lust in die Paranoia. Von diesem hoffmannesken Weihnachtswahnsinn müsste auch jede Dramatisierung der Erzählung handeln, sonst fehlt ihr Entscheidendes. Die Entstehungs und Aufführungsgeschichte des Nussknacker-Balletts von Pjotr Tschaikowski hat sich allerdings in eine andere Richtung entwickelt: Der Aberwitz, das Verrückte und die ganze, aus den Fugen geratene Erzähldynamik wurde abgeschwächt, eingehegt und verharmlost. Das begann bereits mit der Adaption der Erzählung durch Alexandre Dumas d. Ä., die die literarische Grundlage für die Ballettversion bildet - sie ist eine Simplifizierung des Hoffmannschen Originals. Mit dem grossen Erfolg des Balletts und den Darstellungskonventionen, die sich tief in die Aufführungsgeschichte eingegraben haben, setzt sich diese Entwicklung fort: Der Nussknacker, wie man ihn heute landauf, landab erlebt, ist eher Bestätigung der Weihnachtsidylle als deren Entfremdung durch das Fantastische. E.T.A. Hoffmann Leser aber wissen, dass all die Figuren, die im weihnachtlichen Wohnzimmer stehen, all die Glasengel und Räuchermännchen, Lebkuchenmänner und Nussknacker gar nicht die Kitschdekoration sind, als die sie angeschafft wurden. Sie leben wirklich! Die Zuckerfee beginnt nachts zu tanzen. Und wer weiss, womöglich hat auch das Christkind grüne Augen.
Text von Claus Spahn, Chefdramaturg am Opernhaus Zürich.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 52, Oktober 2017.
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Wie machen Sie das, Herr Bogatu?
Sie erinnern sich vielleicht an das Pendel in der Wanduhr, die in der hölzernen Stube unseres Werthers hing. Wir haben es in dieser Produktion nicht geschafft, dieses Pendel zum schönen, harmonischen Pendeln zu bewegen. Das war eine Niederlage, die uns Technikern noch ein halbes Jahr später schwer im Magen liegt, obwohl das Pendel gerade mal dreissig Zentimeter lang war. Für den neuen Nussknacker sind nun Christian Spuck und sein Bühnenbildner Rufus Didwiszus auf die Idee gekommen, wieder ein Pendel auf die Bühne zu bringen, dieses Mal allerdings ein riesiges – eine mannshohe, wie Blei aussehende Scheibe an einer mehr als sieben Meter langen Stange. Mitten im Stück sollte es auf Kommando ausgelöst werden und quer über die gesamte Bühne pendeln. Sie können sich nun sicher vorstellen, dass wir diese Herausforderung sofort dankbar angenommen haben, natürlich auch, um die Scharte von Werther auszuwetzen.
Zunächst braucht das gigantische Pendel einen fest verankerten Drehpunkt im Himmel über der Bühne. Dazu haben die Schlosser einen Stahlkäfig gebaut, in dem die Pendelstange drehbar aufgehängt ist. Diesen Käfig hat die Bühnentechnik an zwei der vielen, über der Bühne hängenden Zugstangen befestigt. Wir haben das Pendel mit einer Verriegelung quer an denselben Zugstangen festgemacht und mithilfe unserer Motoren auf etwas über neun Meter Höhe gezogen. Wichtig war noch, vor dem Hochziehen am Riegel ein Seil zu befestigen, mit dem man die Verriegelung lösen kann. Zieht man nun an diesem Seil, saust das Pendel im grossen Bogen abwärts, fegt ein paar Zentimeter über den Bühnenboden und pendelt auf der anderen Bühnenseite wieder fast neun Meter in die Höhe.
Trotz seiner Grösse ist das Pendel dabei so schnell unterwegs, dass bei jeder Vorstellung beim ersten Schwung ein Raunen durch den Zuschauerraum geht. Die Aktion sieht nicht nur gefährlich aus, sie ist auch gefährlich und bedingt eine grosse Disziplin: Das Pendel wird nur ausgelöst, wenn die Tänzer genau auf den verabredeten Positionen weit ausserhalb der Flugbahn sind und die Bühnentechnik alle Zugänge zur Bühne abgesperrt hat. Denn wenn das Pendel entriegelt ist, können wir es nicht mehr stoppen!
Ein Problem ist ausserdem, dass der Schwung des Pendels auch die Zugstangen, die ja ihrerseits an Seilen im Schnürboden hängen, ebenfalls sehr stark ins Schwingen bringen würden, sodass sie unkontrolliert gegen unsere Einbauten im Bühnenturm schlügen. Um dem entgegenzuwirken, haben wir Bügel gebaut, mit denen wir die Zugstangen seitlich an der Tragwerkskonstruktion unserer Bühne fixieren konnten. Da das Pendel allerdings noch schwingend aus der Sicht der Zuschauenden gezogen wird, muss, sobald das Pendel nicht mehr so weit ausschlägt, diese Fixierung gelöst werden können. Auch das bedurfte einiger Übung und eines guten Timings: Wird die Fixierung zu früh gelöst, fängt alles so stark zu schwingen an, dass wir das Pendel nicht wegziehen können. Lösen wir es zu spät, bewegt sich das Pendel zu wenig, und das Publikum bekommt den Eindruck, dass die Zeit stillsteht.
Nach ein paar Proben hatten die Schnürmeister aber den Dreh raus und fuhren das System gekonnt an allen Hindernissen vorbei aus der Sicht. Welche Erleichterung dann bei der Premiere: Wir können auch pendeln!
Text von Sebastian Bogatu.
Illustration von Anita Allemann.
Dieser Artikel ist erschienen in MAG 53, November 2017.
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Nussknacker und Mausekönig
Synopsis
Nussknacker und Mausekönig
Erster Akt
In der Werkstatt von Pate Drosselmeier.
Tanz der Zuckerfee (Akt II, Nr. 14); Version für Akkordeon.
Marie und ihr Bruder Fritz besuchen den Paten Drosselmeier in seiner Werkstatt. Er zeigt den Kindern sein grosses Spielwerk – eine Fantasiemaschine mit mechanischen Figuren. Die Kinder bitten Drosselmeier, das Spielwerk in Bewegung zu setzen. Er tut ihnen den Gefallen. Staunend betrachten sie, was sich vor ihren Augen abzuspielen beginnt.
Valse finale et apothéose (Akt II, Nr. 15)
Das Spiel der Puppen erzählt das Märchen von der harten Nuss: Im Königsschloss wird ein Fest zu Ehren der schönen Prinzessin Pirlipat gefeiert. Der König, die Königin und der ganze Hofstaat sind anwesend. Alle sind entzückt von dem selbstbewussten, eigensinnigen Königskind. Zu den Gästen gehören auch vier Prinzen, die um Prinzessin Pirlipats Gunst werben.
Ouvertüre (Akt I, Nr. 1)
Plötzlich erscheint eine Maus und stört das Fest. Der König tötet den ungebetenen Gast. Das Fest wird fortgesetzt. Die Prinzen machen Prinzessin Pirlipat den Hof. Drosselmeiers Spielwerk stoppt.
Scène dansante – Drosselmeiers Bescherung (Akt I, Nr. 4)
Marie und Fritz sind allein in der Werkstatt. Der ungezogene Fritz ärgert seine Schwester, die ganz im Bann von Drosselmeiers Zauberdingen steht.
Danse des mirlitons – Tanz der Rohrflöten (Akt II, Nr. 12 Divertissement E)
Handlung und Musik
Das Märchen von der harten Nuss geht weiter: Jetzt dringen viele Mäuse in das Königsschloss ein. Sie wollen Rache nehmen für ihren getöteten Verwandten und werden angeführt von ihrer Königin, der bösen Frau Mauserinks.
Scène dansante (Akt I, Nr. 4), Fortsetzung
Die Grossfamilie Stahlbaum kommt von den letzten Weihnachtseinkäufen nach Hause und ist bereits in festlicher Stimmung. Marie und Fritz streiten noch immer. Auch drei Tanten sind zum Weihnachtsabend eingeladen: Tante Schneeflocke, Tante Blume und Tante Zuckerfee. Als Pate Drosselmeier auftaucht, will Marie unbedingt von ihm wissen, wie die Pirlipat-Geschichte weiter geht.
L’ornement et l’illumination de l’arbre de Noël – Schmücken und Anzünden des Weihnachtsbaums (Akt I, Nr. 1)
Prinzessin Pirlipat ist von Frau Mauserinks in ein hässliches Nussmonster verzaubert worden. Unentwegt knackt sie mit ihren kräftigen, übergrossen Zähnen Nüsse. Sie will nichts anderes essen als nur Nüsse, Nüsse, Nüsse.
Le chocolat – Spanischer Tanz (Akt II, Nr. 12 Divertissement A)
Die vier Prinzen sind entsetzt über die Verwandlung der Prinzessin. Sie wollen sie retten, wissen aber nicht, was sie tun sollen.
Le thé – Chinesischer Tanz (Akt II, Nr. 12 Divertissement C)
Auch der König und die Königin können nicht glauben, dass aus ihrer Tochter ein Nussmonster geworden ist. Die allgemeine Aufregung am Hof ist gross. Alle sind ratlos. Dabei gibt es etwas, das die verzauberte Prinzessin Pirlipat erlösen kann – der süsse Kern der harten Nuss Krakatuk.
Trépak – Russischer Tanz (Akt II, Nr. 12 Divertissement D)
Plötzlich taucht ein weiterer Prinz auf, und siehe da: Er hat die harte, goldene Nuss Krakatuk bei sich. Die vier Prinzen versuchen, sie zu knacken, beissen sich aber die Zähne an ihr aus. Sie ist einfach zu hart. Der geheimnisvolle, neu angekommene Prinz aber schafft es mühelos, die Wundernuss zu öffnen. Er gibt Prinzessin Pirlipat die süsse Frucht zu essen.
Danse des mirlitons – Tanz der Rohrflöten (Akt II, Nr. 12 Divertissement E)
Die Prinzessin wird wieder schön und verliebt sich auf der Stelle in ihren Retter. Wütend über den gelösten Zauber, kehrt Frau Mauserinks mit ihrer Mäusesippe zurück. Der Prinz zertritt sie. Im Sterben verflucht sie ihn.
La mère Gigogne et les polichinelles – Mutter Gigogne und die Polichinelles (Akt II, Nr. 12 Divertissement F)
Mauserinks hat den Prinzen in einen Nussknacker verwandelt, der sich nur noch wie eine Holzpuppe bewegen kann. Alle wenden sich entsetzt von ihm ab. Nur Marie nicht, die Drosselmeiers Spiel aufmerksam beobachtet hat.
Marche (Akt I, Nr. 2)
Heiligabend ist da. Die Familie betritt das Weihnachtszimmer. Es ist wie jedes Jahr: Der Grossvatertanz eröffnet das Fest, dann folgen die Eltern. Die Kinder sind kaum zu bändigen, und Fritz erweist sich einmal mehr als ewiger Störenfried. Auch die drei Tanten feiern mit.
Scène et danse – Grossvatertanz (Akt I, Nr. 5)
Für die Kinder ist der Besuch des Paten Drosselmeier immer ein Höhepunkt des Weihnachtsabends, denn er bringt besondere Geschenke mit. In diesem Jahr schenkt er Fritz Spielzeugsoldaten und Marie einen Nussknacker.
Petit galop des enfants et entrée des parents – kleiner Galopp der Kinder und Auftritt der Eltern (Akt I, Nr. 3)
Marie ist ganz verliebt in ihr Nussknackergeschenk. Kaum hat es der grobe Fritz in den Händen, ist es auch schon kaputt: Ein Arm des Nussknacker ist abgebrochen. Drosselmeier repariert ihn. Als es Zeit ist zum Schlafengehen, mag sich Marie gar nicht von ihrem Nussknacker trennen. Im Weihnachtszimmer schläft sie ein. Drosselmeier erscheint ihr als Spukgestalt. Die Uhr schlägt Mitternacht. Die Nussknackerpuppe wird lebendig.
Scène – Clara und der Nussknacker (Akt I, Nr. 6)
An der Seite des Nussknackers wird Marie Zeugin eines nächtlich-weihnachtlichen Schneeflockenzaubers.
Valse des flocons de neige – Schneeflocken-Walzer (Akt I, Nr. 9)
Zweiter Akt
Maries Weihnachtstraum geht weiter. Auch die anderen Spielsachen sind zum Leben erwacht. Die Familie erscheint, aber Eltern, Grosseltern und die Kinder haben nun die Gestalt von Mäusen angenommen. Plötzlich taucht der böse Mausekönig mit seiner Sippe auf, um sich für den Tod seiner Mutter zu rächen.
Coda (Akt II, Nr. 14)
Scène – Clara und der Prinz (Akt II, Nr. 11)
Marie fürchtet sich. Fritz formiert seine Husarenarmee, um gegen die Mäuse zu kämpfen. Es kommt zur Schlacht zwischen den Mäusen und den Spielzeugsoldaten, in der sich der Nussknacker als der wahre Held erweist: Er ersticht den Mausekönig mit seinem Säbel – und der böse Zauber, der auf ihm liegt, ist gelöst. Der Nussknacker wird wieder zu einem Prinzen.
Scène – Die Schlacht (Akt I, Nr. 7)
Marie kann ihr Glück nicht fassen: Der Nussknacker ist ein Traumprinz.
Scène – Im Tannenwald (Akt I, Nr. 8)
Der Prinz nimmt Marie mit ins Zuckerland, wo die Blumen Walzer tanzen.
Valse des fleurs – Blumenwalzer (Akt II, Nr. 13)
Marie begegnet der Zuckerfee.
Le café – Arabischer Tanz (Akt II, Nr. 12 Divertissement B)
Im Zuckerland feiern alle Traumfiguren ein grosses Fest.
Valse finale et apothéose (Akt II, Nr. 15)
Der Prinz ist weg, Marie sucht ihn. Drosselmeier stoppt den Puppenzauber.
Tanz der Zuckerfee (Akt II, Nr. 14 Variation II)
Marie erwacht in der Werkstatt und begegnet Drosselmeiers Neffen, der ihrem Nussknacker und dem Traumprinzen zum Verwechseln ähnlich sieht.
Pas de deux (Akt II, Nr. 14)
Biografien
Christian Spuck, Choreografie und Inszenierung
Christian Spuck
Christian Spuck stammt aus Marburg und wurde an der John Cranko Schule in Stuttgart ausgebildet. Seine tänzerische Laufbahn begann er in Jan Lauwers’ Needcompany und Anne Teresa de Keersmaekers Ensemble «Rosas». 1995 wurde er Mitglied des Stuttgarter Balletts und war von 2001 bis 2012 Hauschoreograf der Compagnie. In Stuttgart kreierte er fünfzehn Uraufführungen, darunter die Handlungsballette Lulu. Eine Monstretragödie nach Frank Wedekind, Der Sandmann und Das Fräulein von S. nach E.T.A. Hoffmann. Darüber hinaus hat Christian Spuck mit zahlreichen namhaften Ballettcompagnien in Europa und den USA gearbeitet. Für das Königliche Ballett Flandern entstand 2006 The Return of Ulysses, beim Norwegischen Nationalballett Oslo wurde Woyzeck nach Georg Büchner uraufgeführt. Das Ballett Die Kinder beim Aalto Ballett Essen wurde für den «Prix Benois de la Danse» nominiert, das ebenfalls in Essen uraufgeführte Ballett Leonce und Lena nach Georg Büchner wurde von den Grands Ballets Canadiens de Montréal, dem Charlotte Ballet, USA, dem Tschechischen Nationalballett Prag und vom Stuttgarter Ballett übernommen. Die Uraufführung von Poppea//Poppea für Gauthier Dance am Theaterhaus Stuttgart wurde 2010 von der Zeitschrift «Dance Europe» zu den zehn erfolgreichsten Tanzproduktionen weltweit gewählt sowie mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust 2011 und dem italienischen «Danza/Danza-Award» ausgezeichnet. Christian Spuck hat auch Opern inszeniert: Auf Glucks Orphée et Euridice an der Staatsoper Stuttgart folgten Verdis Falstaff am Staatstheater Wiesbaden sowie Berlioz’ La Damnation de Faust und Wagners Fliegender Holländer an der Deutschen Oper Berlin. Von 2012 bis 2023 war Christian Spuck Direktor des Balletts Zürich. Hier waren seine Choreografien Romeo und Julia, Leonce und Lena, Woyzeck, Der Sandmann, Messa da Requiem, Nussknacker und Mausekönig, Dornröschen und Monteverdi zu sehen. Das 2014 in Zürich uraufgeführte Ballett Anna Karenina nach Lew Tolstoi wurde in Oslo, am Moskauer Stanislawski-Theater, vom Koreanischen Nationalballett und vom Bayerischen Staatsballett ins Repertoire übernommen. 2018 hatte in Zürich Spucks Ballett Winterreise Premiere, für das er mit dem «Prix Benois de la Danse 2019» ausgezeichnet wurde. 2019 folgte beim Ballett Zürich Helmut Lachenmanns Das Mädchen mit den Schwefelhölzern (Auszeichnung als «Produktion des Jahres und Kompanie des Jahres für das Ballett Zürich durch die Zeitschrift tanz). Für das Moskauer Bolschoitheater kreierte er 2021 sein Ballett Orlando nach Virginia Woolf. Spucks Messa da Requiem wurde nicht nur zum Adelaide Festival nach Australien eingeladen, sondern auch vom Het Nationale Oper & Ballet Amsterdam und vom Finnischen Nationalballett übernommen. Seit Beginn der Saison 2023/24 ist Christian Spuck Intendant des Staatsballetts Berlin.
Paul Connelly, Musikalische Leitung
Paul Connelly
Paul Connelly debütierte 23-jährig als Dirigent mit Gershwins Porgy and Bess im Rahmen einer Tournee der Houston Grand Opera. 1980 wurde er auf Einladung von Michail Baryshnikov Erster Kapellmeister des American Ballet Theatre und arbeitete dort mit Choreografen wie Jerome Robbins, George Balanchine und Anthony Tudor. Während dieser Zeit dirigierte er auch Vorstellungen des New York City Ballet sowie Gala-Veranstaltungen wie Nureyev and Friends und Baryshnikov and Co., ausserdem war er Gastdirigent beim National Ballet of Canada. Während der Zeit beim ABT war er an zahlreichen Film- und Fernsehprojekten beteiligt (u.a. Don Quixote). Zu seinen Opernaktivitäten in dieser Zeit gehören Brittens Death in Venice, Debussys Pelléas et Mélisande sowie Purcells Dido and Aeneas. Nach der musikalischen Leitung einer Ballettgala an der Wiener Staatsoper wurde ihm dort Rossinis Barbiere di Siviglia anvertraut, ein Erfolg, der den Anfang einer intensiven Dirigententätigkeit in Europa markiert. Einladungen führten ihn zum Staatsballett Berlin, das Ballett der Opéra Paris (Verfilmungen von Neumeiers Sylvia, Balanchines Jewels, Giselle, Roland-Petit-Abend), zum Orchestre Colonne in Paris, an das Opernhaus Nizza, ans Teatro di San Carlo in Neapel, an die Oper Oslo, zum Royal Ballet in London und in Birmingham, zum Het Nationale Ballet in Amsterdam, zum Tokyo Ballet, zum Semperoper Ballett Dresden und an die Mailänder Scala, wo er auf Einladung von Riccardo Muti die Opern Il turco in Italia, Die Zauberflöte und Don Giovanni dirigierte. An der Scala leitete er auch eine Reihe von Ballettaufführungen, unter anderem Giselle, die auch verfilmt wurde. Auf DVD erschienen Mauro Bigonzettis Caravaggio mit dem Staatsballett Berlin und Nureyews Nussknacker mit dem Ballett der Wiener Staatsoper. Unlängst dirigierte er Kenneth MacMillans Mayerling an der Staatsoper Budapest. Geplant sind The Cellist von Cathy Marston beim Ballett Zürich sowie eine Neuproduktion von Coppélia in der Choreografie von Alexei Ratmansky an der Mailänder Scala.
Rufus Didwiszus, Bühnenbild
Rufus Didwiszus
Rufus Didwiszus studierte Bühnen- und Kostümbild in Stuttgart bei Jürgen Rose und arbeitet seither als freier Bühnenbildner in Theater-, Opern- und Tanzproduktionen, u. a. mit Barrie Kosky (La Belle Hélène, Die Perlen der Cleopatra und Anatevka an der Komischen Oper Berlin; La fanciulla del West, Die Gezeichneten und Boris Godunow am Opernhaus Zürich; Orphée aux enfers, Salzburger Festspiele; Fürst Igor, Opéra de Paris; Der Rosenkavalier, Bayerische Staatsoper), Thomas Ostermeier (u.a. Shoppen &Ficken in der Baracke des Deutschen Theaters Berlin mit Einladung zum Berliner Theatertreffen und nach Avignon; Der blaue Vogel am Deutschen Theater, Feuergesicht am Schauspielhaus Hamburg, Der Name bei den Salzburger Festspielen und an der Berliner Schaubühne, The Girl on the Sofa beim Edinburgh International Festival und an der Schaubühne, Vor Sonnenaufgang an den Münchner Kammerspielen), Sasha Waltz, Tom Kühnel, Christian Stückl, Stefan Larsson, Tomas Alfredson und Christian Lollike. Seit 2004 entwirft und inszeniert Rufus Didwiszus mit Joanna Dudley eigene Musik-Theater-Performances, u. a. in den Sophiensaelen, an der Schaubühne und im Radialsystem in Berlin sowie im BOZAR in Brüssel. Mit seiner Band «Friedrichs» war er in Der weisse Wolf am Staatstheater Stuttgart zu sehen. Zudem war er als Gastdozent an der Akademie der Bildenden Künste München und an der Kunsthochschule Berlin-Weissensee tätig. Für Christian Spuck entstanden die Bühnenbilder zu Der fliegende Holländer an der Deutschen Oper Berlin, Nussknacker und Mausekönig, Winterreise, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern, Dornröschen und Monteverdi beim Ballett Zürich sowie Orlando am Moskauer Bolschoitheater.
Buki Shiff, Kostüme
Buki Shiff
Buki Shiff wurde in Israel geboren und studierte an der Universität Tel-Aviv. Seit 1984 ist sie als Bühnen- und Kostümbildnerin für Theater, Film, Fernsehen und Oper in Israel, Europa und den USA tätig. Dabei arbeitet sie regelmässig mit den Regisseuren Barrie Kosky, David Alden, Richard Jones und Robert Carsen zusammen. Zu ihren Arbeiten zählen Ausstattungen für Les Contes d’Hoffmann, Faust, Sweeney Todd, Cavalleria Rusticana, Pagliacci, Boris Godunow, Madama Butterfly und Don Giovanni an der New Israeli Opera Tel Aviv, Tannhäuser, L’Incoronazione di Poppea, Rinaldo, Rodelinda, La Calisto, Orlando und Semiramide an der Bayerischen Staatsoper in München, Lohengrin, Die Meistersinger von Nürnberg, Tristan und Isolde und Der fliegende Holländer an der Berliner Staatsoper, Boris Godunow an der Wiener Volksoper, Tristan und Isolde am Teatro Real Madrid, Lulu an der English National Opera, Wozzeck und Meistersinger an der Welsh National Opera, Candide am Théâtre du Châtelet in Paris und an der Mailänder Scala, Wozzeck und La belle Hélène an der Komischen Oper Berlin, Die Nase am Royal Opera House Covent Garden sowie Die Liebe zu den drei Orangen an der Deutschen Oper Berlin. 2006 wurde Buki Shiff in Tel-Aviv als Bühnen- und Kostümbildnerin des Jahres ausgezeichnet, 2008 erhielt sie den Rosenblum-Preis als Künstlerin des Jahres. 2013 wurde sie bei den International Opera Awards in London als beste Bühnen- und Kostümbildnerin geehrt. Darüber hinaus war sie an Kunstausstellungen in Tel Aviv und Europa beteiligt.
Martin Gebhardt, Lichtgestaltung
Martin Gebhardt
Martin Gebhardt war Lichtgestalter und Beleuchtungsmeister bei John Neumeiers Hamburg Ballett. Ab 2002 arbeitete er mit Heinz Spoerli und dem Ballett Zürich zusammen. Ballettproduktionen der beiden Compagnien führten ihn an renommierte Theater in Europa, Asien und Amerika. Am Opernhaus Zürich schuf er das Lichtdesign für Inszenierungen von Jürgen Flimm, David Alden, Jan Philipp Gloger, Grischa Asagaroff, Matthias Hartmann, David Pountney, Moshe Leiser/Patrice Caurier, Damiano Michieletto und Achim Freyer. Bei den Salzburger Festspielen kreierte er die Lichtgestaltung für La bohème und eine Neufassung von Spoerlis Der Tod und das Mädchen. Seit der Spielzeit 2012/13 ist Martin Gebhardt Leiter des Beleuchtungswesens am Opernhaus Zürich. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn heute mit dem Choreografen Christian Spuck (u.a. Winterreise, Nussknacker und Mausekönig, Messa da Requiem, Anna Karenina, Woyzeck, Der Sandmann, Leonce und Lena, Das Mädchen mit den Schwefelhölzern). Er war ausserdem Lichtdesigner für die Choreografen Edward Clug (u.a. Strings, Le Sacre du printemps und Faust in Zürich), Alexei Ratmansky, Wayne McGregor, Marco Goecke, und Douglas Lee. Mit Christoph Marthaler und Anna Viebrock arbeitete er beim Händel-Abend Sale und Rossinis Il viaggio a Reims in Zürich sowie bei Lulu an der Hamburgischen Staatsoper zusammen und mit Jossi Wieler und Sergio Morabito an der Oper Genf für Les Huguenots. 2023 gestaltete er das Licht für Spucks Ballett Bovary beim Staatsballett Berlin und 2024 Rossinis Tancredi an den Bregenzer Festspielen. Ausserdem war er Lichtdesigner bei Atonement von Cathy Marston am Opernhaus Zürich.
Ernst Raffelsberger, Choreinstudierung
Ernst Raffelsberger
Ernst Raffelsberger stammt aus Gmunden, Oberösterreich. Er studierte Musikpädagogik und Kirchenmusik an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (Chorleitung bei Prof. Erwin Ortner) und anschliessend Chordirigieren am Salzburger Mozarteum bei Prof. Walter Hagen-Groll. Von 1983 bis 1986 war er Kapellmeister der Wiener Sängerknaben. In dieser Zeit leitete er das Ensemble in Wien und auf Tourneen durch Europa, Südafrika, Kanada und die USA. Ab 1986 war Ernst Raffelsberger Chordirektor und Kapellmeister am Landestheater Salzburg (Mitwirkung bei der Salzburger Mozartwoche und den Salzburger Festspielen). 1989 wurde er von Donald Runnicles als Chordirektor und Kapellmeister an das Theater in Freiburg/Breisgau berufen. Seit Herbst 1993 ist Ernst Raffelsberger am Opernhaus Zürich als Chordirektor engagiert. Hier hat er inzwischen über 100 Premieren betreut und mit vielen namhaften Dirigenten wie Riccardo Chailly, Christoph von Dohnányi, Vladimir Fedoseyev, Sir John Eliot Gardiner, Daniele Gatti, Bernard Haitink, Nikolaus Harnoncourt, Zubin Mehta und Franz Welser-Möst zusammengearbeitet. Gastspiele mit dem Opernhaus Zürich führten ihn nach Wien, London, Paris und Tokio. Zahlreiche CD- und DVD-Aufnahmen dokumentieren diese Arbeit. Im Sommer 2012 begann zusätzlich seine Tätigkeit als Chordirektor der Salzburger Festspiele. Er ist dort für die Produktionen der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor verantwortlich. In seiner ersten Festspielsaison kam es u. a. zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit mit Riccardo Muti und Sir Simon Rattle.