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Faust - Das Ballett

Ballett von Edward Clug
Musik von Milko Lazar
Nach «Faust. Der Tragödie Erster Teil» von Johann Wolfgang von Goethe

Dauer 2 Std. inkl. Pause nach dem 1. Teil nach ca. 50 Min. Werkeinführung jeweils 45 Min. vor Vorstellungsbeginn.

Gut zu wissen

Trailer «Faust - Das Ballett»


GOETHES «FAUST» AUF EINEN BLICK

Seine Gier nach mehr Erkenntnis und mehr Lust macht es Faust unmöglich, den Moment zu geniessen. Tief deprimiert und lebensmüde, schliesst er mit Mephistopheles – dem Teufel – einen Pakt. Sollte Mephisto Faust so weit bringen, dass er einen glücklichen Augenblick festhalten wolle, dann erhält er Fausts Seele. Mephisto tut alles, um Faust vom rechten Weg abzubringen. Er macht ihn jünger und verhilft ihm zu einer Affäre mit einem jungen, unschuldigen Mädchen: Gretchen.

Faust schwängert Gretchen und verursacht den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders. Aus Verzweiflung halb wahnsinnig geworden, tötet Gretchen das unehelich geborene Kind. Im Kerker wartet sie auf ihre Hinrichtung. Faust will sie mit Mephistos Hilfe retten. Aber sein Versuch, sie zur Flucht zu überreden, ist vergeblich. Gretchen zieht es vor, ihr Schicksal in Gottes Hand zu legen. Sie wird erlöst. Faust und Mephisto fliehen.


Pressestimmen

«Ein herrliches Spektakel ist Edward Clugs Faust-Adaption geworden, vom Ballett Zürich luftig getanzt.»
Neue Zürcher Zeitung vom 29. April 2018

Fotogalerie

 

Fotogalerie - «Faust - das Ballett»


Gespräch


Mit Spontaneität und Ironie

Edward Clug bringt mit dem Ballett Zürich Goethes berühmtestes Drama auf die Bühne. Im Gespräch mit Michael Küster vor der Premiere 2018 erzählt er, wie man dem legendären «Faust»-Text auch ohne Worte auf die Spur kommen kann.

Edward, gerade erst hat das Ballett Zürich noch einmal deine Choreografie von Strawinskys Sacre du printemps getanzt. Nun choreografierst du mit Faust dein erstes Handlungsballett für das Ballett Zürich. Warum ausgerechnet mit dieser Compagnie?
In der Vergangenheit hat es nicht an Versuchen gemangelt, Faust für das Ballett zu erschliessen. Die Vorlage ist derart komplex, dass sie zu immer neuen Deutungsversuchen einlädt. Goethe ganz ohne Worte auf die Bühne bringen zu wollen, bleibt jedoch eine ständige Herausforderung. Literarische Werke habe ich in der Vergangenheit zwar schon mehrfach für den Tanz adaptiert. Goethes Faust­Stoff ist jedoch gerade im deutschen Sprach­ und Kulturraum ein literarischer Mythos mit einer ungebrochenen Ausstrahlung auf sämtliche Kunstgattungen. Deshalb ist dieses Projekt für mich etwas ganz Besonderes. Da ist es wichtig, mit vertrauten Partnern zu arbeiten, und zu denen gehört inzwischen das Ballett Zürich. In den vergangenen fünf Jahren durfte ich mitverfolgen, wie die Compagnie zu einer starken Identität gefunden hat. Sie ist zu einem sehr vielseitigen Ensemble gereift, das in den unterschiedlichsten Stilen überzeugt. Gerade habe ich das noch einmal selbst erlebt,  als ich meine Choreografie von Le Sacre du printemps mit zwei Besetzungen für die Wiederaufnahme des Balletts einstudiert habe. Das fand ich auch mit Blick auf Faust sehr inspirierend.

Wie näherst du dich einem so bedeutungs- und rezeptionsbefrachteten Stoff wie Faust?
Schon bevor ich Choreograf geworden bin, konnte ich in meiner Heimat Maribor viel Theatererfahrung sammeln. Vor zwanzig Jahren habe ich mit dem grossen slowenischen Regisseur und Theatermacher Tomas Pandur gearbeitet. Seit den frühen Neunziger Jahren erregte er mit seinen bildgewaltigen, ästhetisch anspruchsvollen Klassiker­Inszenierungen internationales Aufsehen. Allein Goethes Faust hat er dreimal inszeniert. Ihm verdanke ich viele meiner ersten Faust-Erfahrungen. Prägend für mich war ausserdem die Lektüre von Michail Bulgakows Roman Der Meister und Margarita, der die Motive der Handlung in das Moskau der Stalinzeit verlegt. Eine dritte wichtige Erfahrung auf dem Weg zu Faust war Ibsens Peer Gynt, den ich vor drei Jahren mit meiner Compagnie in Maribor auf die Bühne gebracht habe. Bereits dort stellte sich eine Frage, die mich hier in Zürich erneut beschäftigt: Wie kann ich eine Geschichte in Tanzsprache übersetzen, ohne dabei einfach nur narrativ zu sein? Ich möchte eine theatralische Sprache finden, die aus der genuinen Welt des Tanzes kommt und eine andere Zuschauerperspektive ermöglicht als die altbekannten grossen Handlungsballette. Der Faust­Stoff begleitete Goethe beinahe ein Leben lang. Die Legenden um Leben, Charakter und Schicksal von Johann Faust waren seit Erscheinen des «Volksbuchs» im Jahr 1587 ein bekannter und vielfach bearbeiteter literarischer Stoff. Diese Historia von D. Johann Fausten, aber auch Christopher Marlowes Tragische Historie vom Doktor Faustus haben Goethe inspiriert und zur weiteren Auseinandersetzung angeregt. Mit seiner zweiteiligen Tragödie hat er ein universelles, zeitloses Drama geschaffen, das ganz dezidiert nach dem Sinn des Lebens fragt. Beim Lesen fasziniert mich immer wieder, dass Goethes Text trotz seiner philosophischen Dimension auch von einer gewissen poetischen Märchenhaftigkeit lebt, die unsere Vorstellungskraft in Gang setzt und unsere Phantasie beflügelt. Gerade in diesem Aspekt liegt für mich grosses Potenzial für den Tanz und jene Art von Ritualität, die für ein Ballett unverzichtbar ist.

Zum Faust entstanden seit seinem Erscheinen unzählige Interpretationen, die von vorherrschenden politischen und wissenschaftlichen Denkrichtungen ihrer Zeit beeinflusst sind und sich nicht selten widersprechen. Man sah in ihm nicht nur den grüblerischen, ewigen Erkenntnissucher, sondern stilisierte ihn auch zum genialen Tatmenschen, der immer wieder auch von totalitären Systemen vereinnahmt wurde. Worauf gründest du deine Lesart?
Der Faust-­Stoff ist von einer derartigen Universalität, dass sich jeder darin wiederfinden kann. Faust erzählt für mich die Geschichte der ewigen Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse. Obwohl ich deutsche Wurzeln habe, vermeide ich es, mir den schweren Rucksack der deutschen Faust­Rezeption auf die Schultern zu laden. Wie bei all meinen Projekten gehe ich vielmehr instinktiv an die Thematik heran, ohne dabei die Komplexität des Stoffes zu unterschätzen. Im Wesentlichen folgen wir in unserer Ballettproduktion dem Handlungsgang von Goethes Faust I. Bei der Erarbeitung der Choreografie setze ich jedoch vor allem auf Spontaneität. Spontan entstehen oft die besten Ideen. Im Dialog mit den Tänzern ergeben sich in den einzelnen Szenen oft völlig unerwartete choreografische Lösungen und ironische Brechungen.

Bei Goethe firmiert Faust als Tragödie. Was ist es für dich?
Mit dem Blick auf die Pathosmomente des Stücks ist das sicher eine zutreffende Einordnung. Mich erinnert die Ansammlung dieser vielen ganz unterschiedlichen Szenen jedoch mehr an die Stilmischungen, wie wir sie aus dem Elisabethanischen Theater Shakespeares kennen. Im Stück ist es vor allem Mephisto, der von Beginn an das Tragische mit dem Komischen bricht und insbesondere durch seinen Redestil sowie durch die von ihm inszenierten Handlungen die erhabene Sphäre unterläuft. Diese Stilmischung, die das Stück durchzieht, kann man auch für das Ballett nutzbar machen. Fast jeder ist hierzulande mit der Geschichte vertraut. Deshalb ist es wichtig, Vorhersehbarkeit zu vermeiden und erfinderisch zu sein. Und es gilt, den Tänzern in ihren Rollen Glaubwürdigkeit zu verleihen, so dass die Person des Tänzers im besten Fall hinter der Rolle verschwindet.

Goethes Faust ist wortgewaltig in seiner Sprache. Viele Zitate aus dem Drama sind so populär geworden, dass sie als geflügelte Worte Eingang in den Sprachalltag gefunden haben. Wie kann das Ballett, das ohne Sprache auskommen muss, dieses Defizit aufwiegen?
Ich empfinde das nicht so. Es kommt auf die Stärke der theatralischen Ebene an. In den Proben versuche ich, die theatralische Sprache mit unserer Sprache als Tänzer, mit Tanz und Bewegung, zu vermischen. Durch den Tanz bekommt das Ganze ohnehin eine andere Art Emotionalität. Auch ohne Worte wird das Publikum also Faust sehen. Es wird sich vom Geschehen auf der Bühne inspirieren lassen und die Verbindungen zu seiner eigenen Lesart des Dramas knüpfen. Mit den Tänzern kreiere ich eine eigene Faust­Welt, in der die Geschichte in ungewohnter Umgebung neu erfunden wird.

Faust behandelt die grossen Themen des Menschseins: Liebe, Religion, Wissenschaft ... Was sind die Konsequenzen für die choreografische Sprache und das Tanzvokabular?
Das ist eine wichtige Frage, die ich mir jetzt im kreativen Prozess immer aufs Neue stelle. Ich versuche da sehr organisiert heranzugehen und situative Kontexte für bestimmte Bewegungsabläufe und Schrittfolgen zu finden. Diese Verbindung ist ein wesentlicher Teil des choreografischen Erzählens. Die Geschichte ergibt sich nicht zwingend aus einer Bewegung. Sie ergibt sich aus dem Kontext oder aus der Situation, in der sie passiert. Ein Aspekt dabei ist die Kommunikation mit dem  Publikum, das ich als Dialogpartner unbedingt brauche. Wenn zum Beispiel in einem abstrakten Ballett ein schwarzer Pudel auftaucht, verbindet man damit nicht zwingend etwas. Ein schwarzer Pudel in einem Faust­Ballett macht ihn jedoch sofort zu jener Inkarnation Mephistos, der in dieser Gestalt in Fausts Studierzimmer schlüpft. Ganz, wie der Zuschauer es aus der Lektüre des Dramas kennt. Diese Bezüge, Symbole und Konnotationen fliessen in die choreografische Sprache ein.

Goethe verschränkt in Faust die Gelehrtentragödie mit der Gretchentragödie. Die Geschichte des verzweifelt und vergeblich nach Erkenntnis strebenden Mannes wird verbunden mit der Geschichte der verführten Frau, die an den Folgen der Verführung zerbricht. Viele Faust-Bearbeitungen, denken wir nur an Gounods Faust oder Berlioz’ Damnation, fokussieren sich jedoch auf das Dreiecksverhältnis von Gretchen, Faust und Mephisto. Wie gehst du damit um?
Beim Choreografieren folge ich im Wesentlichen der Handlung des Dramas. Natürlich hat man im Vorfeld ein plausibel erscheinendes Szenarium entwickelt. In den Proben erlebe ich dann aber oft, dass sich Akzente verschieben und vielleicht ein Detail, das mir vorher nebensächlich erschien, zu ganz neuer Bedeutung kommt. Ein wesentliches Element meiner Herangehensweise ist eine spielerische Ironie, mit der ich mich vermeintlichen Schlüsselszenen und big moments nähere und die dadurch in einem anderen Licht erscheinen. Das erfordert eine ausgefeilte Arbeit am Detail, damit der Zuschauer später seine eigenen Verbindungen  zwischen Drama und Tanz knüpfen kann. Gerade der erste Teil von Goethes Faust beinhaltet viele Szenen, mit denen ich mich als Zuschauer direkt identifizieren kann und die mich emotional erreichen. Für meine Lesart war aber auch der  zweite Teil von Faust wichtig. Die universelle Perspektive der sogenannten «grossen Welt» mit den Szenen am Kaiserhof und im klassischen Griechenland schlägt einen anderen, philosophischeren Ton an, als wir ihn aus der «kleinen Welt» von Faust I kennen. Hier liegt auch die Chance, etwas von der Spiritualität einzufangen, die Goethes Text durchzieht. Diese Atmosphäre versuche ich, für einige Szenen – wie das einleitende Engel­Bild – zu nutzen. Als Choreograf kann ich jedoch nicht sagen: Ich möchte jetzt etwas Spirituelles kreieren. Das kann sich bestenfalls einstellen und hängt natürlich auch vom darstellerischen Potenzial der Tänzer ab.

Im traditionellen Handlungsballett wird das fehlende Wort nicht selten durch Pantomime ersetzt. Wie entgehst du dieser Gefahr?
Für mich sind die Protagonisten in einem Handlungsballett mehr Schauspieler als Tänzer. Das Ballett Zürich ist durch seinen Erfahrungsschatz aus Christian Spucks Produktionen wirklich prädestiniert für diese neuerliche Herausforderung. Bevor es jedoch an die darstellerische Feinarbeit geht, muss ich mit den Tänzern das Fundament an Bewegungen und Schritten erarbeiten. Das ist ein zeitaufwendiger Prozess, aber er ist unerlässlich, um dann in den unmittelbaren Dialog mit Goethe und dem Stück einzutauchen, die Choreografie mit der jeweiligen Szene und der Musik zu verbinden und sie in den Gesamtfluss der Aufführung zu integrieren.

Die Musik zu deinem Ballett hat der slowenische Komponist Milko Lazar geschrieben, dem du seit vielen Jahren verbunden bist. Ein abendfüllendes Faust-Ballett war aber wohl auch für ihn eine neue Herausforderung.
Am Anfang unserer Zusammenarbeit nannte ich Milko einige Szenenblöcke, die ich aus dem Drama für das Ballett benutzen wollte, und bat ihn um musikalische Vorschläge. Bei den ersten Demos hatte ich jedoch das Gefühl, dass er sich vor dem Hintergrund des Themas als Komponist zu sehr zurücknimmt. Es war mir zu viel Faust, zu wenig Milko. Das war ein Schlüsselmoment für unsere Arbeit. Musik, Geschichte und Choreografie sollten nicht versuchen, das Gleiche zu erzählen. Musik soll mich zwar zum Choreografieren inspirieren, indem sie die Atmosphäre einer bestimmten Szene einfängt. Sie soll mich aber nicht narrativ in eine bestimmte Richtung drängen. Milkos Musik ist nie eindimensional, sie ist sehr strukturiert und kennt immer mehrere Ebenen. In ihrer ausschreitenden Dynamik ist die Rastlosigkeit von Fausts Reise durch die «kleine Welt» sehr eindrücklich eingefangen. Gleichzeitig besitzt sie die für Szenen wie Ostern oder die Hexenküche unverzichtbare Ritualhaftigkeit. Anderseits widersetzt sie sich auch bestimmten Erwartungen, wenn etwa die geradezu nach dem grossen Pinsel rufende Walpurgisnacht zu den Klängen eines Cembalos initiiert wird.

Auch bei Bühnenbild und Kostümen arbeitest du mit bewährten Partnern, dem Bühnenbildner Marko Japelj und dem Kostümbildner Leo Kulaš, zusammen. Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?
Beide haben sich schon in anderen Inszenierungen mit Faust auseinandergesetzt. Dank ihrer Erfahrungen haben sie eine sehr klare Vorstellung von den szenischen Anforderungen, die das Stück stellt, es ist jedoch für beide die erste Tanzproduktion. Bei den gemeinsamen Überlegungen zu Faust waren wir uns schnell darüber einig, dass auch ein unkonventionelles Setting bei aller visuellen Attraktivität nicht nur vielseitig praktikabel sein, sondern eine natürlich­organische Verbindung zur Choreografie gewährleisten muss.

Was kann ein Stoff wie Faust am Beginn des 21. Jahrhunderts bedeuten?
Da kommen wir zur schon erwähnten Universalität dieses Textes zurück, den jede Zeit und auch jedes politische System für sich ausdeuten kann. Natürlich lässt sich Faust heute als Parabel lesen auf die beschleunigte und globalisierte Welt, in der die Umwelt ausgebeutet wird, die Menschen ihr Glück im Konsum suchen, immer schneller unzufrieden sind und unaufhörlich auf die Zukunft spekulieren. Aber wenn ich über Faust und Gretchen nachdenke, sehe ich niemanden ausser den beiden und finde in ihrer Begegnung bei aller Tragik auch ein grosses Hoffnungspotenzial.


Das Gespräch führte Michael Küster.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 58, April 2018.
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Essay


Ich bin der Geist, der stets verneint

Goethes «Faust» gehört zum Kernbestand der abendländischen Dramenliteratur. Aber taugt das sprachgewaltige Werk auch zum Ballett? Der slowenische Choreograf Edward Clug bringt es mit dem Ballett Zürich auf die Bühne. Er ist nicht der Einzige, der den «Faust»-Stoff zum Thema im Tanz gemacht hat, wie ein Blick in die Ballettgeschichte zeigt.

Im Staub der Archive schlummert bekanntlich manches, was niemand sich träumen lässt. Das liegt in der Natur der Sache, gilt aber für den Tanz – einmal mehr, schon wieder, noch immer – in ganz besonderer Weise. Wenn sich jetzt Edward Clug, Chef des Slowenischen Nationalballetts, mit dem Ballett Zürich an Goethes Faust, der Tragödie erster Teil, wagt, mag man das für irrwitzig, vermessen, leicht grössenwahnsinnig halten. Aber eine Sichtung der historischen Ablage zeigt: Clug bleibt schlicht traditionstreu.

Dabei ist der dramaturgisch verflixte Faust aufs Erste gesehen alles andere als ein erfolgversprechender Tanzkandidat. Wieso also ausgerechnet dieses Drama, das Kernsubstanzen der europäischen Geistes-, Sozial- und Zivilisationsgeschichte (samt allerlei Derivaten) personalisiert und im Dreischritt von Faust zu Mephisto zu Gretchen über die Abgründe der abendländischen Philosophie irrlichtert? Faust, der religiöse Demut und hoffärtigen Erkenntnishunger gegen- und ineinander schiebt, der am Beispiel eines Mädchens, eines Mannes die Mechanismen sexueller und seelischer Verführung erkundet? Wie soll sich das alles schlüssig an die Umrisse der Ballettbühne schmiegen?

Die Theoretiker des Fachs haben vor, während und nach der Goethe-Zeit dazu eine recht klare Auffassung vertreten: Alles, was auch nur ein Quäntchen Metaphysik, Abstraktion, Vergeistigtes enthält, kommt als Sujet nicht in Frage. Die Körperkunst des Tanzes reagiert geradezu allergisch auf gedankliche Gravitationsfelder, sie scheitert an allem, was sich nicht sofort und ohne Umschweife ins Herz des Zuschauers bohrt. Gefühligkeit galt dem aufgeklärten Diskurs des 18. Jahrhunderts als erkenntnisleitende Maxime, als empathische und läuternde Mission der moralischen Anstalt namens Theater. Heutzutage aber lässt sich hinter den hehren Worten ein Phänomen ausmachen, dem die Gegenwart in geradezu exzessiver Manier frönt. Rasch «Gefühligkeit» durch «Emotionalisierung» ersetzt – und schon sind wir im 21. Jahrhundert gelandet, mitten im reibungslos funktionierenden Räderwerk des Affekt-Kults, der sich bis in die kleinsten Kapillaren der Gesellschaft, in Nachrichtenkanäle und Social Media-Zonen verbreitet hat.

So bewahrheitet sich eben die mephistophelische Devise: «Grau, teurer Freund, ist alle Theorie.» Was auf den Faust gemünzt bedeutet: Mögen die Daumen der Tanzgelehrten sich auch entschieden gen Erdboden senken, wenn die Rede auf seine Ballett-Tauglichkeit kommt – die Praktiker schert das keinen Deut, und zwar seit zweihundert Jahren. Noch erstaunlicher ist die Tatsache, dass nahezu alle Choreografen, die sich – auf Goethes Spuren – den Faust-Mythos anverwandelt haben, an anderer Stelle Epochales leisteten. Zwar ist keiner aus der illustren Schar für seine Faust-Inszenierung bejubelt worden, aber als Gründerväter der Romantik und Neoromantik, als Neuerer oder Wahrer der akademischen Linie haben sie Tanzgeschichte geschrieben.

Den Anfang macht Jean Coralli, Ballettmeister des Théâtre de La Porte Saint-Martin, wo im Oktober 1828 die erste französische Fassung über die Bühne geht, die auf Gérard de Nervals kurz zuvor veröffentlichter Übersetzung des Goethe-Originals beruht. Mehrere Literaten haben das Drama für sein Debüt bearbeitet, federführend Charles Nodier, der später als Bibliothekar in die Dienste der Opéra eintreten und seinen Namen in die Annalen des Tanzes einschreiben wird: als Autor der Vorlage von La Sylphide, einer tragenden Säule des Ballett-Repertoires. 1828 verantwortet Jean Coralli die Mise en-scène, verziert sie aber nur mit randständigen Tanzornamenten. Deren Ausführung vertraut er jedoch einem ausgesprochen renommierten Ballerino an: Joseph Mazilier, der eine gewisse Mademoiselle Florentine auf der Bühne hofiert. Dennoch wird der Abend ein maues Ereignis, weil «statt einer schrecklichen Tragödie, statt eines interessanten Dramas oder einer philosophischen Komödie nur ein Zauberstück mit viel Gepolter» zu sehen ist, wie ein Kritiker notiert.

Das tut der Tatsache keinen Abbruch, dass auch Nodiers Mitstreiter Berühmtheit erlangen, und zwar ebenfalls in Diensten der Opéra. Dort übernimmt Joseph Mazilier 1832 zur Premiere von La Sylphide nicht nur die männliche Hauptrolle, sondern er setzt – angefangen mit Le Diable Amoureux (1840) – mehrfach getanzte Mephisto-Fabeln in Szene. Jean Coralli wiederum wechselt 1830 als leitender Maître de ballet ebenfalls an die Oper und ist unter anderem für die Ausgestaltung des zweiten grossen Romantik-Knüllers mitverantwortlich – für Giselle, das er 1842 gemeinsam mit einem Nachwuchstalent namens Jules Perrot aus der Tanztaufe hebt. Perrot seinerseits…

Dazu gleich mehr, festzuhalten bleibt vorerst: Der Faust ist allem Anschein nach kein ausgemacht tanzdienliches Sujet, aber er liefert Motive, die das Romantische Ballett à la Giselle infiltrieren. Die menschliche Zerrissenheit zwischen Geist und Fleisch, Kultur und Natur, Tugend und Sündhaftigkeit, Himmel und Hölle, Erkenntnisfieber und frommer Genügsamkeit – diese faustischen Gegensätzlichkeiten lösen auch das romantische Kammerflimmern aus, das die Tanzbühne ab 1831 erfasst, nachdem Giacomo Meyerbeers Oper Robert Le Diable (!) zur Mitternachtsstunde tanzende Nonnen aus den Gräbern fahren lässt – Vorfahrinnen jener Elementarwesen, die von La Sylphide bis Schwanensee durch die Tanzkunst geistern. Mit akademischen Studierstuben, Kathederexistenzen und skeptischer Klügelei ist im Ballett kein Staat zu machen, wohl aber mit Liebesfantasien (Faust und Gretchen), weinseligen Festivitäten (Auerbachs Keller), illusionistischem Hokuspokus (Explosion dortselbst), hexenhaften Maskeraden (Walpurgisnacht), Duellen im Morgengrauen (Faust und Gretchens Bruder Valentin) sowie einer Frau, die sich selbst um der Liebe willen opfert und darüber dem Wahnsinn anheim fällt (Gretchen – alias Giselle). Episoden aus diesem Formenkreis erzählt fast jedes französische Tanz-Opus der postnapoleonischen Ära. Genau wie Schuld, Unschuld, Verrat eine Trias bilden, die das vormoderne Ballettschaffen dominiert.

Faust also hat Konjunktur bei den Choreografen des 19. Jahrhunderts, ja ein bedeutender Vertreter des Fachs ist gar der Meinung, dass diese urdeutsche Geschichte und ihre Charaktere nirgendwo besser aufgehoben sind als im Tanz. So schreibt der Däne August Bournonville im Rückblick auf seine eigene, 1832 am Königlichen Theater in Kopenhagen herausgebrachte Fassung, dass Gretchens «Versuchung und Verführung, ihr Leiden und ihre Rettung sich meiner Ansicht nach besser für eine feine, plastische Bearbeitung eignen als für Deklamation und Gesang.» Auch «Fausts Tiraden» nähmen sich auf dem Papier erheblich besser aus denn aus dem Mund eines Schauspielers, wo sie nur noch «verächtlich und ermüdend» wirkten. Bournonville, der selbst zunächst die Titelpartie übernahm, in späteren Jahren jedoch als Terror-Mephisto sogar dem Philosophen Sören Kierkegaard Angst und Schrecken einjagte – Bournonville also nahm zwar für sich in Anspruch, eine ideale Umsetzung vorgelegt zu haben. Doch viel öfter gespielt und nachgespielt wurde die Version, die Jean Corallis junger Kollege Jules Perrot 1848 für die Mailänder Scala choreografierte. Perrot, der mit Giselle und Ondine in den frühen 1840er-Jahren den Durchbruch schaffte, studierte seinen Faust erst in Wien und 1854 auch in St. Petersburg ein, das sich langsam aufschwang, Paris den Rang der Welthauptstadt des Tanzes streitig zu machen. Als Faust trat dabei ein Mann aus der Kulisse, der selbst zum Meisterwerk-Macher des Zarenreiches schlechthin werden sollte: Marius Petipa, Genius des neoromantischen Balletts.

Die Genealogie der Faust-Bearbeiter lässt sich unschwer fortschreiben, über die Jahrhundertwende hinweg, zu eminenten und exzellenten Choreografen, die ihre Kunst unermüdlich vorantrieben. So Mikhail Fokine, Frederick Ashton, Roland Petit, Maurice Béjart – mit einem wesentlichen Unterschied zu früheren Adaptionen: Neuere Varianten beziehen sich fast ausnahmslos auf Franz Liszts Mephisto-Walzer, die ihrerseits Nikolaus Lenaus biedermeierlich verinnerlichten Faust musikalisch paraphrasieren – gewissermassen das Gegenmodell zu Goethes grandios gelangweiltem Narzissten und Weltenfahrer. Weitere Bearbeitungen stammen von George Balanchine, der den Faust-Mythos gleich mehrfach verpackte, zuletzt 1975 mit Walpurgisnacht. Den grössten Skandal machte Werner Egks 1948 von Marcel Luipart einigermassen freizügig gestalteter Abraxas, der das Tanzpoem Der Doktor Faust aus der Feder Heinrich Heines ins Bühnenportal der Bayerischen Staatsoper einpasste – sehr zum Verdruss der katholischen Kulturelite des Freistaats. Der vorerst letzte Versuch eines namhaften Choreografen, dem komplizierten Faust-Anspruch gerecht zu werden, nimmt Franz Liszts Faust-Sinfonie als Sprungbrett. Jean-Christophe Maillot stemmte 2007 eine klassische Dreiecks-Liaison auf die Unterwasserbühne des Grimaldi Forums Monaco: Mephisto als ewiger Erzengel des Bösen, Faust als Sterblicher mit Ambitionen auf göttliche Horizonte, schliesslich Gretchen als Inkarnation des geflügelten Worts – «Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan.»

Wieviel Faust also verträgt der Tanz? Rein empirisch betrachtet: eine ganze Menge. Das gilt heute vielleicht sogar mehr denn je. Längst stösst unser positivistisches Weltbild an Grenzen, ist das Primat des Materiellen erschöpft, die Attraktion des Konsums verblasst. Zumindest in den Gesellschaften des Westens. Mephisto hat sich als Zerstörer in unserem Inneren eingenistet. Die Zerrissenheit, ja Spaltung, die Faust an sich beobachtet – «Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust» −, sie ist zum Charakteristikum des modernen Menschen geworden. Das Streben nach Wissen um jeden Preis geht Hand in Hand mit der Erkenntnis, dass der Optimierungs- und Machbarkeitswahn immer mehr Risikoschwellen niederwalzt. Was die Frage provoziert: Wie hoch ist er wirklich, der Preis unserer Allmachtsfantasien? Und wie gehen wir um mit dem Gegenprinzip, mit der Sehn-sucht nach Ganzheit, nach der Einheit von physischem und metaphysischem Erleben?

Die Tanz-Theoretiker des 18., 19., und frühen 20. Jahrhunderts bestritten energisch, dass derlei knifflige Überlegungen in Terpsichores Reich bebildert werden können. Wir aber haben erfahren, dass grosse Kunst mehr ist als die schiere Addition sinnlicher und sinnstiftender Elemente, dass ihre wahre Substanz jenseits dessen liegt, was unser Verstand erfasst. Warum sollte das nicht auch für die Tanzkunst gelten? Faust ist in dieser Hinsicht – allererste Wahl!


Text von Dorion Weickmann.
Dieser Artikel ist erschienen im MAG 58, April 2018.
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Hinter dem Vorhang

Komponist Milko Lazar über «Faust – Das Ballett»

Audio-Einführung zu «Faust - Das Ballett»

  1. Audio-Einführung zu «Faust - Das Ballett»
    Unser Dramaturg Michael Küster gibt einen Einblick in «Faust - Das Ballett». Live-Einführungen finden jeweils 45 Minuten vor der Vorstellung im Opernhaus statt.

Programmbuch

Faust - Das Ballett

Faust - Das Ballett

Synopsis

Faust - Das Ballett

Synopsis

Faust - Das Ballett